Erstellt am: 25. 2. 2016 - 16:44 Uhr
The daily Blumenau. Thursday Edition, 25-02-16.
#demokratiepolitik #waffenexport
The daily blumenau hat im Oktober 2013 die Journal-Reihe (die es davor auch 2003, '05, '07, 2009 und 2011 gab) abgelöst. Und bietet Einträge zu diesen Themenfeldern.
2016 wieder regelmäßig.
Sind es "wir alle", die schuldhaft versagen, wenn anderswo Menschen durch Kriegsgerät aus Österreich sterben? Oder gibt es konkrete Verantwortliche, die womöglich sogar brauchbare Gesetze einfach nicht einhalten? Und: wessen Aufgabe ist eigentlich die Öffentlichmachung?
Hörer Roman, Politiker Pilz, Moral und Recherche
Gestern am Ende des nächtlichen Bonustrack: Anruf von Roman, der von einer Meldung erzählt, die er am Freitag beim Autofahren gehört hat (er spricht von den von den Kollegen des aktuellen Dienstes produzierten Radio-Nachrichten oder einem Journal). Nämlich von einer Unbedenklichkeitsbescheinigung, die das Außenministerium erstellt hätte, wonach eine österreichische Firma eine ganze Menge an Splitter-Granaten in den "arabischen Raum" an ein klar kriegsführendes Land liefern dürfe; was Peter Pilz aufgedeckt hätte.
Nun ist Hörensagen keine optimale Ressource; im Gegenteil - die Echoräume des Netzes sind durch das in 95% der Fälle als schieres Gequatsche enttarnbare hearsay fast schon zu Tode verstopft. Und viel mehr als diese Basic-Facts wusste Hörer Roman auch nicht. Was ihn nicht daran hinderte, sich ganz prinzipielle, moralische Gedanken zu machen und Verantwortung einzufordern, von allen mündigen Bürgern, die Kenntnis von solchen Vorgängen erhalten. Und dann schnell bei Lehrermangel, Flüchtlingselend etc zu landen. Legitim, wiewohl ich nichts davon halte alles mit allem zu verknüpfen, ehe das vorliegende Thema nicht halbwegs klar ausgearbeitet/ausgeforscht ist. Weil a) die Tücke oft im Detail steckt, weil b) auch die schnelle Aufstellung von Schuldigen nicht mehr als drögen Populismus darstellt und c) Forderungen an "uns alle" auch nicht mehr wert sind als die unendlich banale Betroffenheits-Prosa der Marke Sarah Lesch (also nichts).
Die Splitterbomben der Rheinmetall-Tochter in Schwanenstadt
Wirklich erhellend ist in solchen Fällen immer nur die konkrete Nachforschung. Auch weil nur damit mehr rauskommen kann als die Bestätigungs-Arie für die eigene Moral und die Schlechtigkeit der Welt, man also raus aus dem redundanten (und ein wenig selbstgefälligen) Anklage/Jammer-Radl kommt.
Die erste Auffälligkeit bei der Nachforschung: so richtig großes Medieninteresse war da nicht zu erkennen. Nicht die parlamentarische Anfrage des Abgeordneten Pilz wurde von einem (in Standard, im Kurier oder der Presse veröffentlichten) APA-Text aufgegriffen, sondern ein Aufdecker-Report des Spiegel vom 9.1. des Jahres, der das Auftauchen der Splittergranaten Dezember 2014 dokumentierte, als saudische Militärs eine Demonstration, die gegen das Urteil des dann 2015 hingerichteten schiitischen geistlichen Al-Nimr protestierte.
Und das ist die zweite Auffälligkeit. ins Rollen kommt derlei nur, wenn ein globaler Aufdeckungs-Player (wie der Spiegel) in ein Thema eintaucht. Die Splitter-Granaten (dazu da Stahl-Barrieren zu durchbrechen, der Zynismus solche Waffen gegen zivile Proteste einzusetzen, ist unermesslich) werden von der Düsseldorfer Rheinmetall bzw ihrer österreichischen Tochterfirma "Rheinmetall Waffe Munition Arges GmbH" in Schwanenstadt hergestellt.
Das Außenministerium empfiehlt, das Innenministerium genehmigt
Ein Firmensprecher gab an dass es sich dabei nur um Reste einer alten Lieferung handeln könne und man der Sache nachgehen wolle. Die Rheinmetall blickt auf eine ruhmlose Geschichte samt NS-Zwangsarbeitern zurück und setzt diese Linie auch mit engen Kooperationen mit dem Autohersteller MAN und den Drohnenexperten Cassidian (vormals EADS, mittlerweile auch schon wieder umbenannt) auch heute fort. In Deutschland kam man nicht nur durch die Export von Leopard-Panzern nach Saudi-Arabien ins Gerede, sondern auch wegen Bestechungsvorwürfen im Rahmen von Waffenlieferungen an das 2013 schon finanziell ohnehin kaputte Griechenland; und einiger anderer Aktivitäten mehr.
Sprecher des österreichischen Innenministeriums, das bei Exporten der Schwanenstädter Außenstelle zuständig ist, gab an, dass die von der Rheinmetall Arges beantragten Exporte nach Saudi-Arabien nicht genehmigt wurden.
Danach, ebenfalls durch die Spiegel-Geschichte alarmiert, tritt das Büro von Peter Pilz (der eine gewisse Expertise in Waffenexporten und deren Verschleierungsversuchen hat) auf den Plan. Am 15.1. veröffentlicht er eine parlamentarische Anfrage, die eine kleine Chronologie der Export-Genehmigungen und Verweigerungen enthält. 2010 genehmigt das Innenministerium (damals unter Maria Fekter) nach Empfehlung des Außenministeriums (Michael Spindelegger) Exporte von 9000 Splitterbomben nach Saudi-Arabien, die dort an die Special Forces (die die oben erwähnte Aktion durchführten). 2012 und 2014 lehnte das Innenministerium (jetzt unter Mikl-Leitner) ab.
Schmähtandlerei der Ertappten und der Umweg über Abu Dhabi
Das bedeutet: der vom Rheinmetall-Sprecher erwähnten "alte Lieferung" muss man keine zehn Sekunden nachgehen, um sie mit 2010 zu verorten. Die "Wir untersuchen das mal"-Rhetorik hatte den Sinn Zeit zu gewinnen und auf das mediale Vergessen zu hoffen. Und: die Auskunft des Innenministeriums weigerte sich vor die Mikl-Leitner-Amtszeit zurückzudenken. Keine Falschaussage, aber schwer situationselastisch, und vom Ministeriumssprecher hier mit dem schmähtandlerischen Vergnügen eines alten Kananiers rklärt.
Das heißt weiter: das offizielle Österreich hat etwa 2011 erkannt, dass Saudi-Arabien gegen zumindest eine der gesetzlichen Parameter, die zur Genehmigung für Waffenexporte nötig sind, verstoßen: da die Saudis offiziell keinen Krieg führen (und auch weil die informelle Unterwerfung des Jemen erst später begann), kann es nur die Bestimmung sein, dass das Kriegsmaterial nicht zur Unterdrückung der Menschenrechte eingesetzt werden darf.
Am 17. Februar berichtet Pilz auf seiner Facebook-Seite über die (schriftliche) Beantwortung einer erweiterten Anfrage an die Ministerin im Innenausschuss, nämlich: Welche Kriegsmaterialexporte nach Abu Dhabi hat das BMI in den letzten Jahren genehmigt?
Menschenrechtsunterdrückung, gesetzwidrige Exportgenehmigungen
Abu Dhabi ist die Hauptstadt und das zweitgrößte Emirat der Vereinigten Arabischen Emirate, die - vor allem wegen der Politik des Mitgliedsstaats Dubai - ein weltoffenes Image genießen (ganz im Gegensatz zu den unabhängigen Nachbar-Staaten Katar oder Bahrein) und deshalb weder als kriegsführend noch als menschenrechtsunterdrückend (im Sinn des Waffenexport-Gesetzes) eingestuft werden. Die Antwort: 2016 wurden vom BMI folgende Exporte nach Abu Dhabi genehmigt: "Granaten: 285.379 - Granatwerfer: 68 - Gewehre: 399 - Maschinenpistolen: 81 - Munition: 101.500 - Panzerminen: 16.128".
Pilz erinnert dann daran, dass Streitkräfte aus Abu Dhabi 2011, gemeinsam mit den Saudis, dabei halfen den Arabischen Frühling, also eine Demokratiebewegung, beim Nachbarn Bahrein (das kollektive Gedächtnis erinnert sich an Vorkommnisse am Rande eines Formel I -Rennens) niederzuschießen. Auch beim unerklärten Krieg im Jemen kämpft Abu Dhabi an der Seite der Saudis, etwa auch mit Hirtenberger Munition und Steyr-Sturmgewehren.
Und auch mit im Juli 2015 exportierten Rheinmetall-Splittergranaten (150.000 Stück) aus Schwanenstadt. Das Außenministerium (unter Sebastian Kurz) ließ prüfen ob Abu Dhabi ein kriegsführender Staat sei und kam zu einem Alles-Okay!-Ergebnis. Im Oktober musste die Gesetzwidrigkeit der Exportgenehmigung eingeräumt werden - die Genehmigung wurde zurückgezogen. Ex existieren keine zugänglichen Aufzeichnungen darüber, wie viele der Granaten in der Zwischenzeit ausgeliefert wurden.
Eine Granate von Unbedenklichkeitsbescheinigung
Da ist sie endlich: die in den Hörfunk-Nachrichten erwähnte und von Roman gehörte Unbedenklichkeitsbescheinigung für die Splitterbomben-Exporte. Und es tauchen auch wieder (diesmal sogar eigenrecherchierte) vereinzelte Berichte (einer im Standard, einer in der Presse) auf, die das Außenministerium damit zitieren, dass alles gesetzeskonform abgelaufen sei. Die kurze quasi gesetzwidrige Phase zwischen Juni und Oktober 2015 wird nicht mehr erwähnt. Was aus dem von Pilz geforderten Treffen im Rahmen des Nationalen Sicherheitsrat zwischen Kanzler, Außenminister und Innenministerin wurde, ist unklar.
Auf Pilz' Homepage finden sich unter den zumeist von lobbyierenden Trollen geschriebenen Kommentaren auch die klassische "Wenn wir's nicht machen, dann geben die anderen denen die Waffen und dann leidet die Wirtschaft"-Argumentation. Die mag von Hörer Roman und jenen, die an moralischen Anklagen interessiert sind, geführt werden. Solange aber die gesetzlichen Bestimmungen vergleichsweise eindeutig sind (keine Exporte in kriegsführende oder menschenrechtsverletzende Staaten) und die Belegbarkeit von bewaffneten Konflikten, Niederprügelung von demokratisch legitimierten Protesten durch new-media-tools zunehmend stärker und leichter wird, sind die zuständigen Ministerien in der Verantwortung.
Es gibt also konkrete Adressaten.
Und Mandatare, also für Kontrolle Zuständige innerhalb demokratischen System, die hier konkrete Arbeit leisten müssen. Parteiübergreifend. Nicht nur im Sinn der Menschenrechte, sondern auch im Sinn der österreichischen Gesetze. Und das sind nicht, wie Roman meint, "wir alle", sondern Mandat-Träger, die "wir alle" (direkt oder indirekt) für diesen Job delegiert haben.
Es sind nicht einmal "wir alle" Journalisten, die schuld daran sind, dass dieses Thema nicht das Gewicht erhält, das es verdienen würde, und so unter dem Aufmerksamkeits-Radar durchfliegt - denn immer dann wenn eine öffentliche Politiker-Site mehr und bessere Infos enthält als ein Medium, ist die Kacke am Dampfen. es sind auch hier die Verantwortlichen, die gesellschaftliche zugunsten von ökonomischen Interessen hintanstellen. Auch da sind die Adressaten klar.