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Martin Blumenau

Geschichten aus dem wirklichen Leben.

4. 3. 2016 - 17:35

The daily Blumenau. Friday Edition, 04-03-16.

Der Mann, der Bret Easton Ellis sein wollte und dann eine nacktgemachte Version des Benjamin von Stuckrad-Barre wurde.

#popliteratur

The daily blumenau hat im Oktober 2013 die Journal-Reihe (die es davor auch 2003, '05, '07, 2009 und 2011 gab) abgelöst. Und bietet Einträge zu diesen Themenfeldern.
2016 wieder regelmäßig.

Wie sich Benjamin von Stuckrad-Barre, der klassische Pop-Literat und vormalige Liebling der Medien-Meute, in einer buchgewordenen Absturz-Beschreibung entblößt. Und zum wiederholten Mal überladenes Interpretations-Opfer wird.

Und plötzlich ist da ein Panikherz...

Erschrocken. Ich war erschrocken, als im letzten Literarischen Quartett eines der dort (teilweise nur durch den Schnellvorlauf-Modus erträglich gemachten) besprochenen Bücher plötzlich ein Neues von Stuckrad-Barre war. Ich war erschrocken, weil ich ihn - gegen besseres Wissen - unter gefühlt tot oder zumindest nachhaltig zerstört abgehakt hatte. Erschrocken über die Sorglosigkeit dieser Zuschreibung. Erschrocken über Vergess- und Vergänglichkeit.

Nicht, dass Benjamin von Stuckrad-Barre das deutschsprachige Musterbeispiel des in den Mainstream rüberlappenden Pop-Literaten mir jemals als role model gedient hatte. Aber anhand seiner Person, seiner Karriere und seiner Präsenz im Medienzirkus wurden in den Halbräumen zwischen Kulturindustrie, Cultural Studies und Underground mehr und bessere Diskurse bezüglich Pop- und Alltagskultur sowie deren Wirkungsmacht verhandelt als in großen Teilen der Popmusik. Stuckrad-Barre war nicht Bret Easton Ellis, aber er war wichtig, als Katalysator.

"Panikherz" von Benjamin von Stuckrad-Barre ist bei Kiepenheuer und Witsch erschienen. Dem aktuellen Rolling Stone (3/16) ist eine CD mit Hörbuch-Exzerpten beigelegt. Das Literarische Quartett des ZDF ist zehnmal im Jahr, dann am Freitag nach der "heute-show" auf dem Aspekte-Slot zu sehen.

Die Aufmerksamkeitsspanne einer Popsong-Länge

Jetzt also ein autobiografischer Roman, der seine Süchte und deren Überwindung behandeln sollte. Und von den Rezensenten Biller, Weidermann und Menasse (Eva) als Projektionsfeld für langatmige Pychologisierungen verwendet wurde. Was wiederum meine Lust, mir "Panikherz" einmal näher anzuschauen, deutlich reduzierte.

Das war letzten Freitag.

Diesen Mittwoch nun erlebte ich beim Bonus-CD-Rausschälen aus den aktuellen Musikmagazinen eine große Überraschung: Da lag doch tatsächlich ein Ausschnitt aus dem Hörbuch von "Panikherz" bei.

Und ich wusste genau, was passieren wird: Ich würde reinhören und dem für mich immer schon einzigen, das mich an Stuckrad interessierte, nachgeben - seiner klar akzentuierenden, unterschwellig emotionalisierenden Stimme. Das hat den Vorteil, dass ich nicht auf die (mäßig interessanten) Themen und Akteure (Lindenberg, Gottschalk) achten muss, sondern die klare Sprache in die Ohren träufeln lassen kann, als wäre sie Musik.

Die Nummernrevue einer mit Freunden verwechselten Prominenz

Das geht nur sehr kurzzeitig, Popsonglänge, aber immerhin. Hat dazu geführt, dass ich mir das Buch angeschaut habe. Ohne vorher weitere veröffentlichte Anmerkungen dazu zu sammeln. Was ein Fehler war.

Denn sonst hätte ich gewusst, dass nach den ersten paar Kapitelchen über die bis dato wenig bekannte und klar ziselierte Jugend/Prägungs-Phase, also nach weniger als einem Drittel dieses viel zu langen 560-Seiten-Buchs praktisch ausschließlich eine großteils verzichtbare Nummernrevue der prominenten Bekannten (bis hin zu Meet&Greet-Treffen) des Autors mit in ihrer Bedeutungslosigkeit erschreckenden Begegnungen präsentiert wird.

Das hätte mir etwa Der Freitag hier schon verraten. Ich war auf die Fernseh-Kritiker, die offensichtlich maximal die ersten 200 Seiten gelesen hatten und sich dann wohl mit fremden Spickzettel behalfen, reingefallen.

Doppeltes Nichtgerechtwerden: Häme nach Hysterie

Und dann ist es mir wieder alles eingefallen.
Das Brimborium, das in der Phase von Stuckrads größtem Startum, rund um den nach seinem Hitbuch "Soloalbum" gestrickten Film, bei einigen meiner österreichischen Bekannten aus der Medien- und Poplit-Szene veranstaltet wurde - in Deutschland war alles fraglos noch viel schlimmer. Die aus Bewunderung und Neid zusammengestrickten Zuschreibungen, die dem damals schon merklich angeschlagenen, ruhmtrunkenen und verschleierungssubstanzsüchtigen Autor übergeworfen wurden, dieses Baden in durch Annäherung, Bekanntschaft und mehr zu erlangenden Distinktionsgewinnen. Stuckrad-Barre wirkte damals wie eine optische und verhaltstechnische Vorahnung auf Stefan Petzner, und niemandem wollte es auffallen.

Das tat es erst, als er so fünf Jahre später mit einer Late Night aufkreuzte, die sich nicht so richtig zwischen Radikalität und Vorbild-Adaption entscheiden konnte. Alles, was die Szene in den Jahren des Rausches gnädig übergangen hatte, kam da als - teilweise überharte - Häme zurück. So als wollte sich eine ganze Branche dafür entschuldigen, dass sie sich lächerlich aufgeführt hatte; und es dann noch einmal an der Person auslassen. Ihr also nach der hysterischer Bestätigung dann auch durch überkritisches Gemäkel gleich zweimal nicht gerecht werden.

Eine Selbstentblößung wie ein Dechiffrier-Code

Durch dieses öffentliche Gebeutel (und auch seine Exhibitionismus in seiner harten Kokain-Phase) war Stuckrad eine derart nacktgemachte Figur, dass ein sich gläsern-machender Roman wie "Panikherz" eine logische Folge ist. Da die Meute mit ihren impulsgetriebenen Hakenschlägen aber nie ein guter Berater ist, war das keine gute Idee.

"Panikherz" legt - vielleicht ohne, dass der Autor es will, und sicher ohne, dass ich als Leser das so will - sich wie eine Dechiffrier-Karte über Stuckrad-Barres bisheriges Werk.

Nicht dass ich das bewusst vorhatte/hätte - aber ich könnte jetzt kein Buch, keine Artikel, keinen TV-Auftritt Stuckrads mehr anders als unter erstgereihter Berücksichtigung dessen, was ich jetzt mitbekommen habe, ansehen. Und das wirkt sich nicht positiv aus. Gar nicht.

Sich selber keinerlei Tiefe zugestehen

Stuckrad-Barre beschreibt sich nämlich (und die Glavinic'sche Rettung, dass Ich nicht Ich sein muss, greift leider nicht) als Zappler, der sich selber keine Tiefe zugestehen kann/mag. Die Präsentation von viel schlechtem Geschmack (wie Ellis seinen Bateman gemacht hat, ohne dass er selber so wäre; und genau da ist der gravierende Unterschied zwischen den beiden gern Verglichenen; die auch deshalb verglichen werden, weil Stuckrad-Barre seine Bekanntschaft mit Ellis überdeutlich zelebriert), die deutliche Abwesenheit eines moralischen Kompass, die beliebige Gleichzeitigkeit der Beobachtungen, die sich in einer endlosen Flut von "was anderes jetzt"-Brüchen vor ihrer Substanzlosigkeit zu retten versucht - ich wünschte, es wären irgendwo parodistische Überhöhungen zu finden, die eine durch die verkaufsseligen 90er-Jahre gebeutelte Figur als pars pro toto beschreiben würden.

Der Rettungsring, den ihm die drei aus dem schon zweimal zitierten Fernseh-Quartett zuwerfen, ist auch reines Flickwerk: Hier spricht kein durch ein (pastorales) Elternhaus Zerstörter. Nicht einmal die Beliebigkeit, mit der Stuckrad-Barre sein Leben als seriell gleichwertig zeichnet, ist seiner Erziehung zuzuschreiben. Ebenso wenig, wie Beliebigkeit und fehlende Bezugsrahmen allein direkt in die Ess-Störung und die Drogensucht führen müssen.

In dem Moment wo - dank dieser Selbstentblößung - klar wird, dass die Kunst des schnellen Punkt-Treffens, des pieksenden Aphorismus deshalb immer so gehetzt daherkam, weil sie sich selber nicht wertschätzt, bricht das Werk einen halben Stock ein. Und da bin ich dann wieder erschrocken. Obwohl: Besser als gefühlt tot ist so ein Sturz allemal.