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Martin Blumenau

Geschichten aus dem wirklichen Leben.

3. 3. 2016 - 15:26

The daily Blumenau. Thursday Edition, 03-03-16.

Die zwei Gesichter. Die Wutbürgerei glaubt sich an den ökonomisch Schwächeren schadlos halten zu können. Und erkennt ihre Rolle als nützlicher Idiot nicht.

#demokratiepolitik #flüchtlingspolitik

The daily blumenau hat im Oktober 2013 die Journal-Reihe (die es davor auch 2003, '05, '07, 2009 und 2011 gab) abgelöst. Und bietet Einträge zu diesen Themenfeldern.
2016 wieder regelmäßig. Heute nach zwei recht unfreiwilligen Pause-Tagen.

Mit ihrem Neid auf die, die noch weniger haben, unterstützen die Wutbürger politisch wie ökonomisch nur die, die ohnehin genug haben und nichts abgeben werden; auch in einer möglichen patriotischen Polit-Zukunft. Trotzdem sind sie Opfer; die Täter sind die Nichtstuer innerhalb der politisch-wirtschaftlichen Elite.

Missgunst sharen anstatt Ursachen zu bekämpfen

Heute hat der Aktivist Georg Herrnstadt (den ich nicht nur als Schmetterlinge-Mitbegründer und Regisseur, sondern auch als Journalisten (etwa in der verblichenen Club 2-Redaktion kenne) in einem Standard-Kommentar der Anderen wieder einmal das wichtige Thema der innerhalb der Bevölkerung herrschenden und politisch gefährlich/explosiven Missgunst Ärmeren gegenüber aufgegriffen. Und dabei eine Karikatur beschrieben.

Bild 1: "Text: 62 Reiche besitzen so viel wie die (ärmere) halbe Menschheit. Darunter ist ein eher gelangweiltes Gesicht zu sehen".
Bild 2: "Text: Ein Asylwerber besitzt ein iPhone. Darunter feixt ein mit gebleckten Zähnen zornig-aggressiv bebendes Gesicht".

Das ist die Art von Aggression, die wiederum den anderen Teil der Bevölkerung, der mit Neid, Aufrechnerei und dem Radfahrer-Prinzip nicht viel anfangen können will, in die Aggression treibt. Was dann wiederum die vorhandene Spaltung der Gesellschaft Stück für Stück vorantreibt.

Herrnstadt betreibt anschließend sauber argumentierte und inhaltlich einleuchtende (sowie mit konstruktiven Vorschlägen versehene) Kritik an einer Elitenkultur, die - empathieheuchelnd - unter "Solidarität" Kürzungen bei den jeweils sozial noch Schwächeren versteht. Er begeht den Fehler, den einige, die sich über die erwähnte Karikatur erregen, also nicht. Und das ist gar nicht so leicht.

Die Geisterbahn-Gesellschaft ist im Rückwärtsgang unterwegs

Denn selbstverständlich ist der Mob, der seine Missgunst unter dem scheinbaren Schutz von nationalistischen und xenophoben Parolen kanalisiert und zunehmend sowohl in den Social-Media-Hallräumen und (vor allem in Deutschland, weniger im diesbezüglich feigeren Österreich) auch öffentlich, in Alltagssituationen erhebt, eine Geisterbahn-Gesellschaft im Rückwärtsgang. Der natürlich immer und immer wieder widersprochen werden muss.

Trotzdem ist ein Grundsatz, der diese Haltung der selbsternannten Wut/Protestbürger - die politisch am ehesten von den Identitären vertreten werden, die wiederum an die deutschnationale Volkspartei oder die Vaterländische Front andocken - nachvollziehbar: die Geschichte der beiden Gesichter.

Die Reichen werden nichts hergeben, also holt man's von den Armen

Gesicht 1 zeigt die Reaktion auf den nicht nachvollziehbaren Reichtum des berüchtigten (auch von Bernie Sanders bemühten) 1%, aber auch auf den unantastbaren Reichtum der heimischen Supereliten, der in manch unsauberer Interpretation bis zur oberen Mittelschicht reicht: dieses Gesicht spiegelt das Wissen, dass dagegen nichts zu machen ist. Weil die politischen Eliten, die wiederum den ökonomischen Eliten unterstehen, bzw. identisch sind, unangreifbar sind. Wenn Gates oder Zuckerberg eine Milliarde spenden oder in den Wirtschaftskreislauf pumpen, ändert das an der Verteilung nichts. Und mehr werden sie nicht tun (müssen). Und weil klar ist, dass die großen Nehmer in Österreich niemals im Leben aufgeblattelt (und in' Häfn gehen) wird, sinkt auch die Hoffnung auf eine gerechte nationale oder gar regionale Verteilung ins Bodenlose. Und wird bestenfalls durch Hunderter-Verteilaktionen, wie sie der populistische Ex-Landeshauptmann Kärntens durchgeführt hat, am Leben gehalten.

Selbst bei der seit Jänner in Kraft getretenen Steuerreform steigen die Ärmeren nur in der Prozent-Relation besser aus - in absoluten Zahlen sind die Besserverdiener, so ab der mittleren Mittelschicht besser dran. Und das, obwohl das ursprüngliche Modell aus dem Finanzministerium, das den Besserverdienern noch mehr ins Börsl wirtschaften wollte, eh noch deutlich abgefedert wurde.

Die, die wenig haben (Mindestgesicherte, Arbeitslose, Alleinerziehende, Gestrauchelte aller Art, Schlechtausgebildete) und die, die gefühlt zu wenig haben (der kleine Gewerbetreibende oder die von Abstiegsängsten getriebenen pragmatischen Anpassler aus der mittleren bzw. unteren Mittelschicht) wissen instinktiv (und richtigerweise), dass sie von jenen, die (ohne Wimpernzucken bzw. ohne allzu große Probleme) abgeben könnten, nichts zu erwarten haben. Nada. Auch weil es genau die sind, die die Regeln machen. So deppert kann der dümmste Mob nicht sein, dass er das nicht gecheckt hat.

Symbolbilder von tiefer emotionaler Destruktivität

Deshalb kommt es zu Gesicht 2: es ist nämlich schon etwas zu kriegen, es gibt was abzuzwacken - und zwar bei jenen, denen es auch Scheiße geht, die aber "nicht von hier" sind und entweder gar keine (Flüchtlinge) oder eine schlechtgelittene (EU) Lobby haben. Aktuell werden diesen Gruppen die Mindestsicherung bzw. das Kindergeld beschnitten.
Das bringt wenig ein und die Überschüsse werden sofort in Deckungen verschwinden, die keinem der Wutbürger zugute kommen werden. Darum geht es bei diesem destruktiven Ansatz aber nicht; es geht um Symbolpolitik. Es geht drum, sich besser zu fühlen, weil dem anderen auch was weggenommen wird. Das ist verhaltenspsychologisch zwar ansatzweise erklärbar aber von einer tiefen emotionalen Destruktivität durchdrungen, die sich bestenfalls über Symbolbilder wie "Merkel" - "Seehofer" (bzw. deren gesellschaftliches Basis-Modell) erklären lässt.

Wobei den politisch Verantwortlichen auch zugestanden werden muss, dass sie höllisch taktieren müssen wegen der Klientelpolitik, der Abhängigkeit von der Wirtschaft, womöglich sogar gesetzlichen Bestimmungen.

Was der Gesetzgeber könnte, aber wegen Lobby-Politik unterlässt

Die Gesetzgeber könnten - mit nur wenigen Einschnitten, die nur ganz wenigen, die über die Maßen haben, ein bisserl wehtun (Stichwort: Erbschafts-/Vermögens-/Spekulations-Steuer; oder einfach die echten Wirtschaftsflüchtlinge, die milliardenfachen Steuerhinterzieher) betreffen - die aktuellen Standards der Mindestsicherungen für die (auch bei uns) immer größer werdende Gruppe der working poor anheben, anstatt noch Ärmeren an ihren Groschen herum zu streichen. Denn mit 1.500 Euro - auch das führt Herrnstadt heute aus - eine Familie durch zu bringen, ist psychische und physische Schwerstarbeit.

Das wird aber solange Parteien, die die Interessen der Wirtschaft als Primär-Auftrag anerkennen (und in Österreich ist seit bereits Jahren keine andere mehr in der Regierung gewesen) an der Macht sind, nicht passieren.

Das hat auch die Wutbürgerei erkannt, straft es mit umfassendem Vertrauensentzug und überträgt ihre Stimme an die rechtspopulistischen Heimatparteien. Vielleicht (in Einzelfällen) sogar im Wissen (vor allem der Anführer) darum, dass die auch nichts ändern werden wollen/können - aber in der Hoffnung, dass sie halt zuletzt stirbt.

Einschub: Weil es keine andere Möglichkeit der Entladung gibt (was auch damit zu tun hat, dass es in Österreich, wo auch die Grünen bürgerlich agieren, keinen sich dazu als Alternative anbietenden linken Populismus im Sinn von Syriza, Podemos, der deutschen Linken, Corbyns Labour oder Sanders' Demokraten) gibt. Der auch nur einen kleinen Teil der System-Ungerechtigkeiten (etwa in Obama-Größe) ändern können würde; was aber immer noch mehr wäre als bei den Komplementären.

Außenfeinde, Innenfeinde, Weiterköcheln der Wutsuppe

Denn die jetzt (noch) Oppositionellen werden wenige Finger rühren, um das System in seinen Grundstrukturen zu ändern. Zum einen sind die nationalen Heimatparteien (auch die in Österreich) sehr eng mit den Wirtschafts-Eliten verbunden und zum zweiten sind die an einer weiterköchelnden Wut ja auch dann interessiert, wenn sie an der Macht sind. Das zeigen die Beispiele Polen und Ungarn derzeit prototypisch: Zuerst Außenfeind-Bashing (EU, Ausländer, Wirtschaftsflüchtlinge), dann Machtübernahme und Fortsetzung der Sündenbock-Strategie mit dem zum weiterhin bösen Außenfeind hinzukommenden Innenfeind (Juden, Roma, symbolisch auch Veganer, Radfahrer).

Die Heimatparteien achten gezielt darauf, dass sie Minderheiten attackieren, deren ökonomische Schwächung der Wirtschaft nicht schadet (weil sie zahlenmäßig zu wenige sind, oder eh schon außerhalb des klassischen Produkt-Kreislaufs stehen). Und sie werden darauf achten, dass sie das Wutbürgertum wie eine Miliz, eine Plebejer-Garde einsetzen, sie also mit immer neuen (strukturell den immer selben) symbolischen Akten gegen den inneren Feind, die im Gegensatz zur definitions- und wirtschaftsmächtige ökonomischen Elite gern als (subtextual sofort als überflüssig betrachtete) kulturelle Elite bezeichnet werden - und dieses langsam entstehende System erinnert mich erstmals seit langer Zeit wieder an ein überholt geglaubtes polithistorisches Vorbild.

Eine Grottenbahn-Fahrt in die falsche Richtung

Dem anonymen SM-Mob und der straßenaktiven Wutbürgerei ist zum Vorwurf zu machen, dass sie blindlings eine solche Entwicklung fördern; aber nur bis zu einem gewissen Grad. Denn für die Absichten, mit denen nützliche Idioten im Lenin'schen Sinn gesteuert werden, sind in erster Linie die Strippenzieher verantwortlich. Deren aktuelle Schuld zu benennen ist allerdings sauschwer: das billige Parolen-Mitschreien von auf einem Boden der Aussichtslosigkeit gewachsenen Blödsinn ist demokratisch legitim. Zugespitzte Polemik ebenso.

Handeln kann in dieser Situation nur die politische Elite - mit Unterstützung des Teils der ökonomischen Elite, dem etwas an der Aufrechterhaltung der Demokratie liegt; und da wüsste ich nicht, wer Ansprechpartner sein soll. Global gesehen vielleicht gerade Bono oder Zuckerberg, bei Page/Bryn oder Gates besteht ebenso wenig Sicherheit, wie bei den beiden Austro-Milliardären auf der neuen Forbes-Liste. Alle anderen Lösungsansätze jedenfalls sind nur kleine Fluchten in Sackgassen; oder (um im obigen Bild zu bleiben) Grottenbahn-Fahrt in die falsche Richtung.