Erstellt am: 21. 2. 2016 - 11:29 Uhr
Massive Attack in Wien
Es ist eigentlich erstaunlich, dass Massive Attack schon bald seit dreißig Jahren aktiv sind. Vor allem wenn man sich die Liste der Studioalben ansieht, die in der Zeit herausgekommen sind: Nur fünf waren das nämlich seit im Jahr 1991 das wegweisende "Blue Lines" veröffentlicht wurde.
In Laufe dieses Jahres soll es aber endlich wieder mal soweit sein und ein neues Album der Elektronik-Visionäre ist zumindest schon mal vorsichtig angekündigt. Bis dahin erschien Ende Jänner aber einmal der erste Teaser: Mit "Ritual Spirit" meldete sich die Band aus Bristol mit einer neuen EP der großen Kollaborationen zurück, die neben der musikalischen Zelebrierung des elektronisch-britischen Küstensounds vor allem durch ein Ereignis hervorstach: Der Rückkehr von Tricky am finalen Song des Releases, "Take It There".
Sonst noch gefeatured auf "Ritual Spirit": Die Mercury-Prize-Gewinner aus Schottland, die Young Fathers. Und die durften nicht nur auf der EP performen, sondern sind zurzeit auch gemeinsam mit Massive Attack auf Tour unterwegs. Gestern zum Beispiel im ausverkauften Gasometer in Wien.
Franz Reiterer
Vor der Halle wartet schon eine ordentliche Schlange an diesem verregneten Samstagabend. Nicht nur von Leuten, die mit Ticket in der Hand auf den Einlass warten, sondern da sind auch einige Fans, die hoffen, in letzter Minute doch noch eine Karte zu ergattern. So eine Band wie Massive Attack sieht man immerhin nicht alle Tage.
Drinnen steigen mittlerweile bereits die Young Fathers aus dem Nebel auf die Bühne. Ein minimalistischer Trommelkreis begleitet von in die Beine gehenden Subbässen ist das, was die Band aus Edinburgh in gut vierzig Minuten bietet. Die berüchtigte Gasometerakustik ist dabei sogar hilfreich den gewünschten Effekt zu erzielen: Kälte, Regen, Wut und Tristesse. Emotionen, die vor allem schottische Bands in den letzten Jahren so richtig gut hinzukriegen scheinen.
Das Publikum muss sich erst mal noch für die Young Fathers aufwärmen. Schließlich ist man ja für den Main Event gekommen. Aber das ist hier keine einfache Vorband, sondern einer der zurzeit spannendsten Acts aus Großbritannien. Spätestens im letzten Drittel ihres Sets ziehen die Young Fathers die Leute mit ihrem emotionalen, überwältigenden Sound in ihren Bann. Neben mir ist jemand völlig hin und weg und kommt aus dem Gröhlen nicht mehr heraus. Jemand anderes hat einen Aphex-Twin-Hoodie an, was auch schön ist, weil man das heutzutage gar nicht mehr so oft sieht.
Franz Reiterer
"Unfinished Sympathy", schreit wer ungeduldig aus dem Publikum, noch bevor Massive Attack den ersten Song begonnen haben. Da ist jemand anscheinend nur für die ganz großen Hits gekommen, gedulden muss man sich aber trotzdem noch bis zur legendären Hymne. Die Visuals hinter der Band, projiziert auf gigantische, bühnenfüllende Bildschirme, erinnern dann auch ein bisschen an die der Nine Inch Nails während ihrer "Tension"-Tour 2013.
"Cocatane" ist da am Screen in Pixelschrift zu lesen, "Allerfol" und "Procadax". Und dann "Mitgefühl" in großen, weißen Lettern. Während "United Snakes" werden stroboskopartig Brandlogos auf die Leinwand geworfen, geredet wird davor nicht viel. Und auch danach. Denn Massive Attack sind live keine Band der großen Worte, sondern der Töne und Bilder. Da werden soziale Missstände plakativ aufgezeigt - in diesem Fall mithilfe der aufeinander ratternden Weltmarkenlogos.
Franz Reiterer
Zelebriert wird heute Abend der lange Weg der Legenden Massive Attack, was sich in einer Show manifestiert, in der simpler Stonerelektro in überwältigende Looporchestrierungen abdriftet. Eine Show der ganz großen Outros, verstärkt durch das Lichtgeblitze am Bildschirm. Die Band kennt ihre Stärken genauso wie die Wünsche des Publikums und spielt mit den Erwartungen der anwesenden Fans.
So auch zu Beginn von "Teardrop", wenn die bekannte Intromelodie durch eine alternative Liveversion ersetzt wird. Spätestens beim allerersten "Love, love is a verb" weiß aber auch die letzte Person im Publikum, was da gerade gespielt wird, und es werden kollektiv die Handys zum Mitfilmen gezückt. Das ist der Moment, den man für die Nachwelt dokumentieren will, das Video, das man dann später den Freunden zeigt, die keine Karten mehr bekommen haben - "Schau, was du heute verpasst hast!"
Franz Reiterer
So richtig ist es dann der Mezzanine-Track "Angel", der die Leute aus dem Häuschen bringt, die Stimmung wechselt von Jubel zu Euphorie. Das ist spätestens jetzt eines dieser ganz großen Konzerte, weiß man im Publikum. Massive Attack spielt gekonnt mit den Emotionen: Anstatt durch ein simples "Hey Vienna, how are you!?" lokale Bonuspunkte zu sammeln, werden am Bühnenbildschirm tagesaktuelle Headlines abgebildet. Und ja, da steht dann tatsächlich "Lugner: 'Der Kasperl gewinnt immer'" während einem Massive-Attack-Konzert auf der Leinwand.
Die erste Zugabe beginnt mit dem doch wirklich sehr guten neuen Track "Take It There", bevor die Young Fathers nochmals auf die Bühne kommen und "Voodoo In My Blood" performen. Dann verdunkelt sich die Halle nochmals und das Stroboskopblitzen pausiert. Auf der Leinwand sind Bilder von Flüchtlingen in Booten abgebildet, vor der Küste von Lesbos, bevor das Logo der "UN Refugee Agency" groß am Bildschirm erscheint, gefolgt von einem Link zur Website der Organisation.
Franz Reiterer
Mit "Unfinished Sympathy" und einer zweiten Zugabe kommt die Band dann noch ein letztes Mal an diesem Abend auf die Bühne. Das ist dann auch der kollektive "Clap Your Hands Together"-Song, bevor wir mit dem 2009er-Track "Splitting The Atom" nach Hause geschickt werden. Zufrieden, denn das war ein Konzert der wenigen Worte, aber großen Momente, ein gemeinsames Feiern der klassischen Hits und des neuen Sounds.
Wer gestern nicht dabei sein konnte, hat auch eine zweite Chance Massive Attack noch heuer zu sehen: Im August spielt die Band gemeinsam mit den Young Fathers am FM4 Frequency.