Erstellt am: 28. 2. 2016 - 15:51 Uhr
Ferien vom Ich
Die Romantisierung des eigenen Anderssein ist oft ein guter Motor. Eine Differenz zu einer so genannten, ganz sicherlich blöden Gesellschaft sich im Schädel zurechtformulieren.
Manchmal gilt es dann, mit den wenigen anderen Gleichgesinnten Ketten zu bilden, Widerstand und Gemeinschaften als Unruhe stiftende Kräfte erfinden. Gegen das Dreckssystem.
Manchmal aber ist man komplett alleine oder will sich so vorkommen. Meistens. Fühlt sich verwegener an, macht in der Hoffnungslosigkeit glücklicher. Dann muss man wegfahren. Aufbrechen und ausbrechen. Wohin, das weiß man mit Absicht nicht, dafür ist man dann aber auch schneller dort. Das Gras schmeckt immer auf der Seite besser, auf der man gerade nicht ist. Nie sein wird.
Staatsakt.
Hundert Lieder hat der Rock'n'Roll schon über das gute, alte Thema des jugendlichen Aufbegehrens geschrieben, über die Geschichte, die besagt, dass gegen die Verzweiflung, die Trauer, den Hass, vielleicht aber auch nur die Langeweile bloß noch die Flucht hilft. Wenn auch nur kurzfristig.
Hundert schöne Lieder werden noch darüber geschrieben werden, weil es die Wahrheit ist, ebenso wie eine funkelnde Fantasie-Vorstellung, die nicht Wahrheit werden muss.
So schöne Lieder wie die schöne neue Single der jungen Berliner Band Isolation Berlin. Es ist über diese sehr gute Band in der jüngeren Vergangenheit schon einiges gesagt worden. Sehnsucht, Wahn, Romantik, Melancholie, Nostalgie, Schmalz, Rebellion, Faust, Schweiß, alles spielt in ihrer Musik eine Rolle.
"Fahr weg" heißt das Lied ganz schlicht, und man weiß worum es geht. Zuhause nämlich ist alles doof, so weiß dieser Song: "Wenn der Fernseher dich zum Weinen bringt", so beginnt "Fahr weg", kurz später dann heißt es beispielsweise: "Und das fünfte Mal Wichsen dich auch nur deprimiert".
So gelingen Isolation Berlin in diesem Stück einige feine, simple Bilder, die die alten, altbekannten Sorgen und Zipperlein immergültig und neu dunkelgrau zum Leuchten bringen. "Wenn keiner dir zu helfen weiß, du jede Nacht ins Kissen beißt und heulst, als würdest du dafür bezahlt", so wird in der zweiten Strophe gesungen, ja, geheult, später dann: "Hyänen sind dein Freundeskreis, das Land, in dem du lebst, ein Jammertal".
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Es ist also eine völlig private Nabelschau, nicht einmal diese angeblichen Freunde sollen mitkommen dürfen auf diese Reise, die klarerweise, so erfahren wir im Refrain, wohin führen muss? Auf gradem Weg ans Meer, komplett unzynisch, unironisch, "den Möwen hinterher, so weit weg, wie es geht".
Die zentrale, oft wiederholte Stelle in "Fahr weg" ist ein gern bemühter Stehsatz: "Du hast nichts zu verlieren". Manchmal muss man das zu sich selbst sagen. Am Ende der Reise, am Ziel erwarten wir andere, bessere Seinsformen und rosige Zustände. Ein Ende, ein Ziel aber gibt es natürlich nicht.