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Martin Blumenau

Geschichten aus dem wirklichen Leben.

23. 2. 2016 - 17:31

The daily Blumenau. Tuesday Edition, 23-02-16.

Die Präsidentschaftswahl 2016 - vor wenigen Monaten noch für eher unwichtig gehalten - kann die 2. Republik aus den Angeln heben.

#demokratiepolitik

The daily blumenau hat im Oktober 2013 die Journal-Reihe (die es davor auch 2003, '05, '07, 2009 und 2011 gab) abgelöst. Und bietet Einträge zu diesen Themenfeldern.
2016 wieder regelmäßig.

Noch im Herbst letzten Jahres landete das Thema Bundespräsidenten-Wahl bei den innenpolitischen Jahresvorschauen auf einem der hinteren Ränge: zu unwichtig, zu langweilig. Mittlerweile steht fest, dass die Wahl im April die 2. Republik nachhaltiger erschüttern wird als die bisherigen Erfolge von Strache und Haider zusammen.

Es ist nicht das Amt, es ist die Symbolwirkung, stupid!

Heute ist der sogenannte Stichtag zur Bundespräsidentschaftswahl 2016. Der Stichtag selber kann nichts, er dient aber als Orientierungspunkt, als Datumsanker für den gesamten Fristenlauf, der im ersten Wahlgang am 24. April 2016 seinen vorläufigen Höhepunkt erreichen wird.

Dass der Wettlauf ums nominell höchste, machtpolitisch aber relativ unbedeutendste aller Staatsämter in Chefposition, sich zu einer Competition um politischen/s Tod oder Leben auswachsen würde, nahm erst Konturen an, als klar wurde, dass praktisch alle wichtigen Player einen eigenen Kandidaten ins Rennen schicken würden. Bisher lebten die Großparteien SPÖ und ÖVP davon, dass das Amt des BP in einem Lagerwahlkampf vergeben wurde. FPÖ und Grüne hatten, nachdem sie in den 80ern und 90ern nur chancenlose Zählkandidaten präsentiert hatten, 2004 auf einen eigenen Kandidaten verzichtet, bzw. nur bei den Bestätigungs-Wahlen zur 2. Amtszeit symbolisch Gegner aufgestellt.

2016 wurde dann aber alles ganz anders

Mittlerweile hat die FPÖ eine kritische Größe erreicht, die es ihr erlaubt Kandidaten jenseits von SS-Vergangenheit und Mutterkreuz-Charme an den Start zu bringen. Zudem haben die Grünen mit ihrem populären Ex-Chef Alexander van der Bellen ihr einziges mehrheitsfähiges Aushängeschild zur Kandidatur überredet. Weil die letztjährige, kleine Wutbürger-Schwemme die mit der Hypo-Aufklärung befasste Ex-Richterin Irmgard Griss zu einer Kandidatur "aus der Mitte der Zivilgesellschaft" bewegte, und die Neos (anfänglich auch die FPÖ) Sympathie bekundeten, können sich alle stärkeren politischen Lager repräsentiert fühlen.

Keine Leihstimmen, kein Lagerwahlkampf in Runde 1

Und eben weil alles möglich ist, auch ein frühes Scheitern von SP- oder VP-Kandidaten, sind politische Erdbeben, Koalitions- und Umbrüche aller Art, bis hin zu von Zaun gebrochenen Neuwahlen und einem Herbst-Kanzler Strache realistische Szenarien. Ein Ende der Großparteien-Prägung kann ein Ende der Sozialpartnerschaft und ein Ende des sozialen Friedens nach sich ziehen. Zahllose informelle Gesellschafts-Verträge zwischen Interessensgruppen, Bürgern und Institutionen wären damit hinfällig.

Im Gegensatz zu allen früheren BP-Wahlen ist es nicht mehr nur nötig sich für das geringste Übel zu entscheiden, es haben auch alle fünf Kandidaten reelle Stichwahl-Chancen: Leihstimmen (wie sie zuletzt Bürgermeister Häupl taktisch klug bei den Wiener Grünen requirierte) sind also überflüssig.

Ideologisch repräsentieren die Kandidaten den in den letzten Jahren nur mehr leicht verstärkten Ruck in der österreichischen Gesellschaft: Gewerkschafter Rudolf Hundstorfer ist keinem der Flügel der Sozialdemokratie zuzuordnen, Alexander van der Bellen gilt als (auch wirtschafts-)liberaler grüner Realo, Irmgard Griss als Liberale rechts der Mitte, Andreas Khol ist ein klassischer Mann der konservativen Rechten und Norbert Hofer ist zwar das acceptable face der FPÖ, fährt aber als Burschenschafter auch eine stramm rechte Linie.

Dazu kommt noch die unberechenbare Lugner-Karte

Wenn auch noch der alte Baumeister Richard Lugner (der Frank Stronach der Wahlen 1998) die 6.000 Unterstützer zusammenbekommt, ordnet er sich nahtlos im Spektrum rechts der Mitte ein.

Das wiederum macht die Wahl wieder spannend. Lugner könnte jedem der drei in der rechten Hälfte platzierten Kandidaten gerade die Stimmen entziehen, die dann zum Einzug ins Zweier-Finale der beiden Stimmstärksten fehlen; während für einen der beiden Wahlwerber auf der linken Hälfte das Finale schon fast fix wäre. Auch weil beide (auch) ausgesprochen bürgerliche Positionen vertreten.

Was wiederum einen bisher ungekannten Lagerwahlkampf um das Amt möglich machen würde: wenn sich etwa Van der Bellen mit Hofer matcht. Was zu einer gesellschaftlichen Spaltung in einem Ausmaß führen kann, das wir bislang nur aus Südeuropa kennen. Was das - rein psychologisch - für die Regierungsparteien bedeuten würde, ist noch gar nicht abzusehen. Im übrigen reicht es auch, wenn es einen der beiden (SP, VP) erwischt, damit die Groß-Parteien das (ihr) System in Frage stellen.

Nach einer Niederlage der Koalition stellt sich die Systemfrage

Nicht nur, dass ein Bundespräsident jenseits der Koalition die Arbeit der Regierung tatsächlich behindern/beeinflussen könnte: Die traditionellen Machtverhältnisse der 2. Republik könnten innerhalb von wenigen Jahren zerbröseln, VP oder auch SP durch Parteispaltungen bzw. Neujustierungen (Teile der VP mit den Neos?) zerschmettert werden, neue Partnerschaften entstehen.

Wer jetzt keine Planspiele durchführt und seine strategischen Optionen schärft, darf sich nach verlorener Wahl nicht drüber wundern, wenn er überfahren wird.

Die aktuell als gewagt gehandelte Frage, ob der neue Präsident dann die eine oder andere Partei oder Person gar nicht erst mit der Regierungsbildung beauftragen würde, könnte sich also als kleinstmögliche aller Veränderungen durch diese im Vorfeld für lächerlich gehaltene Wahl herausstellen.