Erstellt am: 21. 2. 2016 - 13:04 Uhr
Goldener Bär für Flüchtlingsdoku "Fuocoammare"
Die internationale Jury um Vorsitzende Meryl Streep ("ein mutiger Film") verstand es gestern bei der Berlinale-Gala wohl als ihre künstlerische Verpflichtung, die politische Dokumentation "Fuacoammare" zum besten Wettbewerbsbeitrag unter 18 internationalen Produktionen zu küren.
Berlinale
Mit "Fuacoammare" skizziert der Italiener Gianfranco Rosi zwei Parallelwelten im Alltag auf der Mittelmeerinsel Lampedusa, die einander streifen, sich selten vereinen lassen und doch das omnipräsente Meer als Lebensbedrohung – und Hoffnung teilen. Da sind Einwohner von Lampedusa und mit einem 12-jährigen Buben ein Hauptprotagonist, der in katholischer Tradition in einer Familie von Fischern aufwächst. Dort liegen die Flüchtlinge im Dunkeln, in den Containerschiffen als Kollektiv. Rosi ist erschreckend nahe dran, wenn u.a. dehydrierte Körper und gar Leichensäcke von der italienischen Küstenwache ver- und entsorgt werden und doch liegt er weit entfernt davon, in "Fuacoammare" Einzelschicksalen von Flüchtlingen nachzugehen. Den Goldenen Bären hat Gianfranco Rosi den Lampedusern gewidmet, die den Flüchtlingen seit Jahrzehnten mit offenen Armen begegnen. Rosis aufrüttelnde Worte auf der Pressekonferenz zu Beginn des Festivals hallten wie ein Mahnmal nach, wenn sie von einer Videoleinwand vor dem Berlinale-Palast tagelang wiederholt wurden: "Wir tragen alle die Verantwortung dafür. Ich denke, was derzeit passiert, ist nach dem Holocaust eine der größten Tragödien der Menschheit."
Die Berlinale hat sich bei der gestrigen Preisverleihung klar wieder als Hochburg des politischen Weltkinos erwiesen.
Der bosnische Regisseur Danis Tanovic wurde mit dem Großen Preis der Jury für seine satirische Allegorie "Smrt u Sarajevu/Mort à Sarajevo"("Death in Saravejo") ausgezeichnet. Tanovic spannt in seinem Spielfilm einen Bogen um die letzten 100 Jahre und die politischen Wirren am Balkan anlässlich eines diplomatischen Empfangs.
Mia Hansen-Løve bedankte sich für den Silbernen Bären als beste Regisseurin des Berlinale-Wettbewerbs vor allem bei ihrer Hauptdarstellerin Isabelle Huppert, die ihrem Spielfilm "L'Avenir" ("Zukunft") den Veränderungen im Leben einer Frau Fünfzigplus mit intellektueller Gelassenheit zu trotzen versucht.
Berlinale
Die starke Performance der Dänin Trine Dyrholm als verlassene Ehefrau in Thomas Vintersbergs "Die Kommune" beeindruckte nicht nur die Jury. Dyrholm war ganz klar die Favoriten für den Silbernen Bären als beste Schauspielerin und den nahm sie schließlich ehrfürchtig von ihrem Vorbild Meryl Streep gestern Abend entgegen.
Die Revolution und ihre Film-Kinder
Der tunesische Schauspieler Majd Mastoura rebellierte in "Hedi" als stiller Anti-Held gegen die Tradition der arrangierten Ehe. "Wir hätten keine Meinungsfreiheit ohne all das Blut, das sie vergossen haben", lobte der als bester Darsteller der Berlinale Prämierte die Märtyrer des Arabischen Frühlings in Tunesien.
Am Donnerstag um 9.30 früh waren manche Berlinale-Zuschauer und Stars zur achtstündigen Gala-Premiere von "Hele Sa Hiwagang Hapis" ("A Lullaby to the Sorrowful Mystery") mit Nackenkissen und Stützstrümpfen angerückt. Belohnt für sein cineastisches Mammutwerk über die spanische Kolonialherrschaft auf den Philippinen des 19. Jahrhunderts wurde Regisseur Lav Diaz dann mit den Alfred-Bauer-Preis.
Made in Austria auf der Berlinale
Sigfried A. Fruhauf zählt ohne Zweifel zu besten österreichischen Experimentalfilmern, was auch bis gestern Abend auf einen Berlinale-Preis hoffen ließ. In seinem 13-minütigen Kurzfilmwettbewerbsbeitrag "Vintage Print" mutiert der Oberösterreicher ein Fotonegativ aus dem späten 19. Jahrhundert zu einer abstrakt pulsierten Naturgewalt. Letztlich waren es die Lebensumstände der Roma im Portugal von heute und damals in "Balada de um Batráquio" ("Ballade der Bartachia") von Regisseurin Leonar Teles, die die Jury mit den Goldenen Bären bestätigte.
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In der Nebenschiene "Panorama" holte der Österreicher Händl Klaus bereits Freitagnacht den Teddy-Award, den wichtigsten schwul-lesbischen Filmpreis der Welt, der zum 30. Mal verliehen wurde. In seinem Drama "Kater" spielt das Tier vom Regisseur eine zentrale Rolle, wenn ein Gewaltausbruch die Beziehung des Orchestermusikers Stefan (Lukas Turtur) und dem Disponenten Andreas (Philipp Hochmair) erschüttert.