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Rainer Sigl

Spiel, Kultur, Pop im Assoziationsblaster.

20. 2. 2016 - 12:01

Ein Sommer in den Bergen

Das atmosphärische "Firewatch" schickt seine Spieler in die Rocky Mountains

Campo Santo

Manchmal will man ganz weit weglaufen. Weg von den Menschen, der Zivilisation, dem eigenen Alltag. So wie Henry: Weil er das Leben mit seiner alzheimerkranken Ehefrau nicht mehr erträgt, nimmt er einen Job am Ende der Welt an. Mitten im Nationalpark in den Bergen von Wyoming soll der Mittvierziger ganz allein einen Sommer lang im Aussichtsturm darüber wachen, dass die jährlichen Waldbrände nicht außer Kontrolle geraten.

Henrys einzige Ansprechperson ist eine Stimme am Funkgerät: Seine Kollegin Delilah, die einige Kilometer entfernt auf einem anderen Turm Wache hält. Was nach idyllischer Natur und Einsamkeit klingt, entwickelt sich in “Firewatch” aber zu einem Abenteuer voller Geheimnisse und Gefahr.

“Firewatch” ist für Windows, Mac, Linux und PlayStation 4 erschienen.

Mystery und Melodram

Denn schon bald stellt sich heraus, dass wir gar nicht so allein in der Wildnis sind. Zum einen randalieren Teenager im Wald herum, und dann ist da noch ein mysteriöser Unbekannter, der uns von fern beobachtet. Wie Henry und Delilah die Vorfälle dieses Sommers gemeinsam aufklären, ist in “Firewatch” aber fast Nebensache. Die Hauptrolle spielen nämlich stattdessen die mal witzigen, mal einfühlsamen Gespräche, die Henry und Delilah einander näher bringen und das vermeintliche Mystery-Drama zum emotionalen Drama werden lassen.

Und dann ist da natürlich die atemberaubend schöne Natur der Rocky Mountains, in der wir uns als Spielerinnen und Spieler fast wie auf einer echten Wanderung fühlen. Eine atmosphärischere und stimmigere Natur hat man so in Spielen nur selten gesehen. Da packen wir auch gerne unsere im Spiel gefundene Wegwerfkamera aus, um immer wieder Erinnerungsschnappschüsse von der Landschaft zu machen - originellerweise können wir diese Bilder auch als physische Fotos bestellen und als Erinnerung liefern lassen. Die Erwanderung der kleinen, aber abwechslungsreichen Wildnis ist eine Attraktion für sich. Trotz nur vereinzelter simpler Interaktionen, die man kaum als Rätsel bezeichnen kann, unterscheidet sich "Firewatch" von verwandten First-Person-Walkern wie "Everybody's Gone To The Rapture" oder "Gone Home", aber am meisten durch seine Funkdialoge, in denen wir die Auswahl zwischen verschiedenen Reaktionen haben.

Campo Santo

Empfehlung!

“Firewatch” ist ein ganz besonderes Spiel geworden, und das liegt auch an seinen Machern: Das neu gegründete Indie-Studio Campo Santo versammelt eine hochkarätige Riege kleiner Stars für sein Debütspiel. Neben einigen Industrieveteranen aus den Studios Telltale (u.a."The Walking Dead"), Irrational Games ("Bioshock") und Double Fine tragen vor allem das fantastische Artdesign von Olly Moss und der außergewöhnliche Soundtrack von Chris Remo dazu bei, "Firewatch" zu einer stimmigen und auch berührenden Erfahrung zu machen.

Sowohl Henry als auch Delilah wachsen in den knapp vier Stunden Spielzeit zu komplexen Figuren heran, die sich angenehm vom Videospielklischee abheben - genau wie "Oxenfree" findet auch dieses Abenteuer einen erfrischend persönlichen Zugang zum Erzählen im Adventure-Genre. Eine unbedingte Empfehlung.