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Christian Fuchs

Twilight Zone: Film- und Musiknotizen aus den eher schummrigen Gebieten des
Pop.

17. 2. 2016 - 16:53

Emotionen werden Fleisch

Zum Tod des Kinovisionärs Andrzej Żuławski: Eine glühende Hymne auf sein Alltime-Meisterwerk "Possession".

Eine Berliner U-Bahn-Station. Die Kamera folgt einer irre lachenden Frau, die eine Rolltreppe hinauffährt und dann einen Gang entlanghetzt. Ihr Gejauchze steigert sich, die Frau schleift mit ihrer Einkaufstasche an den Mauern entlang, zerbricht die darin enthaltene Milchflasche, schüttelt dann wie besessen ihre langen, schwarzen Haare, beginnt einen rhythmischen Tanz, der sich schnell in völlige Ekstase steigert.

Mit Andrzej Żuławski (22.11. 1940 – 17.12. 2016) ist einer der zentralen Kinorebellen verstorben, nach einem langen Kampf gegen Krebs.

Über und über mit der weißen Flüssigkeit besudelt, fällt sie in entrückte Posen, kreischt, zuckt spastisch, stößt gutturale Laute aus. Dann wirft sich die Frau auf den Boden, wirbelt dort herum, wälzt sich im Schmutz. Schließlich hockt sie auf den Knien und erbricht dickflüssigen weißen Schleim, ebensolcher rinnt auch zwischen ihren Beinen hervor, vermischt mit Blut.

Possession

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Paradetypisches Körperkino

Der in Paris lebende Pole kämpfte seit seines Lebens gegen die Konventionen des Mainstreams, vor allem aber auch des Arthouse-Films an. Żuławski drehte mit Leinwandlegenden wie Romy Schneider, Klaus Kinski oder Isabelle Adjani.

In einigen wichtigen Filmen von ihm spielte auch seine langjährige Partnerin Sophie Marceau die Hauptrolle. Die Beziehung zwischen dem Enfant Terrible des Körperkinos und der einstigen "La Boum"-Darstellerin sorgte für Schlagzeilen, die oft sein künstlerisches Schaffen überschatteten.

Der Regisseur vollendete mit Jahr 2015 noch seinen Film "Cosmos", dessen Kinostart im deutschen Sprachraum, wie der vieler Żuławski -Streifen, noch aussteht.

Kino als reine Entgrenzung: Eine Schlüsselsequenz aus Andrzej Żuławskis radikalem Meisterwerk "Possession", einem persönlichem Alltime-Lieblingsfilm, die zunächst an einen Horrorschocker denken lässt. Als solcher wurde der Streifen seit seinem Erscheinen 1981 auch oft rezipiert. Und damit von puristischen Cineasten gleichzeitig negiert. Andere Szenen zeigen dieselbe Frau (die göttliche Isabelle Adjani in der Rolle ihres Lebens) beim Sex mit einem glitschigen Wesen, halb Mensch und halb Reptil, das nicht von dieser Welt sein kann.

Wie David Lynchs Debüt "Eraserhead", mit dem er öfter in Zusammenhang gebracht wird, sprengt "Possession" aber sämtliche Horror-Konventionen spielend. Es handelt sich um paradetypisches Körper-Kino, irgendwo zwischen Kunst-Anspruch und Genre-Zitaten; im Idealfall für Zuseher gemacht, die simple Kategorisierungen verweigern und sich einfach überrollen lassen wollen.

"Possession", der die speziell desolate Stimmung von Westberlin Anfang der 80er einfängt wie sonst nur Songs der Einstürzenden Neubauten, beginnt zunächst wie ein modernes Melodram über zwei Menschen, die aneinander vorbeireden und leben. Marc (ein junger Sam Neil) ist ein Spion, der nach einer Mission zu seiner Frau Anna (Adjani) zurückkehrt, die mit dem gemeinsamen Kind in der Mauerstadt wohnt. Eine brodelnde Aggression belastet die Beziehung, verzweifelt versucht der Mann die Entfremdung seiner Partnerin zu ergründen.

Eine Postkarte bringt Marc auf die Spur eines Liebhabers (der großartige Heinz Bennent), zu dem sich Anna, zur Rede gestellt, auch bekennt. Der Ehemann ist am Boden zerstört, leidet unter dem Betrug, versucht aufgewühlt seine Frau umzustimmen. Gleichzeitig zieht ihn die Kindergärtnerin seines Sohnes an (ebenfalls Isabelle Adjani), die Anna zum Verwechseln ähnlich sieht.

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Alle Spielarten der Hysterie

Wirkt das Doppelgängermotiv schon verunsichernd, verlässt "Possession" irgendwann gänzlich die Ebene des Realismus. Ein von Marc beauftragter Detektiv spürt Anna in ihrer geheimen Zweitwohnung auf, wo sie sich der erwähnten monströsen Kreatur hingibt. Als der immer gehetztere Ehemann - überhaupt sind die Filme von Andrzej Żuławski von einer konstanten Unruhe geprägt - letztlich dieses dunkle Mysterium hinter seiner Frau entdeckt, kappt der Regisseur auch mögliche Verbindungslinien zum übernatürlichen Horror-Thriller und betritt vollends einen surrealen Bereich.

"You take elements of reality, you put them together and it doesn't fit, it becomes a composition of things we know from real life, but the situation is totally crazy and abstract", sagt Zulawski seinerzeit in einem Interview über sein Konzept.

"Possession" ist möglicherweise der befremdlichste, aber auch der irrlichternd schönste Film im Œuvre des im polnischen Lvov geborenen Regie-Renegaten Żuławski. Aber nur was den Inhalt angeht. Die von Kino-Konventionen befreite formale Umsetzung zieht sich durch fast alle Streifen des unglaublich unterschätzten Meisters.

Zulawski

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Andrzej Żuławski

Fast immer begleitet die (Hand-)Kamera exzentrische Protagonisten hautnah, wie sie durch die Szenerien – weite, Agoraphobie hervorrufende Exterieurs oder klinisch-kühle Interieurs – rasen, laufen, schreien. Ausbrüche, Anfälle, alle Spielarten von Hysterie durchziehen fast jede Einstellung, Ruhepole gibt es kaum.

Der Tonfall der Dialoge, ob in "L' Important C'est D'aimer" (Nachtblende, 1974), "La Femme Publique" (Die öffentliche Frau, 1983) oder "L'amour Braque" (Liebe und Gewalt, 1985), ist bewusst manieriert, die Gestik ebenso, ungewöhnliche Kamerapositionen betonen diese Atmosphäre der Überzogenheit noch. "The camera is very low-down or high-up, it's not the normal way of looking at things", meinte Żuławski. Es geht um verschobene, ver-rückte Blickwinkel auf die Realität.

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Acting is cinema, doing is cinema, Talking is radio

Ziel dieser visuellen und darstellerischen Dauer-Raserei ist allerdings nicht ein eitles L'art pour L'art-Kino, wie es manche Gegner Żuławski unterstellen, dessen Wahrnehmung durch die Kritik bis zu seinem Tod zwischen Spott und Verehrung pendelt. Dem Regisseur geht es um die Abbildung einer intensiven Leidenschaftlichkeit, um ein ruheloses, besessenes ("Possession") Agieren, das aus der grundlegenden Verzweiflung seiner Charaktere trotzhaft erwächst. "We are all unhappy and we don't deserve it. Acting is a way to show it."

Mit seinem Zitat über das extreme Ausagieren von Emotionen erweist sich Zulawski als Pionier eines Body Cinema, dass gerade in der letzten Zeit, mit Filmen wie "Under The Skin", "The Revenant" oder "Mad Max: Fury Road", wieder zum zentralen Thema wird.

"The only way to make things clear to her is to do, to act" sagt der Regisseur auch über Marc alias Sam Neil, der in "Possession" mit seiner Frau irgendwann zu sprechen aufhört und sie stattdessen schüttelt, herumreißt, umarmt, streichelt, "and this is cinema, acting is cinema, doing is cinema. Talking is radio."

Agieren, Schlagen, Brüllen, Streicheln, Herumwirbeln, darauf setzt Żuławski – die Rede versagt in seinen Filmen. Ganz direkt etwa in "Mes Nuits Sont Plus Belles Que Vos Jours" (Meine Nächte sind schöner als deine Tage, 1988), wo ein von Jaques Dutronc gespielter Informatiker durch eine Krankheit an Sprachverlust leidet. Obsessive Sexualität wird für ihn zum einzigen/wichtigsten Kommunikationsmittel mit seiner Geliebten. Das Forcieren der Sprache der Erotik, der Liebe, der zuckenden Körper ist zugleich Żuławskis Antwort auf das Dauergeschnatter des gutbürgerlichen Dialogfilms in seiner Wahlheimat Frankreich.

Auch in seinem Beziehungs-Horror-Film "Possession", der sich in der privaten Filmsammlung zwischen David Lynch, David Cronenberg und Ingmar Bergman verstörend einfügt, genügen Żuławski sprachliche Mittel nicht mehr zum Ausdruck der Emotionen. Die "Szenen einer Ehe" werden zu einem entfesselten, grausamen Tanz, bei dem sich die Partner durch den Raum schleudern oder in einer Sequenz, beinahe rituell, in der Küche mit Messern verletzen. In der Nachfolge des großen Theater-Revolutionärs Antonin Artaud wird der Körper zum Sprech-Werkzeug, löst die Geste, der Schrei, das Zucken die Worte ab.

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Jede wahre Sprache ist nur ein Schrei

Żuławski macht Artauds Grundbedingungen für das Theater zu Grundbedingungen des Kinos. Es geht ihm um das Veräußerlichen von Gemütszuständen, um physische Manifestationen negativer, im Fall von "Possession" selbst erlebter, Gefühle. "The story of 'Possession' is the story of my life, this is the only film I've made in my lifetime, which is really autobiographic. It says something about my personal problems as a man with the woman I really loved. It's a film about breaking up, about the end of a relationship."

Die simple, autobiografische Ausgangslage – Żuławskis gescheiterte Ehe mit der Schauspielerin Malgorzata Braunek – verpackt der Regisseur eben nicht in ein psychologisches Drama: Emotionen werden in "Possession" Fleisch. Die Kreatur in Isabelle Adjanis Wohnung ist kein Außerirdischer, keine satanische Ausgeburt konventioneller Genre-Fantastik. Sondern – vermutlich – "Enttäuschung und Frustration der von ihren Obsessionen gequälten Frau", wie der Żuławski-Experte Marcus Stiglegger schreibt, die körperliche Gestalt angenommen haben.

Nachdem der echte Marc wegen seiner langen Spionageaufträge im Ausland nicht mehr greifbar ist, gebiert Anna aus sich heraus einen Doppelgänger, der nach seiner Reptilien-Phase den alten irgendwann ablösen wird. Aber auch ihr Mann kreiert sich mit der lieblich-naiven Kindergärtnerin ein liebliches Spiegelbild seiner Geliebten, das eben nicht schreit, tobt oder sich gerade mit einem Elektromesser den Hals aufschneiden will.

"I think we are all divided", meinte Andrzej Żuławski, "into somebody who wants to be good and somebody who wants to be bad or who is bad. The whole story of life is between the devil and the angels and how we fight. Art very often uses this image like a mirror." Es geht in "Possession" also nicht bloß um zwei gescheiterte Individuen, die sich in Wahnvorstellungen flüchten, sondern um einen grundlegenden Gegenwartsbefund.

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Partnerkriege in engen Privaträumen

Zu den strauchelnden Figuren gehören die nüchternen Wohnungen des Films, sterile Orte, an denen Zivilisationsgeschädigte versuchen, ihrem inneren Chaos Ordnung abzuringen. Es kommt in diesen klinisch schönen Privaträumen auch deshalb zu Partnerkriegen, weil es für die Verlorenen keine öffentlichen Räume mehr gibt, wo Aggression herausgelassen werden kann: "It shrunk to something between a man and a woman, in appartments, in bedrooms, in beds. We are locked in appartments, walk in small spaces. This caged movement is one of the keys to 'Possession'."

Paare als in die Ecke gedrängte Käfig-Tiere, Beziehungen als Schlachtfeld atavistischer Triebe: Sich ernsthaft mit diesen pessimistischen Ansätzen zu beschäftigen, wäre die wirkliche Aufgabe für Rezensenten von "Possession" gewesen. Stattddessen wurde der Film nach seinem Erscheinen wahlweise als spekulativer Genre-Beitrag oder kunstgewerbliche Pseudo-Provokation gebrandmarkt, zensuriert, verstümmelt.

Erst mit diversen Heimkino-Editionen begann eine neue Auseinandersetzung mit Andrzej Żuławski, die sein Schaffen, vor allem "Possession", als Beispiele eines grenzüberschreitenden, kompromisslosen Kinos der rastlosen Körper begreift.