Erstellt am: 18. 2. 2016 - 17:35 Uhr
"Erfundene" Pflanzen?
Ein Brokkoli und eine Tomate waren letztes Jahr Verhandlungsgegenstand in der großen Beschwerdekammer des Europäischen Patentamts. Genauer gesagt, die Patentanträge auf spezielle, konventionelle Züchtungen der jeweiligen Art.
Die Anträge für einen Brokkoli, der einen erhöhten Anteil eines Bitterstoffs aufweist und eine Tomate mit geringerem Flüssigkeitsanteil, waren schon einige Zeit davor genehmigt worden. Nachdem Beschwerden eingereicht wurden, wurde lange diskutiert. Entschieden wurde schließlich, dass:
- Grundsätzlich biologische Verfahren zur Züchtung von Pflanzen, wie die Kreuzung, nicht EU-weit patentierbar sind, wohl aber die die daraus entstandenen Pflanzen oder das daraus entstandene Pflanzenmaterial, wie zum Beispiel Früchte.
"Das war ein Erdbeben", meint Iga Niznik von Arche Noah, einem Verein, der sich für Pflanzenvielfalt und ihre Entwicklung einsetzt. "Und ein Erdbeben löst oft eine Lawine aus." Der Verein möchte eine drohende "Patentlawine" auf konventionelle, also nicht-genmanipulierte Züchtungen nun verhindern und steht damit nicht allein auf weiter Flur. Zahlreiche Umwelt- und Verbraucherschutzorganisationen, Gewerkschaften und Interessensvertretungen unterstützen die Forderungen. Eine Online-Petition wurde daher ins Leben gerufen.
Beispiel "Super-Brokkoli"
Gesetzlich geregelt ist in der EU, dass keine Pflanzensorten oder Tierrassen patentiert werden dürfen. Auch die Verfahren sind, wenn sie "im Wesentlichen biologisch" durchgeführt worden sind, nicht patentierbar. Und hier liegt eine Frage, die nicht eindeutig geklärt ist: Was sind "im Wesentlichen biologische Verfahren"?
Das Verfahren, mit dem der Super-Brokkoli "EP 1069819" gezüchtet wurde, darf laut der letztjährigen Entscheidung nicht mehr patentiert werden. Dieses Verfahren sei auch "trivial": Diese Art von Selektion werde auch von kleinen Züchtern angewandt, meint Christoph Then, Koordinator der Umweltschutzkoalition "No Patents on Seeds". Sehrwohl gilt das Patent aber für die Früchte, die aus dem Verfahren entstehen. Und genau das ist der heikle Punkt.
"Die Reichweite dieses Patents ist nicht zu unterschätzen: 30 Patente könnten rund 1.000 Sorten betreffen", erklärt Then. Das könne bedeuten, dass Landwirte, aber auch einfache Gärtner, die nachweislich Sorten mit denselben Merkmalen wie der Super-Brokkoli verwenden, theoretisch verklagt werden könnten. Then ist jedoch in Europa bisher kein solcher Fall bekannt.
BMELV/German Times
Die Niederlande, die momentan die EU-Ratspräsidentschaft innehaben, haben das Thema auf die Agenda gesetzt. Niznik wünscht sich künftig eine "wasserdichte" Formulierung des Gesetzes. Denn die Folgen eines zu lockeren Umgangs bei der Patentvergabe könnte viele treffen. Viele sehen die Ernährungssouveränität, die Lebensmittelsicherheit und die Biodiversität in Gefahr.
Nicht zuletzt gibt es Befürchtungen, dass kleine und mittlere landwirtschaftliche Betriebe abhängig von großen, multinationalen Konzernen werden. "Patent ist Monopol", warnt Then. Man dürfe die Kontrolle vom Saatgut bis zum Teller nicht an multinationale Konzerne abgeben.
Kurzes Zeitfenster
Ende Februar soll nun im Rat der Europäischen Union über das Thema diskutiert werden. Zusätzlich sollen heuer im Mai noch weitere Weichen gestellt werden, wo in EU-Gremien Pro und Kontra gegenübergestellt werden sollen. "Wir müssen dieses Zeitfenster und die Chance als Zivilgesellschaft nutzen", sagt Iga Niznik mit Verweis auf die Petition.
UmweltschützerInnen hoffen darauf, dass vor allem die großen Mitgliedsländer sich dafür einsetzen werden, dass Patente auf Pflanzen und Tiere künftig unmissverständlich verboten sein soll. Immerhin sei dies auch eine Forderung im Gentechnik-Volksbegehren 1997 gewesen, das von 1,2 Millionen Österreichern unterzeichnet wurde.
Christoph Then sieht nicht ein, warum weiterhin "solche Patente routinemäßig vom Europäischen Patentamt vergeben werden" und fordert mehr Kontrolle. "Die Politik muss die Kontrolle über das Amt übernehmen. Es gibt ja schon ein Kontrollgremium", so Then. "Wenn sich dort die Mitgliedsländer mehrheitlich einig sind, dann könnten sie das stoppen." Eine Entscheidung erwartet Then noch heuer.