Erstellt am: 17. 2. 2016 - 16:13 Uhr
EU-Büro gegen Schlepper in Wien vor Eröffnung
Wie aus einem geleakten Dokument des EU-Ministerrats hervorgeht, wird im April ein gemeinsames operatives Zentrum zur Bekämpfung von organisierten Schleppern eingerichtet. Das als "EU restreint" klassifizierte Dokument listet das Projekt an zweiter Stelle in einem umfassenden Maßnahmenkatalog gegen "illegale Einwanderung" als "oberste EU-Priorität". Das Wiener Innenministerium bestätigte das auf Anfrage nicht nur, sondern gab auch bekannt, dass dieses Zentrum von Österreich selbst initiiert wurde.
Aktuell dazu in ORF.at
Das Mandat der EU-Grenzschutzagentur Frontex soll ausgeweitet werden. Eine massive Änderung des Mandates sei derzeit in Ausarbeitung, sagte der stellvertretende Chef der Agentur, Berndt Körner, im ORF-"Report" gestern Abend.
Anders als das Ratsdokument sei das Projekt selbst öffentlich, sagte Oberst Gerald Tatzgern vom Bundeskriminalamt, zu ORF.at. Wie schon der Titel "Joint Operational Office" (JOO) besage, gehe es dabei um keine weitere Datenbank, sondern um konkrete, länderübergreifende Zusammenarbeit von Ermittlern gegen organisierten Menschenhandel auf der Balkan-Route. Das Projekt setze auf einer seit 14 Jahren bewährten österreichischen Initiative auf, die nach Abschluss des Prümer Abkommens zur polizeilichen Zusammenarbeit 2005 entstanden sei, sagte Tatzgern, der die Abteilung "Schlepperei und Menschenhandel" im Bundeskriminalamt leitet.
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EU Council
Insgesamt 20 Projekte
Aktuell dazu in FM4
Zusätzlich zur eigentlichen Arbeit müssen sich die Beamten mit einer Unzahl von bösartigen bis absurden Gerüchten über angebliche Straftaten von Asylwerbern herumschlagen, die auf dieser "Hoaxmap" gesammelt werden.
Auch an einem zweiten dieser insgesamt 20 EU-Projekte, das von ungarischen Beamten geleitet wird, wird Österreich maßgeblich beteiligt sein. Es betrifft ebenfalls die Balkan-Route und soll der Zerschlagung von Schlepperbanden dienen, dementsprechend wird es von allen Anrainerstaaten auf dem Balkan aus der EU unterstützt. Die übrigen Projekte betreffen alle mögliche Routen von, nach und in Europa und alle möglichen Delikte rund um Menschenschmuggel sowie Maßnahmen zur Vorbeugung wie etwa Trainings für andere Behörden oder Botschaftsangehörige im Erkennen gefälschter Dokumente.
Interessanterweise nimmt dabei Großbritannien, das mit zwei Projektleitungen und der Unterstützung für gut zwei Drittel dieser Initiativen präsent ist, hier eine Hauptrolle bei der europäischen Grenzsicherung ein. Auffällig stark vertreten in diesen Arbeitsgruppen sind auch drei von vier der sogenannten Visegrad-Staaten, nämlich Ungarn, Polen und die Slowakei. Diese im Grenzschutz engagierten EU-Mitgliedsstaaten haben eines gemeinsam: Sie nehmen keine Kriegsflüchtlinge auf.
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EU Council
Die geplante europäische Küstenwache
Das Ratsdokument zur Schaffung einer europäischen Küstenwache wurde von der britischen Bürgerrechtsgruppe Statewatch veröffentlicht.
Wie aus einem weiteren geleakten Dokument des Ministerrats vom 9. Februar hervorgeht, laufen gerade Verhandlungen unter den EU-Mitgliedsstaaten zur Schaffung einer einheitlich organisierten EU-Grenzschutzbehörde samt einer europäischen Küstenwache. Das mit "limite" einen Grad niedriger klassifizierte Dokument soll offenbar die Initiativen auf EU-Ebene wie etwa das European Border Surveillance System (Eurosur) von 2013 in einer einheitlichen European Border and Coast Guard Agency zusammenfassen. Hier geht es um ein einheitliches Prozedere an den EU-Außengrenzen wie etwa an jener zwischen der Türkei und Griechenland, die sowohl aus geografischen, aber weit mehr noch aus politischen Gründen besonders schwierig zu kontrollieren ist.
Das "Joint Operational Office" in Wien
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BMI
Die Einrichtung eines operativen Zentrums zur Bekämpfung des Menschenhandels mit Flüchtlingen auf der Balkan-Route sei dagegen viel einfacher zu bewerkstelligen, weil die dafür nötigen Strukturen polizeilicher Zusammenarbeit längst aufgebaut seien, sagte Tatzgern im Gespräch mit ORF.at. Im Zuge des von Österreich und mehreren anderen EU-Staaten ab 2005 unterzeichneten Prümer Abkommens zur polizeilichen Zusammenarbeit habe man mit den Kollegen in Slowenien, Ungarn, Bulgarien, Rumänien und auch den Nicht-EU-Staaten auf dem Balkan engere Kontakte geknüpft.
Der ursprüngliche Schwerpunkt waren Ermittlungen gegen Menschenhandel im Rotlichtmilieu, also gegen grenzüberschreitende Zuhälterei. "Gerade Menschenhandel ist ja per se ein grenzüberschreitendes Delikt" so Tatzgern weiter, "daher müssen die Ermittler ebenfalls grenzüberschreitend operieren. Am allerwichtigsten dabei sind direkte, persönliche Kontakte zu den Kollegen in den benachbarten Staaten."
"Auf persönlicher Ebene"
Die Flüchtlingstragödie im Burgenland mit 71 Toten in einem luftdicht abgeschlossenen Lkw und die ersten Verhaftungen Ende August in den Berichten von ORF.at
Diese Art der Zusammenarbeit auf persönlicher Ebene sei damals relativ schnell und unbürokratisch in Gang gekommen und habe auch die wechselnden politischen Gemengelagen auf dem Balkan unbeschadet überstanden. "Probleme traten immer dann auf, wenn Strukturen in den Polizeiapparaten von Partnerstaaten geändert wurden und die bisherigen Ansprechpartner dadurch abhanden kamen. Das geschah für unseren Geschmack leider etwas zu oft, doch insgesamt lässt sich sagen, dass die Zusammenarbeit hervorragend funktioniert", so Tatzgern. Diese ursprünglich gegen Zuhälterringe entwickelten Methoden funktionierten genauso gegen die relative neue Form des organisierten Menschenhandels mit Flüchtlingen.
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EU Council
Den Ausschlag dafür, eine leitende Rolle für das Bundeskriminalamt in dieser Zusammenarbeit anzustreben, habe der LKW mit 71 erstickten Flüchtlingen Ende August 2015 gegeben. Durch die langjährige Zusammenarbeit mit den Behörden aus Ungarn und Bulgarien fand die erste Verhaftung bereits Stunden nach dem Vorfall statt. Drei Tage später waren sechs dringend Tatverdächtige, ein bulgarischer Geschäftsmann und fünf Ungarn, bereits in Haft und warten seither auf ihren Prozess in Ungarn.
Das SIENA-System von Europol
"Das war pure kriminalpolizeiliche Zusammenarbeit vor Ort, also Einvernahmen und Ermittlungen durch die Kollegen in anderen Staaten, wie wir sie seit Jahren zusammen durchführen. Dazu gehören auch gemeinsame Verhaftungen, in einem Fall waren wir sogar operativ an der Verhaftung von einem Dutzend ungarischer Polizisten wegen Korruptionsdelikten beteiligt. Auch in diesem Fall war Menschenschmuggel der eigentliche Tathintergrund." sagte Tatzgern.
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EU Council
Bemerkenswert ist, dass laut Ministerrat gerade einige besonders gefährdete Staaten zu wenige, lückenhafte oder gar keine Daten in die EU-Datenbanken einpflegen.
Europol oder Interpol könnten Derartiges nicht leisten, denn ihre Aufgaben bestünden ja in Analysen, Lageberichten und der europaweiten Koordination von Einsätzen. Die Daten dafür würden über das sichere SIENA-Netz von Europol übermittelt, denn "Österreich gehört zu jenen fünf EU-Staaten, die SIENA intensiv benützen", so Tatzgern weiter. Erst im Jänner hatte der EU-Ministerrat festgestellt, dass gut die Hälfte aller Mitgliedsstaaten der Union noch nicht einmal an SIENA, das sichere Kommunikation unter den beteiligten Behörden gewährleistet, angeschlossen waren.
Wie operative Koordination funktionieren soll
Auf die Frage, wie man sich diese operative Zusammenarbeit der Polizeibehörden konkret vorstellen könne, sagt Tatzgern: "Unspektakulär, normale kriminalpolizeiliche Arbeit, aber eben grenzüberschreitend. Wenn direkte Unterstützung durch andere Polizeibehörden in einem konkreten Fall von Menschenhandel nötig ist, haben wir nun ein kleines EU-Budget zur Verfügung, um Kollegen aus Rumänien oder Serbien nach Wien einzuladen.
Das werden in der Regel höchstens vier bis sechs ausländische Ermittler sein, die nur im Bedarfsfall zusammentreffen, um eine grenzüberschreitende Polizeiaktion zu koordinieren. Darauf sind wir im Bundeskriminalamt eingerichtet, denn im Ermittlerteam haben wir inzwischen Kollegen, die Rumänisch, Serbisch oder Türkisch sprechen oder sogar als Muttersprache haben. Wir trauen uns deswegen durchaus zu, mit dieser Art von unbürokratischer Zusammenarbeit eine EU-weite Benchmark zu setzen", so Tatzgern abschließend.