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Christoph Sepin

Pixel, Post-Punk, Psychedelia und sonstige Ableger der Popkultur

25. 2. 2016 - 15:28

Ich und die Maschine

Chris Corner im Gespräch über Depression, Neuanfänge und die neue IAMX-Single "North Star".

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Chris Corner ist gerade in Berlin und übt für die aktuelle Tour als ich mit ihm über seinen neuen Release spreche. Viel hat sich verändert in der Zeit zwischen den beiden letzten Alben, dem 2013 erschienenen "The Unified Field" und dem im Oktober veröffentlichten "Metanoia".

In der deutschen Hauptstadt ist Chris, besser bekannt als IAMX und ehemaliger Sneaker Pimp, nur mehr zum Proben: Der langjährige Wahlberliner hat Europa hinter sich gelassen und ist ins warme Los Angeles gezogen. "Es war definitiv die beste Zeit für mich um weiterzuziehen. Alles was mit Berlin zu tun gehabt hat, war viel zu sehr mit Stress verbunden. In LA habe ich ein paar Freunde, das gute Wetter hat bei der Entscheidung geholfen, aber es war auch praktisch, weil ich dort arbeiten konnte. Es war definitiv die beste Zeit umzuziehen."


"Metanoia" ist das persönlichste IAMX-Album bis jetzt, ein Album über die psychische Erkrankung von Chris, über die schwere Depression, die ihn 2013 in einem Winter in Berlin übermannt hat. IAMX benötigte einen Neuanfang, einen Reboot, eine Metanoia. "Im Kontext von dem was ich mache, ist es wie eine psychologische Wiedergeburt, sich zu verändern, um etwas besseres, stärkeres zu werden", sagt Chris.

Wie es ihm geht seit der Veröffentlichung des Albums, frage ich ihn: "Was mich am meisten überrascht hat, war wieviel Liebe und Support von allen Seiten für mich gezeigt wurde, als ich meine persönlichen Probleme offen gelegt habe. Und wie die Fans sich für mich erwärmt und mich supported haben. Sehr viele Leute wollen über Themen wie Depression, Schlaflosigkeit oder psychische Erkrankungen nicht reden. Da wird man nervös weil man nicht weiß, ob das auch so akzeptiert werden wird von den Leuten und ob die das überhaupt hören wollen. Aber das Gegenteil war der Fall und das war sehr belohnend für mich."

Chris Corner

IAMX / Laurence Demaison

"Noch bevor Metanoia rausgekommen ist, habe ich einen Blogeintrag über meine Erfahrungen geschrieben. Viele Leute konnten sich darin wiederfinden, weil sie ähnliche Erfahrungen hatten. Das gab mir das Selbstbewusstsein mit dem Album dann den ganzen Weg zu gehen."

IAMX und seine Fans, die sind wie ein Kollektiv. Alben werden über Crowdfunding finanziert, durch Kommentare am Blog werden Erfahrungen ausgetauscht. "Es fühlt sich an wie eine menschliche Maschine," sagt Chris. "Die Fans tragen mich, ich trage sie. Das ist seltsam, denn meistens haben Künstler so eine Verbindung mit ihren Fans nicht. Aber das ist ein Teil von dem was mich erhält, dass es andere wunderschöne Freaks da draußen gibt, die mich für das akzeptieren was ich bin."

Am Nachmittag des Konzerts in der Wiener Arena Ende November kam ich vor der Halle mit einem wartenden Fan von IAMX ins Gespräch. Sie wäre mehrere Stunden extra für das Konzert nach Wien gefahren, erzählte sie mir, und jetzt macht es ihr nichts aus, noch ein paar Stunden vor der Venue in der Kälte zu warten, wenn das bedeutet, dass sie auch sicher in die erste Reihe kommt. Chris weiß, wie passioniert seine Fans sind, da geht es um mehr als nur die Musik: "Die Liebe, die ich bekomme, ist schon außergewöhnlich. Da habe ich schon sehr viel Glück. Manche Leute können einfach so in der Musikindustrie funktionieren, das könnte ich nie, ich brauche diesen extra psychologischen Funken."

Die deutlichen Veränderungen waren nicht nur im persönlichen Leben notwendig, auch der Sound des neuen Albums ist deutlich reduzierter und minimaler: "Das waren praktische Gründe. Eine meiner ersten Entscheidungen war, die Dinge in meinem Leben zu simplifizieren. Ich habe mich dazu entschieden, keine Kollaborationen zu machen, keine komplizierten Aufnahmen und in keine teuren Studios zu gehen. Also endete das Ganze dort, wo ich ursprünglich mit IAMX angefangen habe: Mit einem Computer, einem Mikrofon und einem kleinen Raum. Einem Raum, der auch überall sein konnte. Das war für mich der erste Schritt um die Erfahrung angenehm und stressfrei zu machen. Alles so zu reduzieren war ganz neu für mich und auch spannend. Ich wollte alles minimal halten und mich auf die Lyrics und die Message fokussieren."

Letzten Endes war es dann auch befreiend, ein Album so zu machen: "Ich habe so realisiert, um was es im Projekt eigentlich geht: Um mich und die Maschinen. So bin ich zurück zu den Wurzeln gegangen, zurück zur Essenz von IAMX."

Die hört man auch auf "North Star", der neuen Single von "Metanoia", einem wummernden Elektronik-Track der langsam über hallende Arpeggios heranwächst. "Ich will, dass die Leute sich in der Musik verlieren", sagt Chris über den hypnotischen Sound des Releases. "Ich liebe Rhythmen, und atmosphärische Rhythmen zu kreieren ist sehr wichtig für mich. Und ich hoffe, dass die Leute nach dem Hören auch einen tieferen Sinn von Hoffnung mitnehmen können. Deswegen mache ich Musik, es ist eine Art Therapie für mich und im Endeffekt soll IAMX ein Projekt sein, das Hoffnung gibt."

"North Star" ist genau aus dieser Intention Hoffnung zu geben heraus entstanden, mitten in der kalifornischen Wüste: "Ich habe eine kleine Hütte in der Mojave-Wüste, dort habe ich das Album gemacht. Ich konnte mich nicht erinnern, wann ich das letzte Mal so klare Nachthimmel gesehen habe wie dort. Da dachte ich an den North Star und die Hoffnung, die er symbolisiert und wie er Leuten den Weg zeigt. Ich dachte, das könnte ein gutes Gleichnis sein: Durch eine schwierige Zeit zu gehen und sich dann selbst wiederzufinden."

Nach Österreich kommt Chris Corner auch auf dieser Tour wieder, am 10. März nach Linz in den Posthof und am 11. März ins Grazer ppc. Was man von den Konzerten dort erwarten kann: "Die Shows sind immer noch sehr 'High Energy'. Im Moment gibt es weniger langsame Sachen im Set, das ist eher harte, tanzmotivierende Elektronik. Wir haben zwei Keyboardplayer dabei, einen Live-Drummer und den üblichen existenziellen Overload."

Chris Corner

IAMX / Saryn Christina

IAMX-Shows sind aber nicht nur Orte zum Musikhören. Wer schon mal bei einem Konzert der Band war weiß, dass die auch sehr schöne Möglichkeiten bieten, mal wieder so richtig verkleidet aus dem Haus zu gehen. Ob er ein paar Dress-Up-Tipps hat, will ich von Chris wissen: "Das ist eine der ganz tollen Sachen an diesem Job, dass man mit der eigenen Theatralik spielen kann und Spaß damit haben kann. Zurzeit haben wir ein eher mysteriöses, härteres Ding, also mehr in die Richtung sich verkleidungstechnisch im Hoodie zu verstecken. Aber wir haben immer noch sehr viel Glitter, den wir herum werfen. Also ist mein Tipp: Tränkt euch in Gold und Glitter und kommt so zur Show. Oder kommt nackt, wenn ihr wollt, das wäre auch gut."

Und was steht als nächstes an für IAMX nach der großen Tour? "Es gibt ein paar Kollaborationen, die ich vielleicht mit Leuten in LA machen werde. Und früher oder später werde ich mein Akustik-Album veröffentlichen, von dem ich schon seit einer Ewigkeit rede. Vielleicht mache ich das dann wenn ich 80 Jahre alt bin."