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Boris Jordan

Maßgebliche Musiken, merkwürdige Bücher und mühevolle Spiele - nutzloses Wissen für ermattete Bildungsbürger.

20. 2. 2016 - 14:51

Der Zeichenlehrer

Umberto Eco ist tot. In seinem Wald des Wissens hat sich die gesamte Geisteswelt getummelt.

"Ich wollte einen Mönch vergiften", hat Umberto Eco lächelnd geantwortet, nach dem Motiv gefragt, warum er ausgerechnet die Idee hatte, die anglo-amerikanische Whodunit-Tradition in eine mittelalterliche Abtei zu verfrachten. Der Schelm Eco hat dabei nicht nur die Täter nicht zur Rechenschaft gezogen, unschuldige Hippies verbrannt und die größte Bibliothek des Abendlandes (und das vielleicht wichtigste verschollene Werk der Geistesgeschichte, den zweiten Teil der Poetik des Aristoteles , das Buch über die Komödie) in Flammen aufgehen lassen, sondern komplexe Theorien über den Universalienstreit, Ockhams Rasiermesser und Deutsche Mystik so verpackt, dass er über den Chandler-Umweg eine ganze Generation zu MediävistInnen machte. Oder zumindest zu SemiotikerInnen.

Umberto Eco

dpa/dpaweb/CTK/Volfik

Man kann sich auch Umberto Ecos Lächeln über diese Handlungsvolten vorstellen. Die für seine Entwicklung wichtigsten Denker Thomas von Aquin, Jorge Luis Borges und Francis Bacon in einem Kriminalrätsel aufeinander zu hetzen, scheitern zu lassen, erstere als verklemmte, humorlose Spießer zu portraitieren und in den Selbstmord zu treiben, Erkenntnisgier, Zensur und Sex als Motive für Verbrechen herauszuarbeiten, das alles zum Klang der sieben Posaunen der Apokalypse – bei all dem steht Umberto Eco neben sich und den ganzen Geistesriesen, setzt sich schamlos auf deren Schultern oder zwischen ihre Stühle, macht sich über ihre und seine Beredsamkeit, Geschäftigkeit und zeitgeschuldete Unzulänglichkeit lustig und bringt so sich und uns auf höchstem intellektuellem Niveau zum Lachen.

Am Ende sieht man die beiden Mönche, die als Anhänger von Fra Dolcino und der Armutskirche gleichnishaft für die Brigate Rosse und die italienische Linke stehen sollten, als Sündenböcke der Willkürjustiz unschuldig auf dem Scheiterhaufen, wobei der eine, Remigio da Varagine, im Tod die Wahrheit über die Kirche hinausbrüllt, während der andere in einem sich aus alles Sprachen zusammensetzenden, phantastischen und wirren Idiom um Gnade stammelt. Auch dazu glaubt man Umberto Eco bitter lachen zu hören. Im Film sieht man den einen brennenden Schauspieler, Ron Pearlman, zum ersten Mal im europäischen Kino, den anderen, Helmut Qualtinger, zum letzten Mal.

So sah Eco sich selbst am liebsten, hatte man oft den Eindruck – als intellektuell reisenden Schelm, der sich - kenntnisreich und dennoch unernst - katzenhaft in der Gesamtkultur zu bewegen weiß. Als ein Beobachter und Verbinder von "hoher" und "niedriger" Ästhetik, moderner und klassischer Kunst, der sich in dem Kanon der Weltliteratur, der europäischen Hochkultur, ebenso bewegte wie in der Gegenkultur von Comics, Pulp und Graffiti, im Kitsch (legendär sein fast mittelalterliches Schöpfungsstaunen angesichts des Hearst-Palastes und der dortigen Venus von Milo mit Armen) in der Politik (in Auseinandersetzung mit der Machtbarbarei eines Silvo Berlusconi) in der assoziativen Alltagsbeobachtung (in seinen "Streichholzbriefen") in der historischen wie geografischen Erklärung Italiens (das er trotz Berlusconi nie verlassen hat), und der dazu noch charmant zu plaudern wusste über Übersetzungs- und Sprachkultur, Paradoxien und spielerische Rätsel, die Logikmaschine des Ramon Llull, Alchemie und Verschwörung, Kant, Kabbala, Kryptographie, Kybernetik, Volapük, Derrick und und und.

Was er wohl sonst noch wollte, außer Mönche töten? Nun, im Foucaultschen Pendel (seinem besten Buch) lässt er übermotivierte Investigativjournalisten an selbsterfundenen Geschichten zugrunde gehen, in der "Insel des verlorenen Tages" spielt er mit dem biegsamen Wissenschafts- und Realitätsbegriff eines winkeligen Jesuiten, der auch jemandem das Leben kostet. Im Schelmenroman "Baudolino" rechnet er ein wenig mit dem großen italienischen Reisemythos des Marco Polo ab, sein "Held" stolpert naiv wie ein Spielball durch die Welt, dem deutschen Simplizissimus näher als dem weltgewandten Polo.

Umberto Eco hat seinen literarischen Werken immer mehrere wissenschaftliche zugrunde gelegt, sowie mehrere literarische Topoi, Zitate oder Strukturen darüber. Dies brachte ihm die Bezeichnung "postmodern" ein und uns eine Fülle von "Nebenprodukten" wie den "Wald der Fiktionen" oder die "Suche nach der vergessenen Sprache". Sein letztes Werk dieser Art, "Die Geschichte der legendären Länder und Städte", mehr eine Quellensammlung als ein Essay, führt uns durch von Menschen erdachte Länder, Schreckens- und Sehnsuchtsorte wie Atlantis, den Magnetberg, Thule oder das Land Mu - das hatte darauf hingedeutet, dass Eco einen Sindbad'schen Reiseroman zu diesen Orten geplant haben könnte, zumindest habe ich mir einen solchen gewünscht. Diesen zu schreiben ist Umberto Eco nun nicht mehr gelungen. Falls er es überhaupt geplant hatte.

Ich selbst verdanke Umberto Eco die Bekanntschaft mit dem großen (und unermesslich lesenswerten und unterhaltsamen) Jorge Luis Borges, den er einem großen Publikum außerhalb der romanischen Welt bekannt gemacht hat, mit dem mythischen Betrüger, Magier und Bösewicht Graf Cagliostro, mit dem Täuscher und Mörder, dem unsterblichen Grafen von St. Germain, dem jesuitischen, in satanischen Zügen gemalten Naturwissenschaftler Athanasius Kircher, der feministisch rezipierten Mathematikerin Hypatia von Alexandria, dem Kabalisten Abraham Abulafia, dem Logiker Ramon Llull.

Jede Erzählung, jeder Aufsatz Umberto Ecos enthält mindestens ein kleines Ding, das deinen Horizont in eine Richtung erweitern kann. Das ist mehr, als man von einem Schriftsteller erwarten kann.