Standort: fm4.ORF.at / Meldung: "Can't get enough of this girl"

Katharina Seidler

Raschelnde Buchseiten und ratternde Beats, von Glitzerkugeln und Laserlichtern: Geschichten aus der Discommunity.

29. 2. 2016 - 19:35

Can't get enough of this girl

Gesellschaftskritische Gedanken und Spaß passen auf Santigolds neuem Album "99c" leichtfüßig unter einen Hut: Unser FM4 Artist of the week.

FM4 Artist Of The Week

Empfehlungen der FM4 Musikredaktion

Anzahl an Streams von Songs der Band Portishead im letzten Jahr: 34 Millionen. Verdientes Geld durch diese Streams für die Bandmitglieder: kaum 2 200 Euro. Zahl der Likes bei einem Instagram-Post von Lady Gaga vor weniger als einem Tag: bis dato 187 Tausend. Preisschild auf dem neuen Santigold-Album: "99c", tatsächliche Kosten bei iTunes allerdings: 10,99 €. Dass das Verhältnis zwischen Klicks, Streams, Downloads und tatsächlichen, ja, CD-Käufen sich schon lange in der Schieflage befindet, ist kein Geheimnis.

Ergänzend zu Santigolds neuester Platte gibt es eine Santigold-App, Santigold-Socken, Santigold-Single-Premieren auf Tidal, Santigold-Teleshopping-Videos zu Produkten für bessere Selfies und überhaupt eine Website, die beim Durchklicken eine in Internet-Maßstäben gemessene Ewigkeit lang Spaß macht. Im Videoclip zur ersten Albumsingle "Can't get enought of myself" kann man auf magische Weise selbst auftauchen und winken und auf Instagram die Entstehung des wunderhübschen Albumcovers nachverfolgen.

Santigold 99c Albumcover

Warner Music / Santigold

"99c" von Santigold ist am 26.2.2015 bei Atlantic Records/Warner Music erschienen.

Man lehnt sich also nicht allzuweit aus dem Fenster, wenn man sagt, dass Santi White die Mechanismen des gegenwärtigen Popbusiness, in dem der Künstler als Marke und seine Ideen als Produkte meist mehr zählen als die Musik, verstanden und verinnerlicht hat. Tatsächlich ist ihr drittes Album "99c", veröffentlicht nach einer fast vierjährigen Musikpause, in der sie einen Sohn bekommen und Ausflüge ins Schauspiel- und Designerfach unternommen hat, eine Art Konzeptalbum über genau jene Thematiken. Am Cover liegt sie selbst in einer finalen Verkörperung der Grundidee als vakuumverpacktes Ausverkauftsprodukt im Popsupermarkt.

Und dennoch, trotz allem, oder: jetzt erst recht, zeigte bereits die Selbstbewusstseins-Hymne und erste Singleauskopplung "Can't get enough of myself" Santigolds Zugang, der das Gegenteil von verbittert oder zynisch ist. "99c" funkelt und blubbert vor Lebensfreude.

Santigold in Orange

Warner Music / Santigold

Inspiration holte sich White vor allem von amerikanischen Comedians, die ernste Themen ebenfalls in eine Form von Unterhaltung verwandeln, bei der einem das Lachen nicht im Hals stecken bleiben muss. Vor allem in den damit gemeinten, schnellen Wirbelwind-Stücken der Platte wie "Banshee" oder "Who I thought you were" ist Santigold ganz bei sich. Auch die Kollaboration mit dem Rapper iloveMakonnen auf "Who be lovin' me" geht mit sanft-dahinstolpernden Beats und dem verschlafenen, leicht windschiefen Gesang der beiden gut auf, und White traut sich an einer Stelle sogar selbst an die Raps heran.

Zwischen all den Schlenkerern von dick aufgetragenem Pop zu Reggae, Dancehall, Dub oder Weltmusik, den Indie-Elementen und schwelgerischen Synth-Pop-Balladen ("Run the races" mit Nick Zinner von den Yeah Yeah Yeahs an der Gitarre) verliert Whites Musik stellenweise an Kontur, was auch daran liegt, dass die Produktion der Platte im Allgemeinen glattpolierter als bei ihren früheren Arbeiten ausgefallen ist. Der ungestümere, punkigere Zugang früher Santogold-Großtaten wie "Say Aha" liegt nun endgültig in der Vergangenheit. Nichtsdestotrotz zementiert Santigold mit "99c" ihren Status als singuläre Künstlerin, außergewöhnliche Songschreiberin und überhaupt coole Socke, die man gerne auf der nächsten Party treffen würde.

All I wanna do is what I do well
Ain't a gambler but honey I'd put money on myself

Santigold

Warner Music / Santigold

Slays