Erstellt am: 20. 2. 2016 - 13:00 Uhr
Ein roter Faden
Electronic Arts
Jedes Jahr werden auf der E3, der Electronic Entertainment Expo in LA, diverse Trailer von kommenden Videogames präsentiert. Manche davon hinterlassen einen so starken Eindruck, dass der Spielrelease dann sehnsüchtig allerorts erwartet wird. So hat es sich bei Unravel zugetragen. Die Erwartungen waren hoch, weil schon die ersten Einblicke ein schönes und interessantes Spielerlebnis versprochen haben.
"Unravel" ist für PC auf Origin, Play Station 4 und Xbox One erschienen.
Man spielt eine kleine Figur aus rotem Garn, genannt Yarny (ja eh, warum sollt man das Maxerl auch gekünstelt Hans-Jörg oder Brigitte nennen oder sowas). Wenn wir laufen, wickelt Yarny immer mehr von seinem Faden und also von seinem Körper ab und wird immer dünner, bis wir wieder zu einem Savepoint kommen, einem kleinen roten Knäuel, wo wir uns wieder aufwickeln können. Der rote Faden ist uns aber nicht nur Substanz, sondern auch Mittel, um Hindernisse zu überwinden und uns fortzubewegen, indem wir uns voranschwingen, an etwas hochziehen oder Knoten machen.
Electronic Arts
Das ist die einfache Grundidee, die allerdings mit spürbar viel Liebe und Ideenvielfalt umgesetzt worden ist. Allein die unterschiedlichen Landschaften durch die man läuft - ein herbstlicher Garten, ein Beerenmoor oder eine sonnige Winterlandschaft - sind so schön und detailreich, dass man fast ein schlechtes Gewissen bekommt wenn man einfach achtlos durchläuft. Besonders an den Landschaften und der Vegetation merkt man ganz eindeutig, dass das Spiel von einem schwedischen Entwicklerteam kommt.
Manche der Jump'n'Run Teile des Spiels sind wahnsinnig rasant und wir fliegen nur so durch die Gegend und schwingen uns von Zweig zu Zweig, dann wieder kiefeln wir an einem Rätsel und wissen nicht recht, wo wir die Schnur verknoten, wie wir den Mechanismus in Gang oder auch außer Kraft setzen sollen. Photorealistische Grafik ist mir ja normalerweise schnurzpiepspups egal, aber hier, wenn man den roten Faden sieht, von dem kleine feine Fusel abstehen, wie er sich durch das feuchte Moos am Waldboden oder durch die vom Raureif angeeisten Grashalme schlängelt - das lässt nicht einmal mich kalt.
Electronic Arts
Und Yarny, die Garnpuppe, ist so überzeugend animiert, dass man, obwohl sie weder spricht noch ein Gesicht hat, sofort mit ihr mitfühlt und sie liebgewinnt.
Diese Figur, die Landschaften und die Orchestermusik des Soundtracks schaffen die Basis für eine höhere Erzählebene, abseits vom simplen Puzzle Platformer. Es geht in Unravel um Erinnerungen und Beziehungen. Yarny ist wortwörtlich der rote Faden, der sich durch das Leben einer Person zieht. In den diversen Landschaften begegnen wir schemenhaften Menschen im Hintergrund.
Electronic Arts
Sie sind Erinnerungen an vergangene Urlaube, Ausflüge oder auch tragische Ereignisse. Das Spiel vermittelt dabei eine melancholische Sehnsucht nach Menschen, die uns fehlen, weil sie weit weg sind, wir sie lange nicht gesehen haben oder sie nicht mehr da sind.
Hinter Unravel steht wie gesagt das kleine schwedische Studio Coldwood, der Publisher ist allerding Electronic Arts, was vielen Indiefans schon im Vorfeld sehr sauer aufgestoßen ist. Auch Vergleiche mit Little Big Planet's kleinem Sackboy und Yoshi's Wooly World werden gerne angestellt und die Kreativität von Unravel mit dem Vorwurf "Das ist alles nur nachgemacht, die wollen nur mit den Dingen, die sich bewährt haben, selber Kohle machen!" in Frage gestellt. Ja, das Gameplay ist keine Neuerfindung des Rades und ja, es gab schon andere Spielfiguren aus Stoff und Garn. Obendrein ist der Spielumfang mit 12 Leveln überschaubar. Das Game lässt sich locker in 2-3 Sessions durchspielen. Aber es bleibt auch danach etwas übrig, ein Gefühl.
Electronic Arts
Auf seine stille Art ist dieses Game eines der berührendsten seit Journey oder Limbo. Unravel ist mehr als die Summe seiner Fäden - es vermittelt nicht nur Spielspaß, sondern auch Emotionen.