Erstellt am: 24. 2. 2016 - 19:12 Uhr
Flüchtlingsnot in Hellas
Ein Schweinekopf und ein Holzkreuz auf dem Zaun eines neu eingerichteten Flüchtlingslagers in Athen - dieses makabere Bild ging Anfang der Woche durch die sozialen Medien. Es war die Aktion einer Gruppe von Bewohnern des Ortes. Ähnlich hatten im Herbst die Einwohner in einem holländischen Dorf reagiert, als Flüchtlinge dort untergebracht wurden. Es mag in Griechenland ein Ausnahmefall sein. Immer noch steht die Mehrheit der Griechen solidarisch den Flüchtlingen gegenüber - trotz der eigenen finanziellen Not wegen der lang anhaltenden Krise und dem extremen Druck durch die EU.
Einwohner und lokale Behörden haben hunderte Flüchtlinge zu versorgen versucht, die stundenlang in verschiedenen Orten Griechenlands in Reisebussen oder Notunterkünften warten mussten, um weiter an die Grenze zu kommen.
Salinia Stroux
Aus Angst vor einem Stau im Grenzort Idomeni, wo am Mittwoch mehr als 3000 Flüchtlinge warteten, hat die Polizei in den letzten Tagen versucht, die Fahrten an die Grenze zu verlangsamen. Manche Flüchtlinge haben am Dienstagabend mit ihren Kindern unter freien Himmel geschlafen, andere haben sogar versucht, zu Fuß die Grenze zu erreichen. "Griechenland verwandelt sich in einen riesigen Hot Spot", war die Schlagzeile in vielen griechischen Medien. Migrationminister Mouzalas sagte am Dienstag, dass um die 12.000 Menschen in Griechenland festsitzen. "Wir haben die Situation im Griff", betonte er.
Doch Griechenland fühlt sich von mehreren EU-Mitgliedern in Stich gelassen zu sein, vor allem von Österreich. Auf die Westbalkankonferenz in Wien am Mittwoch wurde Griechenland nicht eingeladen.
Dies sei eine politisch und rechtlich inakzeptable Handlung die die bisherigen EU-Entscheidungen widerspreche, so die griechische Regierungsprecherin. Es sei eine Art Putsch, dass Vereinbarungen nicht gehalten werden, die auf der EU-Ebene getroffen wurden, sagte Mouzalas. Er bezieht sich auf die Entscheidung Mazedoniens, seit Sonntag keine Flüchtlinge aus Afghanistan mehr durchzulassen, als Reaktion auf die Verschärfung der Einreisebestimmungen in mehreren Ländern.
Laut Medienberichten versprach auf dem letzten EU-Gipfel die Bundeskanzlerin Angela Merkel Athen, dass die Grenzen bis zum 6. März offen bleiben. Das ist der Termin, an dem der Sondergipfel der EU mit der Türkei geplant ist. Dabei haben Länder wie die Slowakei oder Polen, die gegenüber Griechenland sehr kritisch eingestellt sind, nicht einmal eine Decke für die Flüchtlinge gespendet, so Mouzalas.
Auf der Westbalkankonferenz einigten sich Wien und die Balkanstaaten auf die Reduzierung der ‘Flüchtlingszustroms’. Athen hofft jetzt auf die politische Unterstützung von Ländern wie Deutschland oder Frankreich um seine Positionen durchzusetzen.
Salinia Stroux
Die Situation in Griechenland könnte sich sehr schnell zuspitzen. Laut Schätzungen kommen durchschnittlich um die 2.000 Flüchtlinge täglich nach der gefährlichen Überfahrt durch die Ägäis an. Und nur wenige schaffen es weiter nach Mitteleuropa. Seit Anfang des Jahres sind mehr als 100.000 Schutzsuchende in Griechenland gelandet und man schätzt, dass es weiterhin sehr viele Ankünfte geben wird.
Die griechische Regierung hat im Ort Schisto bei Athen ein Flüchtlingslager eingerichtet, in dem zurzeit 2000 Personen untergebracht werden können. Ähnlich ist die Kapazität in dem neueingerichteten Lager in Viavata bei Thessaloniki. Dazu gibt es noch ein Massenlager in einer ehemaligen olympischen Einrichtung im Athener Stadtteil Elliniko. Dort können um die 1000 Flüchtlinge untergebracht werden. Im offenen Transitlager in Elaionas in Athen liegt die Kapazität bei mehr als 700. Und der UN-Flüchtlingsrat will noch 20.000 Plätze in Appartements und Hotels schaffen. Schon bis Ende des Monats plante das UNHCR 400 Wohnungen anzumieten, in denen jeweils fünf Personen untergebracht werden können.
Die meisten Flüchtlingslager, sowie Solidaritätsstrukturen sind inzwischen voll. Laut Angaben des Verteidigungsministers gibt es gerade 13.000 Plätze in bestehenden Strukturen in ganz Griechenland. Auf dem Viktoria-Platz sowie in Parks der Athener Innerstadt, fangen Schutzsuchende wieder an, unter freiem Himmel zu campieren, wie es schon im Sommer der Fall war, als der inoffizielle Grenzübergang in Idomeni noch nicht offen war.
Die Afghanen, die jetzt nicht mehr durch können, machen etwa 20-30 Prozent der Flüchtlinge aus, die in Griechenland ankommen. Laut einer UNCHR-Studie fliehen über 70 Prozent dieser Flüchtlinge vor Konflikten und Gewalt. Die EU-Kommission warnte angesichts der Situation der Flüchtlinge vor einer humanitären Krise.
In einer Erklärung von EU-Migrationskommissar Avramopoulos und der niederländischen Ratspräsidentschaft heißt es, die Länder der Balkanroute müssten die europäischen Regeln befolgen und die Auswirkungen ihrer Handlungen auf die Nachbarstaaten beachten.
In Athen sind Helfer und Menschenrechtorganisationen alarmiert. Die griechische Union für die Menschenrechte wies in einer Erklärung darauf hin, dass die Flüchtlingsrechte verletzt werden - wegen des geplanten NATO-Einsatzes in der Ägäis und der Tatsache, dass Flüchtlinge in die Türkei zurückgeführt werden sollen. Dazu sei Griechenland gar nicht dazu bereit, mit der Situation umzugehen. "Griechenland wird wieder zu einem Einwanderungsland, aber scheint nicht bereit zu sein, trotz der dringenden Notwendigkeit dazu".
Die Regierung überlegt, in alten Kasernen weitere Aufnahmelager zu schaffen. "Wenn die Grenze (zu Mazedonien) für Afghanen nicht bald wieder geöffnet wird, dann wird binnen acht Tagen die Aufnahmefähigkeit Griechenlands erschöpft sein", warnte am Dienstag die Sprecherin der Hilfsorganisation Ärzte ohne Grenzen.
Da Flüchtlinge weiterhin nach Griechenland kommen, aber nicht mehr weiterreisen können, wird sich die Lage binnen kurzem dramatisch zuspitzen, fürchtet auch die liberale Online-Zeitung To Vima: "Die Situation wirkt nur noch chaotisch und nicht wenige fürchten Ausschreitungen und unkontrollierbare Ereignisse in naher Zukunft. Die Politiker der Kommunen bezeichnen sich selbst bereits als 'Verwalter des Chaos', weil sie von nirgendwo Hilfe bekommen. Griechenland könnte sich in der Tat in ein Menschenlager verwandeln, eine Risikozone für Flüchtlinge und Einwohner", so die Zeitung.