Erstellt am: 18. 2. 2016 - 16:24 Uhr
Jesus, Starlets und Kommunisten
Hinweis:
"Hail, Caesar!" von Joel und Ethan Coen hat die diesjährige Berlinale eröffnet und startet am 18.2. in den österreichischen Kinos.
Tipper Gore hat bekanntermaßen für die Einführung des "Explicit Lyrics"-Stickers auf Alben gesorgt, ich bin für die Einführung eines "TT"-Stickers. Das steht für "Tatum tanzt" und ist somit gleichbedeutend mit Five thumbs up. Ich habe Hoffnung, dass der tanzende Tatum dafür sorgen wird, dass Musical- und Tanzfilme nicht mehr mit Nasenrümpfen abgetan werden. Es ist natürlich hilfreich dabei, dass er nicht nur tanzen, sondern auch schauspielen kann. In "Hail Caesar", dem neuen Film von Ethan und Joel Coen, steppt und singt Tatum in Matrosenuniform und diese Szene ist ein ganz gutes Beispiel dafür, was alles in "Hail Caesar" steckt und den Film so großartig macht.
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Die Szene - gehörend zu einem Film-im-Film - in der Tatum und seine Seefahrer-Kollegen in einer Bar singend betrauern, dass sie nun für ein paar Monate keine Frauen sehen werden ("No Dames"), ist natürlich eine Hommage an die großen, eskapistischen Musicals des alten Hollywood im Allgemeinen und Gene Kelly im Besonderen. Dass in einer Szene, die vor homosexuellem Subtext nur so strotzt, ausgerechnet die bevorstehende Abwesenheit von Frauen besungen wird, muss den gerne zu Ironie greifenden Coen-Brüdern gefallen haben.
Durch den strengen Production Code und die wachsamen und mit Boykott drohenden Augen der Legion of Decency war Homosexualität von Mitte der 1930er bis Anfang der 1950er Jahre selten und wenn nur codiert in Filmen zu finden. Manchmal auf eine Art codiert, als würde man mit einem Kleinkind verstecken spielen. Man muss sich so sichtbar wie möglich verstecken, sonst findet es einen nicht. Ähnlich ist die Herangehensweise der Coens hier. Und abgesehen von all den Referenzen, die in dieser Szene stecken, kommt man, während man sie sieht, eigentlich gar nicht zum Nachdenken. Weil die Coens hier auch mal die Ironie runterschrauben können und einen mit aufgerissenen Augen statt augenzwinkernd an der Schönheit einer Tanzszene teilhaben lassen, die zwar etwas parodiert, aber sich auch davor verbeugt. (Noch berauschender ist die Sequenz, in der Scarlett Johansson im Meerjungfrauenkostüm Mittelpunkt einer Synchronschwimmerinnen-Choreografie á la Esther Williams ist. So rauschhafte, hypnotisch schöne Bilder gibt es bei den Coen Brüdern sonst selten).
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Hollywood Babylon
Das ist vielleicht das, was "Hail, Caesar!" auch so fantastisch macht: die Figuren vergessen manchmal darauf, dass man sich als Figur in einer Coen Brothers Komödie stets dessen bewusst ist, dass man sich in einem Coen Brothers Film befindet. Im Zentrum des illustren Figurenreigens steht ein Mann namens Eddie Mannix. Josh Brolin spielt den Hollywood fixer, mit dem wir ziemlich genau 24 Stunden an einem Tag im Jahr 1951 verbringen, mit abgebrühtem Charme und souverän geerdet wie immer. Diesen Eddie Mannix hat es tatsächlich gegeben, trotzdem ist Brolins Figur viel mehr eine Kopfgeburt der Coens als eine Darstellung des legendären Mannes, der bei MGM unter anderem dafür verantwortlich war, Skandale zu vertuschen. Brolins Mannix ist ein katholischer Familienvater - Skandale vertuschen muss er aber freilich auch im Auftrag der Capitol Pictures (die kennt man ja bereits aus "Barton Fink"). Das Leben der Stars sollte schließlich so familienfreundlich sein, wie das Geschehen auf der Leinwand, das mit dem echten Leben so gar nichts zu tun hatte.
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Parodie und Liebe
Glücklicherweise sind die Coens genausowenig daran interessiert, mit "Hail, Caesar!" eine auf Fakten beruhende Lektion in Filmgeschichte auf die Leinwand zu bringen. Auch das macht "Hail, Caesar!" so unwiderstehlich. Eine reine Hommage, eine blutleere Aneinanderreihung von Referenzen wäre uninteressant. "Hail, Caesar!" ist so etwas wie eine Coen-Ableitung vom Hollywood der 1950er Jahre. Es ist, als würde sich jemand - vielleicht leicht beschwipst, redselig, gern übertreibend und mit Gedächtnislücken - an diese Zeit erinnern. Es ist alles andere als wahr und selbst wenn man sich die Mühe macht, alle Referenzen und Anspielungen zu entdecken und dechiffrieren und sie dann aneinanderreiht, dann hat man zwar vielleicht ein Skelett von "Hail, Caesar!", aber nicht sein Herz. Das steckt in der Konstruktion dieses Films, in seinem Tonfall, in dem vom Zynismus früherer Coen-Filme endgültig nichts mehr zu finden ist, in der Kreation einer eigenen Version von old Hollywood in a nutshell, und in dem wahnwitzigen, gelungenen Vorhaben Satire und Liebeserklärung zu sein. Dass sie den Regler zwischen den beiden doch recht unterschiedlichen Tonfällen hin- und herdrehen können, ohne "Hail, Caesar!" inkonsistent zusammenbrechen zu lassen, liegt daran, dass sie die Dinge, die sie hier parodieren (und lieben) ganz genau kennen. Und daran, dass Joel und Ethan Coen im Laufe der Jahre ein eigenes Universum erschaffen haben, in dem eigene Regeln gelten.
Filmstar entführt
Eine dieser Regeln ist: In einem Coen-Film besteht eine ziemlich hohe Wahrscheinlichkeit einer Entführung. Im Falle von "Hail, Caesar!" ist Braid Whitlock (George Clooney) das Entführungsopfer. Vom Set eines Sandalenfilms (der ebenfalls "Hail Caesar" heißt) ist der Vorzeige-Filmstar eines Tages verschwunden, das bringt neuerliche, anstregende Punkte auf die To Do Liste von Eddie Mannix. Die Klatschpresse beruhigen, sicherstellen, dass der Zeitplan des Films nicht darunter leidet und schließlich, als sich eine Gruppe namens The Future zur Entführung bekennt, das Lösegeld auftreiben. Whitlocks Entführung ist im Grunde bloß ein MacGuffin, Clooneys Figur ein Pastiche des archetypischen männlichen Hollywoodstars der 50er Jahre, der als römischer Feldherr durch den Sandalenfilm schreitet und etwas findet, was Eddie Mannix kurzfristig verloren geht: Seinen Glauben.
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Jesus als Hollywood fixer
Kein Coen-Film ohne Religion, Moral und Glauben. Das erste Bild von "Hail, Caesar!" zeigt ein Kruzifix, darunter den beichtenden Mannix. Am Filmset, auf einer Soundstage geschützt vor der kalifornischen Sonne, stehen schon die Kreuze bereit für die Szene, in der Clooneys Römersoldat Jesus begegnet. Und wenn im Abspann schließlich "This motion picture contains no visual depiction of the godhead" steht, so beziehen sich die Coens gleich auf sich selbst und erinnern an eine Szene, in der Mannix sich mit sämtlichen Religionsvertretern trifft, um sicherzugehen, dass der Sandalenfilm "Hail Caesar" niemanden beleidigen wird. Die Figur des Eddie Mannix selbst beschreiben die Coen-Brüder als christ-like. Tag für Tag muss sich der hart arbeitende Mann mit den Sünden Anderer beschäftigen und dafür büßen, eine Stimme (am Telefon) gibt ihm dazu Anweisungen. Er geht den harten, steinigen Weg und das, obwohl er ein Jobangebot hätte, das sein Leben soviel einfacher machen würde.
Red Scare
Aber er liebt nichts so sehr wie das Filmgeschäft und vielleicht liebt niemand das Filmgeschäft so sehr wie dieser Mannix. Auch wenn das bedeutet, dass er tagein tagaus von Soundstage zu Soundstage hetzt, Ehen arrangiert, Skandale vertuscht und Filmstars, die plötzlich für kommunistische Ideen zu haben sind, ohrfeigt bis sie zu Vernunft kommen. Denn nicht alles ist Glitzer, Glamour und Genrepastiche in "Hail, Caesar!". Mit einem Strang, den ich nicht weiter ausführen möchte, weil es schön ist, davon überrascht zu werden, widmet sich der Film auch Hollywoods makelvoller Vergangenheit, in der der paranoide red scare für schwarze Listen sorgte. Wenn sich herausstellt, dass ein strahlendes Leinwandidol homosexuell und überzeugter Kommunist ist und ein sowjetisches U-Boot besteigt, dann bündeln die Coen Brothers in dieser grandiosen Szene gleich zwei der großen Ängste beziehungsweise Tabus dieser Ära. Herrlich auch, dass das Leinwandidol dabei einerseits aussieht wie kommunistischem Propaganda-Material entsprungen, die Szene aber auch an das Gemälde von Washington bei der Überquerung des Delaware erinnert. Hier erstaart nichts zum bloßen Zitat.
Meet Laurence Lorentz
Ich glaube, der beste nonverbale Wortwitz, den man machen kann, steckt in der Szene, in der Frances MacDormand als Cutterin Mannix eine Szene vorführt und sich ihr Tuch in den Filmspulen verheddert: Gag Reel.
Frei von religiösen Zweifeln und auch ganz und gar nicht anfällig für kommunistische Propaganda ist eine Figur, die aus dem Coen-Kanon raussticht, weil sie tatsächlich glücklich zu sein scheint. Alden Ehrenreich spielt den von vielen belächelten Schauspieler Hobie Doyle, der zunächst in launigen Western seine Akrobatik-Künste zeigt, bis sich die Studios dafür entscheiden, sein Image zu ändern und ihn in einem Gesellschaftsdrama besetzen. Statt Hemd und Jeans trägt er nun Anzug und quält sich mit Regisseur Laurence Lorentz (Ralph Fiennes) durch Dialogzeilen wie "Would that it were so simple". Meine Lieblingsszene in dem ganzen Film.
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Der Cowboy und die Bombshell
Doyle soll nun ein ernster Schauspieler werden, doch die beherzte Western-Attitude lässt sich nicht nur an seinem Gang ablesen, sondern auch in seinem Verhalten. Wenn er lassoschwingend auf die Frau wartet, mit der ihn das Studio verkuppeln möchte, dann ist das ein weiterer, wunderschön skurriler Moment. Die Frau, auf die er wartet, ist Starlet Carlotta Valdes. Der Name stammt aus "Vertigo" und bezieht sich auf eine nicht unwesentliche Figur in einer Lügengeschichte. Carlotta Valdes in "Hail, Caesar!" wiederum ist ziemlich eindeutig eine Anspielung auf Carmen Miranda, die von den Hollywood Studios in den 1940er Jahren als brazilian bombshell vermarktet wurde. Zwei Konstrukte gebündelt in einer Person ergeben etwas Neues, das weit mehr ist, als die Summe der einzelnen Teile, sowie "Hail, Caesar!" eben weit mehr ist, als eine nostalgische Zitaterevue.