Erstellt am: 29. 2. 2016 - 15:09 Uhr
The daily Blumenau. Monday Edition, 29-02-16.
#demokratiepolitik #flüchtlingspolitik
The daily blumenau hat im Oktober 2013 die Journal-Reihe (die es davor auch 2003, '05, '07, 2009 und 2011 gab) abgelöst. Und bietet Einträge zu diesen Themenfeldern.
2016 wieder regelmäßig.
Merkel und die Medien - siehe dazu auch Extra Edition, 17-07-15: Politik und Medien, Verkürzung und Analysefreiheit.
Ausgerechnet die lange Jahre als Aussitzerin und Antipolitikerin aktive deutsche Kanzlerin Angela Merkel definiert aktuell mit Taten und Worten das Wesen und die Aufgabe von Politik.
Die Krise der Flüchtlingspolitik ist eine Krise der Lösungsorientierung
Angela Merkel ist Politikerin.
Politik ist die Kunst, nein: das Handwerk des Möglichen, sucht Lösungen für anstehende Probleme.
Politik ist Praxis. Alles andere ist Ideologie, also wichtig um sich zu positionieren und um einen intellektuellen Unterbau zu schaffen. Politik überträgt die Konsequenz dieser Ideen auf die Handlungs-Ebene.
Die von vielen gedankenlos "Flüchtlings-Krise" genannte Krise der Flüchtlingspolitik Europas laviert in fast ganz Europa auf dem Level von Zurufen, bereitet maximal kurzfristige Relegungen auf, die weder die Ursachen der Fluchtbewegung aufarbeiten noch an einer konstruktiven und menschenrechtlich korrekten Lösung interessiert sind, auch unter Einbeziehung der Nationalstaaten und ihrer immer stärker zu diversen Heimatparteien tendierenden angstgefüllten Bevölkerungsteile.
Was hier von den politisch Verantwortlichen geboten wird, hat wenig mit Lösungsorientierung, also Politik zu tun. Auch gar nicht so viel mit Ideologie, sondern einiges mit einer bewussten Instrumentalisierung eines medialen und öffentlichen Alarmismus, der sich - unter großer Anstrengung im Erfinden von Ängsten - in verbal ausgebreiteter Fehlinformation begnügt und einem gezielten Handlungs-Nichts verliert.
Anmerkung zwischendrin, um die Politikerin Merkel in Relation zu setzen: sie ist auch Lobbyistin für die deutsche Auto-, Pharma- oder Waffenindustrie und hat haarsträubende EU-Gesetzgebungen unterstützt, sie ist als Chefin einer konservativen Partei, klassisch wirtschaftsfreundlich, gesellschaftspolitisch bewahrend, fährt eine Sicherheits- und Überwachungspolitik jenseits liberaler Standards und Transparenz. Das naive Bild als nächste Mutter Theresa (und womögliche Friedens-Nobelpreisträgerin) spiegelt diese Problemzonen nicht ansatzweise wieder.
Kurzfristigkeit, weil das Rückgrat für das Richtige fehlt
Gestern sagte Merkel in einem einstündigen Dialog mit Anne Will (ARD) folgendes: "Wir haben als Politiker eine Verantwortung. Ich kann eine Situation beschreiben; das ist schön, das kann man machen, wenn man Soziologe ist oder Journalist. Wir als Politiker haben die Aufgabe aus schwierigen Entwicklungen etwas Vernünftiges zu machen. Das ist das was mich treibt und was mich prägt." (ab 37:34)
Soll heißen: Zustands-Analysen für die Experten, alarmistisches Geschwätz für die Journalisten - aber Politiker handeln. Zitat: "Man ist nicht Politiker dafür, dass man die Welt beschreibt und sie katastrophal findet." Mit diesem Satz zerlegt die Kanzlerin das Arbeitsbild der Populisten; und das Selbstverständnis des Stammtisches.
Zwischen den Zeilen (bei 40:00) sagt Merkel dann auch, dass das, was diverse EU-Länder als grenzsicherungsmaßnahmen verkaufen, keine Lösung ist und dass die entsprechenden Politiker ihren Aktionismus auch selber keineswegs als Lösung betrachten. Also sich vom Alarmismus der Ränder treiben lassen und keine Politik mehr betreiben, sondern ablenken, für die Galerie spielen.
Und Merkel wird in der Folge deutlicher: Wenn man mit Unglauben an die Dinge herangeht, dann wird das auch nichts, sagt sie, und: "Ich kann mich nicht permanent mit kurzfristigen Lösungen befassen, weil ich vorbaue, dass die eigentliche Lösung, die jeder richtig findet, wahrscheinlich doch nicht klappt. So werden Sie nie Erfolge erziehen."
Wie gut Merkel selber auch immer diese Lösungen erreicht: allein ihr öffentliches Bekenntnis dazu, ihre strikte Ablehnung des politischen Tricksertums, ihr Abscheu gegenüber jeglichem Opportunismus erhebt sie derzeit weit über 95% ihrer Berufskollegen.