Erstellt am: 24. 2. 2016 - 10:35 Uhr
"XCOM"-Likes: Eine kleine Taktikgeschichte
Ringe unter den Augen, penetrantes Gähnen und der stiere Blick ins Leere könnten erste Anzeichen einer Krankheit sein, die gerade wieder grassiert: Das "XCOM"-Fieber geht wieder um. Mit Teil 2 der reanimierten Kultspielreihe ist die auf Hochglanz polierte aktuelle Fassung des Taktik-Blockbusters bei vielen Opfern der Grund für viel zu kurze Nächte.
"XCOM 2" ist vor kurzem für Windows, Mac und Linux erschienen.
Grund genug für einen kleinen Überblick über ein Genre mit Wurzeln in der mittleren Games-Steinzeit, das hartnäckig quietschlebendig bleibt: das rundenbasierte Squad-Taktikspiel mit Globalmanagementanteil. Ach, sei's drum: Nennen wir's einfach "XCOM"-Like.
Microprose
Die Urahnen...
1994 erscheint mit "UFO - Enemy Unknown" der Urahn der Reihe, der aus Marketing-Gründen für das amerikanische Publikum in "X-COM: UFO Defense" umgetitelt wird. Die Grundbestandteile sind so genial wie langlebig: Neben dem rundenbasierten Taktikkampf kleiner militärischer Teams gegen außerirdische Gegner müssen Spielerinnen und Spieler auch das Makromanagement des Abwehrkampfs gegen die Alien-Bedrohung in die Hand nehmen.
Väter des Spielkonzepts sind die britischen Brüder Julian und Nick Gollop, die als Inspiration taktische Brettspiele erwähnen. Mit der "Rebelstar"-Reihe und "Laser Squad" hatten die beiden übrigens schon Jahre vor "X-COM" das taktische Gameplay der späteren Spiele praktisch fertig ausgestaltet.
Das 2013 erschienene Action-Strategie-Spinoff "The Bureau: XCOM declassified" war eher ein Schuss daneben. Der Trailer ist aber immer noch hübsch.
... und ihr zweifelhaftes Erbe
Mit "X-COM: Terror from the Deep" folgt bereits ein Jahr später offizieller Nachschub, das 1997 erschienene "X-COM: Apcalypse" kann an den großen Erfolg der Erstlinge nicht heranreichen, mit Verramschungen der Marke in mittelmäßigen Spielen wie "X-COM: Enforcer" und "X-COM: Interceptor" wird der Ruf der Serie schleichend demontiert.
Erst 2012 gelingt mit "XCOM: Enemy Unknown" ein Reboot: Die Strategieexperten von Firaxis hauchen dem Franchise dank radikaler Entrümpelung in einem Remake neues Leben ein, ohne die Seele des Spiels zu verkaufen. Das parallel lange Jahre unter Ach und Weh entwickelte "The Bureau: XCOM declassified", das aus dem Stoff einen mäßig spannenden Strategie-Shooter macht, verblasst im Erfolg des Reboots, das sich der altmodischen Qualitäten des kultisch verehrten Vorgängers annimmt. Nimm das, Fortschritt!
Double Fine
Die Konkurrenz
Zur Klarstellung:
Rundenbasierte Taktikspiele ohne ausgesprochene "XCOM"-DNA blühen und gedeihen ganz abseits der Genannten seit jeher nicht nur auf Heimcomputern, sondern auch auf Konsolen, ob Handheld oder nicht. Von "Tactics Ogre" bis "Fire Emblem" ... aber das ist eine andere Geschichte.
Der globale Erfolg des Spielkonzepts rief schon kurz nach Erscheinen des Erstlings auch hoffnungsvolle Nachahmer auf den Plan. Neben dem sicher auf eigenen Beinen stehenden "Jagged Alliance", dem "Battle Isle"-Spinoff "Incubation", der "Silent Storm"-Reihe sowie "UFO: Aftermath" zeigt sich aber schon bald: Die Schuhe sind zu groß. An die Qualität des Originals kommt kaum eines der jüngeren Spiele heran - vor allem eine sinnvolle, die Kämpfe verbindende Rahmensimulation fällt schwer.
Erst in jüngeren Jahren kommen, animiert durch den kommerziellen Erfolg des Remakes, wieder vermehrt neue Ableger des unverwüstlichen Spielprinzips auf den Markt. Erst letztes Jahr versuchten sich "Massive Chalice" und "Mordheim: City of the Damned" an der Verknüpfung von Taktikgameplay mit globalem Management und Fantasy-Thema - und auch die okkulten Ableger "Hard West" und "Call of Cthulhu: The Wasted Land" können ihre Wurzeln nicht verbergen.
Goldhawk
Mit Liebe gemacht
Was allerdings ganz ohne Nachschub aus dem professionellen Lager in den letzten 22 Jahren seit Erscheinen des Urahnen das "XCOM"-Feuer am Lodern gehalten hat, war die Liebe der globalen Community, die sich wieder und wieder am Neubau der grandiosen Grundformel versucht hat. Kaum ein Strategiespiel kann auf eine derart große Anzahl an Fan-Remakes und "inoffiziellen Fortsetzungen" zurückblicken wie "XCOM".
Neben so manchem im Sand verlaufenen Open-Source-Fanprojekt sticht besonders das vom Fanprojekt zum kommerziellen Titel gereifte "Xenonauts" aus der Schar hervor. Die größte Herausforderung für nimmermüde "XCOM"-Fans auf der Suche nach der nächsten Herausforderung wartet aber garantiert mit "Long War": Die Modifikation des Reboots von 2012 macht "XCOM" zur Marathonaufgabe für all jene, denen das Original zu casual war.
Die Zukunft, wie sie uns in "XCOM" gezeigt wird, mag düster sein. Eins aber bleibt tröstlich: Sie wird wohl nicht ohne Nachschub an rundebasierten Taktikperlen auskommen müssen. Well done, Commander!