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Maria Motter Graz

Bücher, Bilder, Kritzeleien. Und die Menschen dazu.

19. 2. 2016 - 15:29

Das bisschen Familiengeschichte

Das Massaker an 180 JüdInnen in Rechnitz 1945 griff Elfriede Jelinek in einem Theaterstück auf. Jetzt ist das Verbrechen der Ausgangspunkt eines Buchs des Journalisten Sacha Batthyany.

fm4.ORF.at/buch

Sacha Batthyany liest aus "Und was hat das mit mir zu tun?" am 15. März 2016 um 19 Uhr in der Wiener Hauptbücherei.

All das Aufsehen, das Elfriede Jelinek mit ihren Arbeiten erregt, hatte im Fall des Massakers von Rechnitz keinen Widerhall. Bis heute ist das Massengrab jener 180 jüdischen Frauen und Männer nicht gefunden, die in Rechnitz in der Nacht vom 24. auf den 25. März 1945 ermordet worden sind. Die Toten waren ungarische ZwangsarbeiterInnen, die von den NationalsozialistInnen mit der Bahn nach Rechnitz gebracht worden waren.

Autor Batthyany

Maurice Haas

Ihre Mörder feierten vor und nach der Tat im Schloss Rechnitz der Gräfin Margit Thyssen-Batthyány, geborene Thyssen-Bornemisza. Lokale SS- und Gestapo-Männer hatte sie zu einem Fest geladen. Gegen Mitternacht brechen Gäste zum örtlichen Bahnhof auf. "Einem Kellner namens Viktor fällt auf, dass die Gäste, die um drei Uhr morgens wieder im Saal erscheinen, wild gestikulieren, sie haben gerötete Gesichter. SS-Hauptscharführer Podezin, der mutmaßliche Anführer, eben noch hat er Frauen und Männern in den Kopf geschossen, tanzt jetzt ganz ausgelassen". So hält es Sacha Batthyany in dem jetzt erschienenen Buch "Und was hat das mit mir zu tun?" fest. Die Gräfin, die zum Fest geladen hatte, war seine Tante gewesen. Francesca Habsburg-Lothringen ist eine Nichte jener Frau und sie hatte sich 2008 für eine Aufklärung des Verbrechens ein- und eine Belohnung ausgesetzt. Erfolglos.

Jetzt also liegt ein Buch des Neffen vor. "Und was hat das mit mir zu tun?", erschienen bei Kiepenheuer & Witsch, bezieht sich auf "Ein Verbrechen im März 1945. Die Geschichte meiner Familie", so der Untertitel. Wer es zu lesen beginnt, um mehr über das Massaker von Rechnitz zu erfahren, wird enttäuscht. Trotzdem lohnt sich die Lektüre.

Sieben Jahre Recherche

Das Buchcover trägt einen Schriftzug, wie gestanzt aus einem Foto eines Gebäudes

Kiepenheuer & Witsch

Hineinlesen kann man hier.

Die "Tante Margit" habe wohl alles über das Massaker gewusst, schreibt Sacha Batthyany, aber Juden hätte sie keinen ermordet. Ist das mal festgehalten, beginnt die eigentliche Geschichte, die Batthyany in seinem Buch erzählt. Seine Herangehensweise und Erzählform kennt man aus Dokumentarfilmen. "Und was hat das mit mir zu tun?" liest sich leicht. Man schafft das Buch an einem Abend. Das bisschen Familiengeschichte macht deutlich, wie Millionen Schicksale hinter Zahlen in Geschichtsbüchern verschwinden, und führt in ein Mitteleuropa, das heute oft vergessen scheint.

Sacha Batthyany hält seine eigenen, teils anklagenden Fragen fest und berichtet von Stunden beim Psychoanalytiker, um die Nachwirkungen des Nationalsozialismus auf seine, also auf die Enkelgeneration dingfest zu machen. Schließlich reist er mit seinem Vater nach Sibirien, um den Ort aufzusuchen, an dem der Großvater als Gefangener in einem Arbeitslager ein Jahrzehnt überlebte. Dort fällt ihm die fehlende Gedenkkultur Russlands auf und wie sehr seine eigene Generation um sich selbst kreisen kann. Aber die Beziehung zwischen Vater und Sohn gleicht dem Verhältnis zweier Magneten. Jedes Mal, wenn man kurz davor sei, sich in Gesprächen nahe zu kommen, würde sich diese Nähe ein Stück verschieben und abrutschen.

Ein geklärtes Verbrechen

An das gesellschaftliche Korsett, die Gewalt des Nationalsozialismus und des Kommunismus unter Stalin, erinnert Sacha Batthyany eindringlich in seinem Buch. Vor allem aber fügt Sacha Batthyany Lebenserinnerungen seiner ungarischen Großmutter und einer ihrer Kindheitsfreundinnen ein. Maritta und Agnes, aufgewachsen im selben ungarischen Dorf, die eine ist das Kind eines Grafen gewesen, die andere die Tochter eines Ladenbesitzers und jüdisch.

Batthyany hat die Aufzeichnungen der beiden Frauen für die Veröffentlichung bearbeitet. Agnes hat Auschwitz überlebt und ist über Umwege nach Argentinien emigriert. Ihr späterer Ehemann hat seine Frau und den acht Monate alten Sohn in Auschwitz verloren. "Als man seiner Frau das Baby an der Rampe wegnehmen wollte, hatte sie sich gewehrt, also vergaste man gleich alle beide. Uns, den Kräftigen, befahlen sie weiterzulaufen", zitiert Batthyany aus Agnes' Erinnerungen.

Batthyanys Großmutter Maritta vergleicht ihre Familie mit Maulwürfen. Sie überarbeitete ihre schriftlichen Erinnerungen mehrfach. Im Stillen muss sie zeitlebens mit sich gerungen haben. Was an einem Sommernachmittag 1944 im Innenhof des Schlosses ihrer Familie geschah, könnte Klarheit für Agnes bringen. Sacha Batthyany bringt in seinem Buch ein Verbrechen ans Licht. Jenes von Rechnitz ist es nicht.

Sacha Batthyany erzählt eine Geschichte, die sich im Nationalsozialismus vielerorts zugetragen hat. In der Literatur sind Nationalsozialismus und Shoah in den vergangenen Jahren zu Geschichten fiktiver Werke geworden. Batthyany bedient sich nur auf wenigen Seiten dieses "Nehmen wir mal an"-Zugangs und das vermutlich aus juristischen Gründen. Wenn jetzt die letzten Prozesse gegen Nationalsozialisten geführt werden, gibt Batthyany mit seinem schmalen Buch von 250 Seiten Antworten darauf, was die Vergangenheit mit uns zu tun hat.