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Pia Reiser

Filmflimmern

26. 2. 2016 - 08:29

Die vierte Gewalt

Journalisten decken einen Missbrauchsskandal innerhalb der katholischen Kirche auf - und dessen systematische Vertuschung. "Spotlight" erzählt nüchtern aber mitreißend eine wahre Geschichte und beweist, dass Worte ebenso große Macht wie Bilder im Kino haben.

Und wieder geht Micheal Keaton energetisch Gänge entlang, diesmal allerdings ohne omnipräsente Vogelkreatur wie in "Birdman" im Gepäck, nicht angetrieben vom herrlichen Soundtrack von Antonio Sanchez, sondern von einem fiebrigen Arbeitsethos. Mit halbhochgekrempelten Ärmeln, der Uniform der männlichen, amerikanischen Journalisten, spielt Keaton Walter Robinson, den Leiter der "Spotlight"-Abteilung des "Boston Globe", einem Team, betraut mit Themenkomplexen, die langfristig recherchiert werden. "Spotlight" ist auch der Titel des Films von Tom McCarthy, der die wahre Geschichte erzählt, wie diese Journalisten im Jahr 2001 einen weitreichenden Kindermissbrauchsskandal innerhalb der katholischen Kirche aufdecken - und dessen systematische Vertuschung.

Michael Keaton und Mark Ruffalo in "Spotlight"

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Willkommen in Boston

Marty Baron, neuer Chefredakteur des Boston Globe, gibt dem "Spotlight"-Team den Auftrag bei der Angelegenheit um einen Priester, dem zahlreiche Vergewaltigungen von Kindern vorgeworfen werden, weiter zu recherchieren. "We need to focus on the institution, not the individual priests. Practice and policy; show me the church manipulated the system so that these guys wouldn't have to face charges, show me they put those same priests back into parishes time and time again. Show me this was systemic, that it came from the top, down."
Baron - fantastisch stoisch und deswegen so eindrucksvoll gespielt von Liev Schreiber, ist hier der Außenseiter, den es oft braucht, um neue Blickwinkel zu gewinnen. "An unmarried man of the Jewish faith who hates baseball", so wird er im Film beschrieben. Willkommen in Boston.

Liev Schreiber in "Spotlight"

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Und so werden die Hemden von Keaton, Mark Ruffallo und Brian d'Arcy James noch ein bisschen weiter raufgekrempelt - und Rachel McAdams packt mangels Hemdkrempelgeste Ersatzkulis ein - und die Arbeit beginnt. "Spotlight" ist das Protokoll des langwierigen Prozesses der Recherche, eine Chronik des Journalistenalltags bevor das Internet als Recherchequelle und Publikationsort so richtig erblüht ist. Im Jahr 2001 laufen im Großraumbüro die Festnetztelefone noch heiß und man kann die Kopiererluft förmlich riechen. Wir sehen die Journalisten telefonieren, an Türen klopfen, durch Akten und Archive wühlen, mit Zeugen und Opfern sprechen.

Keine Tränen

Um wahre Geschichten in die schmackhafte Kuchenform der Leinwandadaption zu pressen, wird häufig an Dramatikpulver nicht gespart. Da werden gern mehrere Figuren zu einer zusammengelegt und die dann noch um ein persönliches Drama ergänzt, weil man soll ja nur nicht aus dem Kinosaal kommen, ohne nicht ein paar Tränen vergossen zu haben. (Ich schau da in deine Richtung "Danish Girl"). "Spotlight" verweigert dies alles. Über die Journalisten wissen wir kaum mehr, außer, dass sie Journalisten sind. Wenn wir Sacha Pfeifer oder Brian James d'Arcy doch mal bei sich Zuhause sehen, dann hat das einen triftigen Grund. Dann zeigt Spotlight, wie die Arbeit der Journalisten auf ihr Privatleben Einfluss hat. In anderen Filmen wär das dann ein Beziehungsstreit über Wochenstunden, hier geht es um moralische Prinzipien. Begleitet man die Großmutter, der die Kirche so wichtig ist, immer noch zur Messe, nach alldem, was die Recherche ans Tageslicht gebracht hat, aber noch nicht veröffentlich wurde? Wenn man weiß, dass in einem Haus in der Nachbarschaft Priester wohnen, die bereits Kinder missbraucht haben, ist man dann nicht verpflichtet, Freunde, die Kinder haben, drauf hinzuweisen?

Journalisten bei einer Besprechung, Szenenbold aus "Spotlight"

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Keine Flashbacks

"Spotlight" hat nichts davon, was vor allem Kritiker beständig vom Kino einfordern, keinen Rausch der Bilder, keine visuellen Offenbarungen, die Herzklopfen verursachen. Die Ästhetik des Films ist eigentlich fast ein Desinteresse dafür, die Bilder von "Spotlight" haben nichts filmisches und doch ist dieses Drama ein fantastischer Film. „Spotlight“ ist der Beweis, dass auch Dialoge für Faszination im Kino sorgen können, ohne, dass sich ein Film den Vorwurf der Theaterhaftigkeit gefallen lassen muss. Und, dass ein Drehbuch genauso glänzen kann wie Kameraarbeit. "Spotlight" ist nüchtern, doch das gewollt, hier schwingen die Journalisten keine Reden zur Lage der Nation. Akribisch und detailliert schlüsselt Tom McCarthy die Entstehungsgeschichte einer Artikelserie auf. Der Missbrauch ist thematisch stets präsent, doch wird nicht in verschwommenen Flashbacks bebildert. Das Opfernarrativ, das so viele der amerikanischen Filme nährt, wird hier ausgespart, "Spotlight" gefühlsmanipuliert sein Publikum nicht.

Rachel McAdams in "Spotlight"

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Die vielleicht irritierendste Szene beinhaltet Bilder, die jeder von uns schon unzählige Male gesehen hat - nur noch nicht auf diese Art. Der 11. September 2001, ein Datum, das mit voller Wucht eine Zäsur in die Geschichtsschreibung schlug, ist hier die Fußnote einer ganz anderen Geschichte. Auf einem kleinen Bildschirm in der Redaktion des "Boston Globe" sehen wir ein Flugzeug in den Twin Tower einschlagen, davor stehen die Journalisten mit verschränkten Armen bzw Notizblöcken. Keine Tränen, kein einander-in-die-Arme fallen, keine anschwellende Musik. Im Fernsehen hält der Erzbischof eine Rede, die der Nation Trost spenden soll, doch das Publikum weiß bereits, dass man Cardinal Bernhard Law nicht unbedingt trauen soll. 9/11 filmisch nicht in ein emotionales Narrativ zu verwandeln, das geht natürlich erst 15 Jahre nach den Anschlägen, trotzdem macht schon alleine die Art und Weise, wie McCarthy diese Sequenz erzählt, "Spotlight" interessant.

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"Spotlight" startet am 26. Februar 2016 in den österreichischen Kinos

9/11 als Fußnote

In all seiner trockenen Erzählweise vergisst der Film natürlich nicht auf sein Publikum. Ziemlich genau an dem Punkt, an dem man eigentlich angesichts der systematischen Vertuschung des jahrelangen Missbrauchs von Kindern, als klar wird, wie lang der Arm der Kirche ist und wie sie an politischen Fäden zieht, brüllt Mark Ruffalo seine Frustration in die Welt hinaus und Michael Keaton ins Gesicht. "Spotlight" macht die Journalisten nicht zu Helden, im Gegenteil, immer wieder erinnert der Film daran, dass bereits Jahre zuvor Hinweise auf Missbrauchsfälle in der Kirche beim "Boston Globe" eingegangen sind, denen man gar nicht oder nur halbherzig nachgegangen ist. Eine ganze Stadt hat weggeschaut. Wie sagt Stanley Tucci als Anwalt If it takes a village to raise a child, it also takes a village to abuse one. McCarthy beschwört die der Bedeutung und Macht der Presse hier so völlig ohne Pathos und fliehende Fahnen, ohne beschwörende Reden von the truth und aus den Hauptfiguren weder Helden noch Märtyrer. "Spotlight" bemüht sich genauso objektiv zu sein, wie der Journalismus von dem es erzählt, es setzt auf die Macht des Wortes und beschwört den Glauben an die Presse als vierte Gewalt.

"Spotlight" ist makelloses Handwerkskino, mit seiner Nüchternheit, einem Ensemble statt eines Stars und seiner Zurückhaltung das genaue Gegenstück zu "The Revenant" - und wohl auch sein größter Konkurrent.