Standort: fm4.ORF.at / Meldung: "Der Urschrei Berlins"

Christian Lehner Berlin

Pop, Politik und das olle Leben

17. 2. 2016 - 18:12

Der Urschrei Berlins

"Und aus den Wolken tropft die Zeit" heißt das Debüt von Isolation Berlin. Wer sich die Seele verkühlt hat, dem sei dieses Album wärmstens empfohlen.

Isolation Berlin und ihr Kiez

Depri Delta, so nannte man das Berlin der Mauerzeit - umzingelt von Bedrohung und eingesperrt in Stein. Entsprechend war die Musik. Die "Genialen Dilletanten" nutzten das subventionierte Biotop (Aufhebung von Wehrdienst und Sperrstunde) um ihre böse Saat zu streuen und die aufstrebende BRD mit Krach, Lärm und Chaos zu überziehen. Im Subtext sollte daran erinnert werden, dass das Land der tüchtigen Väter und Mütter auf einem Haufen Mord und Totschlag erblühte und dass bloß ein Druck auf den roten Knopf reichte, um das Post-WKII-Märchen in einen nuklearen Albtraum zu verwandeln. "Hiroshima, wie schön es war".

Isolation Berlin

Staatsakt.

Dieses Grau der Seele wirkt bis heute nach, obwohl die Stadt eine ganz andere geworden ist. Und dieses Grau wirkt auch in der Musik von Isolation Berlin und ihrem Debütalbum "Aus den Wolken tropft die Zeit". Die Stadt dient wieder einmal als Spiegel und Verstärker von Depression, Langeweile und Verzweiflung. Der Konflikt findet Mitten im Leben, also der Liebe statt.

Ein zu Staub zerfallenes Ego, ein zerrüttetes Gemüt / Eine Angst vor allem Neuen und ein selbstgeschriebenes Lied / Das ist alles was mir blieb. Du hast mich nie geliebt“ – Du Hast mich nie geliebt.

Wieder einmal erzählt also ein blasser Jüngling mit schwarzen Augenringen und viel Poesie im Herzen vom Scheitern. Dieser hier heißt Tobias Bamborschke, stammt tatsächlich aus Berlin und hat vor drei Jahren, gemeinsam mit Max Bauer an der Gitarre, die Band gegründet.

"Die Platte beschreibt den Weg einer Trennung. Es beginnt mit dem Geliebt-Werden-Wollen, die Welt umarmen und durchläuft dann mehrere Phasen der Trennung bis zum kompletten Dichtmachen. Es ist meine persönliche Winterreise", so Tobi beim FM4-Interview in Berlin.

Bei Post-Break-Up-Alben ist das ja so eine Sache. Häufig leidet man mit dem oder der Ex, nicht mit dem erzählenden Ich, so sehr nervt das Bad im Selbstmitleid. Bei Isolation Berlin hingegen muss man überhaupt nicht leiden. Es reicht, sich hinzugeben. Irgendwie schaffen es die vier, das Wehklagen in eine annehmbare Form zu bringen und zwar in der vollen Bandbreite zwischen Bedröselung ("In Manchen Nächten") und Ausrasten ("Wahn"). Die Melancholie wandelt vielleicht auch deshalb so leichtfüßig durch die Straßen Berlins, weil sie für den jahrelang an schweren Depressionen leidenden Bamborschke wie ein Upgrade des Lebensglücks wirken muss.

Als viel zitierte Ahnenväter gelten Element of Crime, der "junge" Rio Reiser und selbst der nuschelnde Udo Lindenberg. Auch die neue deutsche Schule rund um Bands wie Die Nerven oder 1000 Robota kann man in ihre Nähe rücken. Im Interview ist es aber vor allem der Nino aus Wien, der Tobi die Begeisterung in die Wangen treibt: "Ich schätze dieses Lethargische und dass er teilweise das Unbedeutende erhebt, dass es warm wird und er die Jacke auszieht und darüber singt. Ich mag auch seine Vielseitigkeit und dass sich da kein gerader Weg abzeichnet bei ihm".

David und Tobi beim FM4-Interview in Berlin

Christian Lehner

Die gefühlte Seelenverwandtschaft passt zu einer Band, die auf einem einzigen Album volksliederartige Chansons, Funk Rock, Schlager, Mersey Sound, Post Punk und Noise mühelos zu einer eingeschworenen Gang vereint.

"Ich glaube, das Schlimmste für eine Band ist, wenn man 'seinen' Stil gefunden hat und sich dort gemütlich einnistet", so Tobi über das offene Soundkonzept, das Isolation Berlin von vielen Peers unterscheidet. Die Angst, Musiken der Vergangenheit zu berühren, hält sich ebenfalls in Grenzen. Dazu Bassist David Specht: "Eines der größten Klischees ist die Vermeidung von Klischees. Wenn du bewusst versuchst, irgendwas nicht zu tun, dann tust du damit etwas anderes, was jemand schon getan hat."

Mit den Wienern von Wanda verbindet Isolation Berlin die Fähigkeit, bessere Popsongs schreiben zu können als die meisten anderen. Und eine Vorliebe für Hochprozentiges. Hier dient der Schnaps allerdings weniger als Teilchenbeschleuniger der Brunftigkeit, sondern als Seelentröster, wenn sich der letzten Freund verzogen hat. "Schnaps ist einfach ein gutes Wort. Es sticht heraus und steht für alles, was den Rausch beschreibt. Mir ist das Wort bei Nina Hagen oder Brecht untergekommen. Aber besaufen tu ich mich jetzt nicht jeden Tag", so Tobi.

Den Ösis haben Isolation Berlin voraus, dass sie nicht allzu viel Regionalismus bemühen müssen, um ihr Grau zu kultivieren. Es geht um das Gefühl, nicht die Schnauze.

Philipp L'heritier über den Song In manchen Nächten

Zwischen all dem Zaudern und Wanken wird auch ordentlich geschrien. So verlässt Bamborschkes Stimme im Erföffnungstück "Produkt" nach einigen gesetzten Versen die Umlaufbahn und überschlägt sich immer weiter nach oben bis sie sich in Heiserkeit auflöst.

"Ich bin ein Produkt, Ich will, dass Ihr mich schluckt / Dass Ihr mich konsumiert /Euch in mir verliert" – Produkt.

Isolation Berlin Und aus den Wolitken tropft die Zeit

Staatsakt.

"Aus den Wolken tropft die Zeit" (Staatsakt.)

"Das kommt aus einer tiefen Verzweiflung, aus Dingen dich ich erlebt habe, wo ich schreien wollte, aber nicht konnte. Und daraus ziehe ich diese Wut. Mir geht’s da aber nicht um eine Schreitherapie, sondern um ein Gefühl, das ich erzählen möchte."

Neben den Leiden des jungen Bamboschke kommen in den Texten - quasi als Nebendarsteller - auch immer wieder simple aber treffende Alltagsbeobachtungen vor. So heißt es im Weißbrotfunk "Verschließe Dein Herz", einem Ratgeber zum Schutz gegen Herzenskränkungen aller Art:

"Alle wollen dasselbe, doch nur für sich allein / Ach wenn wir nicht so hungrig sind, wie glücklich könnten wir sein."

Nun also veröffentlicht die derzeit beste Band Berlins nach mehreren EPs unter der Obhut des derzeit besten Indie-Labels deutscher Zungen (Staatsakt.) das ganz und gar wunderbare Album "Und aus den Wolken tropft die Zeit". Wer sich die Seele verkühlt hat, dem sei diese Platte wärmstens empfohlen. Im Mai dann für einige Live-Termine in Österreich.