Erstellt am: 23. 2. 2016 - 14:06 Uhr
In der Formulierungsfalle
FM4 Auf Laut
Können wir noch miteinander reden? Oder schrei(b)en wir nur aneinander vorbei? Heute von 21 bis 22 Uhr auf FM4.
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Warum ist die öffentliche Meinung über Flüchtlinge nach den Ereignissen von Köln so schnell gekippt? Warum haben es Fakten so schwer, wahrgenommen zu werden? Und warum schaffen es populistische Parteien, die öffentliche Debatte vor sich her zu treiben – obwohl die große Mehrheit der Menschen in Europa gar nicht aus missgünstigen Fremdenfeinden besteht?
In Sprachbildern gefangen
Elisabeth Wehling
Die Hamburgerin Elisabeth Wehling lehrt an der Universität von Berkeley Kognitionswissenschaften.
Für Elisabeth Wehling liegt das unter anderem daran, dass die Debatte in den Sprachbildern der Rechtspopulisten gefangen ist, weil deren Frames auch von der Gegenseite gebraucht werden.
Frames bezeichnen in der Kognitionswissenschaft – also dem wissenschaftlichen Feld, das sich mit unserer Wahrnehmung befasst – die semantischen Bedeutungsrahmen eines Wortes, also das, was ein Wort neben der eigentlichen Bedeutung noch mittransportiert. Die Kognitionswissenschaft ist zwischen Psychologie, Neurologie und Linguistik angesiedelt und beschäftigt sich damit, was in unserem Gehirn passiert, wenn wir Dinge wahrnehmen – und wie sich das auf unser Denken auswirkt.
Die Metapher entmenschlicht Flüchtlinge
Wenn von Flüchtlingsströmen oder -wellen die Rede ist, oder gar von der Flüchtlingsflut, dann drücken wir schon mit der Wahl der Worte mehr aus, als wir oft wollen. Die Metapher von der Welle entmenschlicht die Flüchtlinge, sagt Wehling, und macht aus ihnen eine Naturkatastrophe und eine Bedrohung. Und vor allem schreibt sie uns EuropäerInnen die Rolle des Opfers zu – und das auch, wenn wir es eigentlich gar nicht so meinen.
Aber ist das nicht egal? Kann ich nicht auch mit ideologischen Konzepten umgehen, die nicht meine sind? Wehlings Antwort ist: jein. Im bewussten Denkprozess schon, aber nur 2% von dem, was unsere kleinen, grauen Zellen dort oben machen, ist bewusstes Denken. Alles andere, was mit Wahrnehmung zu tun hat, geschieht unbewusst, als körperliche Erfahrung: Um das Wort Essen zu begreifen, simuliert das Gehirn eine Kaubewegung, um das Wort Hammer zu begreifen, das Zuschlagen. Abstrakte Begriffe können wir nur über Sprachbilder begreifen, Nicht-Denken denken können wir gar nicht. Denkt doch zum Beispiel nur einmal probeweise jetzt nicht an rote Gummistiefel.
Das Gehirn kann nicht nicht denken
Das ist zum Beispiel der Grund, warum Frames auch verstärkt werden, wenn die Botschaft, die sie vermitteln sollen, verneint wird. So funktioniert zum Beispiel der Frame mit der Ausländer-Kriminalität seit Jahren hervorragend. Obwohl alle Statistiken nachweisen, dass die Kriminalitätsrate von AusänderInnen geringer ist als die von InländerInnen in vergleichbarer sozialer Situation, verstärkt sich der Frame in unserem Unbewussten jedes Mal, wenn die Worte Ausländer und Kriminalität verknüpft werden.
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Sprachbilder strukturieren unsere Wahrnehmung
Sprachbilder wie die Flüchtlingswelle strukturieren unsere Wahrnehmung und sogar die Neuronen im Gehirn ganz unbewusst, so die Wissenschaftlerin. Deswegen sei es eben wichtig, ob über Flüchtlinge als Bedrohung erzählt wird oder anders. "Man kann die Bedrohung in den Heimatländern verankern, man kann die Flüchtlinge als Opfer von Gewalt darstellen und uns in Europa als 'Helden' der Geschichte. Mit dem Wort Flüchtlingsstrom oder -flut erzählen Sie diese Geschichte aber nicht."
Dass sich unser Gehirn mit Argumenten, die in die passenden Sprachbilder und Geschichten verpackt werden, viel leichter tut, weiß die Werbung schon lange – viele Politiker wissen das nicht. Und so nutzen sie oft die Sprachbilder des politischen Gegners – und vermitteln damit nicht ihre eigene Weltsicht, sondern die seine.
Ein Problem für die Demokratie
Heute, Dienstagabend in FM4 Auf Laut geht es um das gleiche Thema: um das Reden über Politik. "Aneinander vorbeischreien" ist der Titel der Sendung, und zu Gast ist die Mediatorin Valentina Philadelphy.
Das ist, sagt Wehling, aber nicht nur ein Problem für einzelne Parteien, sondern auch für die Demokratie insgesamt. Denn wenn bestimmte politische Positionen in der Gesellschaft verbreitet sind, aber nicht mehr kommuniziert werden, dann kann man keine ausgewogene demokratische Debatte führen.
Und manche Themen, die für die Gesellschaft wichtig wären, schaffen es gar nicht in die Köpfe. Zum Beispiel die statistisch belegte Tatsache, dass in Deutschland zigmal mehr Gewaltverbrechen von Neonazis stattfinden als Gewaltverbrechen von Flüchtlingen – diese Tatsache schafft es nur schwer ins Gehirn – weil uns die passenden Narrative fehlen, auch um die Gefahr zu schildern, nicht nur die für die einzelnen Opfer rechtsextremer Gewalt, sondern die Gefahr für die ganze Gesellschaft, sagt Wehling. "Auffällig ist ja, dass solche Gewalttaten dann eben nicht medial so aufgeblasen werden und es nicht zu der psychologischen Aufbauschung des Problems kommt, wie das eben bei den Silvesternächten der Fall war."