Erstellt am: 17. 2. 2016 - 13:24 Uhr
The daily Blumenau. Wednesday Edition, 17-02-16.
#demokratiepolitik
The daily blumenau hat im Oktober 2013 die Journal-Reihe (die es davor auch 2003, '05, '07, 2009 und 2011 gab) abgelöst. Und bietet Einträge zu diesen Themenfeldern.
2016 wieder regelmäßig.
Geht es nach Yanis Varoufakis DiEM25 oder Robert Misiks neuem Buch Kaputtalismus, dann braucht es alle Kraft, und überraschenderweise auch die der reformistischen und neuen Linken, um sowohl das Projekt Europa als auch den demokratiegarantierenden Kapitalismus zu retten.
Action am Verschiebebahnhof der ideologischen Zuordnungen
Die Initiative Democracy in Europe Movement 2025, mit der Yanis Varoufakis derzeit durch Europa tourt, müsste eigentlich für massives Erstaunen sorgen. Weil er, der Gottseibeiuns der EU-Granden, sich just um diejenigen sorgt, die seinem Griechenland die Plagen in Form der drei Institutionen sandten. Es geht ihm um das Überleben der EU. Weil er darin, nur darin, auch das Überleben der europäischen Demokratie sieht (näheres dazu hier).
In seiner klappentextlich verbreiteten Würdigung für Robert Misiks neues Buch "Kaputtalismus" geht er noch einen Schritt weiter: "Wir müssen den europäischen Kapitalismus schnellstens stabilisieren, bevor er den nächsten Zusammenbruch heraufbeschwört," sagt Varoufakis, der andernfalls eine globale Katastrophe befürchtet.
Mit dem ideologischen Verschiebebahnhofs-Getümmel der letzten Jahre, in denen das, was einmal in der Mitte war, nach links, und das, was einmal weit rechts war, in die Mitte geräumt wurde, und das, was im Post-Weltkriegs-Europa zurecht unsagbar blieb, rechts außen wieder auftauchen durfte, ist diese Aussage nur unzureichend erklärt.
Es hat auch nichts mit dem Ende der Ideologien zu tun; oder - wie oft in der Politik - mit der Akzeptanz des geringsten Übels. Es geht um nicht mehr oder weniger als das Erkennen des einzig möglichen demokratiepolitisch noch gangbaren Weges.
Robert Misik als willkommener Gedankenauffrischer
Der Schlüssel dazu liegt weniger in den Händen jener, die über die Macht politisch zu regulieren verfügen - auch weil jeder erkannt hat, dass die Konzerne der wahre Souverän sind -, sondern im Justieren des ökonomischen Paradigmas. Denn, um einen heimischen Präsidentschaftskandidaten und Unternehmer zu zitieren: "It's a economy, stupid!". Solange sich an der wirtschaftspolitischen Ausrichtung nichts ändert, bleibt Europa nur der stationary state.
In diesem Zusammenhang ist Misiks Buch über den kaputten Kapitalismus und warum es kein Grund zum Jubel wäre, wenn er eingeht, ein willkommener Gedankenauffrischer. Auch weil es, ganz im Vorübergehen, lapidare Analyse-Aufarbeitung betreibt; wie im Fall der reformistischen Linken (etwa der europäischen Sozialdemokratie), die sich jahrelang drüber hinwegschwindeln konnten, dass sie im Grunde über keine eigene Wirtschaftsideologie verfügt, sondern eine geschmirgelte Version des Keynesianismus adaptiert hatte. Und sich jetzt in Geiselhaft einer Situation sieht, die keine demokratiefeste Alternative zum scheinbar abgenutzten und oft totgesagten Kapitalismus aufweist.
Die ideologische Konkurrenz der Keynesianer, die neoklassischen (um einmal den Begriff der Neoliberalen zu vermeiden) Austeritäts-Anhänger, würden, meint Misik, in ihren Schriften Demokratie durchaus als nicht die optimale Form für eine in ihrem Sinn gesunde ökonomische Entwicklung ansehen. Weshalb auch eine politische Verschränkung mit den in die autoritäre Trickkiste greifenden Nationalisten nicht auszuschließen ist.
Keynes, Neoliberale und Piketty revisited
Das Praktische an dieser sich als Wissenschaft ausgebenden Ideologie - und auch dieses bekannte Wissen ruft Misik plastisch in Erinnerung - ist ihre offensive Unbelegbarkeit; was auch für alle anderen Wirtschaftslehren gilt, die gemessen an ihrer Wissenschaftlichkeit maximal als Orchideen-Seitenfach der philosophischen Fakultät oder als neuer Zweig der Religionswissenschaften durchgehen dürften. Mehr als fundamentalistische Glaubensbekenntnisse stecken allzu oft nicht dahinter; in ihrer übelsten Form werden sie auch noch frömmelnd (mit Göttern wie der schwäbischen Hausfrau) vorgetragen.
Kapitel 4 heißt etwa "Wachsende Ungleichheit - ein Symptom für Systemversagen" und fasst noch einmal Thomas Piketty zusammen, dessen Grundthese von den reicher werdenden Reichen und dem Grundproblem, dass Rendite auf Kapital größer ist als möglicher Gewinn durch Wirtschaftswachstum und dessen Lösungsvorschläge. Um mit einem Zitat aus Benjamin Kinkels Buch "Utopie oder Untergang: Ein Wegweiser für die gegenwärtige Krise" dranzusetzen, das eine sozialistische Revolution für wahrscheinlicher hält, als die Möglichkeit, dass die Definitionsmächtigen bzw. Regierenden sich/ihre Geldgeber selber deutlich stärker besteuern.
In dieser Zwickmühle zwischen dem Wissen um nötige Reformen und reformunwilligen Kräften, im weiten Feld zwischen nationalstaatlicher Ohnmacht und Scheinohnmacht, zwischen unbequemer Demokratie und praktischen Neonationalismus, sucht die ebenso wie die zunehmend zahlen- als auch einflussmäßig unter Druck geratene Mittelschicht auch die Linke einen Lösungsansatz; sofern sie noch Vertretungsansprüche stellen kann. Aber das ist wieder eine andere Geschichte.