Erstellt am: 12. 2. 2016 - 12:59 Uhr
Berlinale-Eröffnung: Es leise krachen lassen
Vor den Vorverkaufscontainern in der Shopping Mall neben dem Berlinale-Palast drängen die Besucher des größten Publikumsfestivals der Welt auf ihre Kinokarten für die nächsten elf Tage und 400 Filme.
Der rote Teppich vor dem Berlinale Palast am Postdamer Platz war gestern Abend schon ausgerollt. George Clooney, Tilda Swinton, Josh Brolin und Channing Tatum sind ihn im verregneten Blitzgewitter gemächlich entlang geschritten. Flankiert wurden die feinsten US-Stars von ihren Regisseuren Ethan und Joel Coen, die mit ihrer brillanten Hommage an das Hollywood der fünfziger Jahre "Hail, Caesar" für eine heitere Eröffnung der 66. Internationalen Filmfestspiele gesorgt haben.
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In "Hail, Ceasar" verneigen sich die Coen-Brüder vor dem Hollywood-Studiosystem der fünfziger Jahre oder besser gesagt liefern sie, wie Joel Coen es nennt, "eine romantisierende Version einer Hollywood-Maschinerie, die weniger Nostalgie als Bewunderung für das Kino" in ihnen auslöse.
Universal Pictures
Eddie "The Fixer" Mannix (Josh Brolin) managt in "Hail, Caesar" nicht nur Sandalenfilme- und Musicals. Der Studioboss, angelehnt an den realen MGM Manager Mannix, ist rund um die Uhr für die Erfüllung monumentaler Träume verantwortlich und damit auch für hunderte reparaturbedürftige Nebenschauplätze in den Privatleben seiner Stars.
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2016 auf der Berlinale treibt es nämlich der professionelle Gossip-Aktivismus von vielen Journalisten - oder zumindest derer, die sich als solche akkreditieren - bunt, blöd und am liebsten bald mit einer Show auf dem eigenen Youtube-Kanal. Eine polnische Journalistin trägt in neobiederer Mode-Montur ein keckes Schiff-Hütchen. Und sie hat gestern auf der Pressekonferenz von "Hail, Caesar" George Clooney unter viermaligem unverständlichen Nachfragen so lange gequält, bis er ES bestätigen konnte, was vor vier Jahren im Esquire Magazin stand. George Clooney reibt seine Schuhe mit Truthahn-Fleischbällchen ein, um das Vertrauen seines Hundes "Einstein" zu gewinnen.
Clooney glänzt da noch mit Charme und verbietet der Fragestellerin, mit ihm zu flirten. Noch - denn nachdem er bereits von Kollegen aus Lesbos gelöchert wurde, ob er denn nicht nach seiner Regiearbeit "Syriana" (2005) nun bitte einen "Syriana 2" vorlegen könne. Vielleicht mit Schauplatz einer griechischen Insel. Erst als eine dritte Person Clooney darauf anspricht, sich noch mehr für die Menschheit als öffentliche Figur zu engagieren, platzt dem Star der Kragen.
AFP / John MACDOUGALL
An ihre auf der Berlinale zugewiesene neue Rolle des allseits und allwissend engagierten homo ludens müssen sich berühmte Gäste langsam gewöhnen. Das deutsche Mitglied der internationalen Wettbewerbsjury, die widerborstige Lars Eidinger mit schwarz lackierten Fingernägeln, hat einen neugierigen Schreiber aufgefordert, sich bitte selbst die Verwunderung darüber zu erklären, warum in der Berlinale-Jury kein einziger Schwarzer sitzen darf.
Die angespannte politische Debatten(un)kultur um Flüchtlinge und Minderheiten, denen in Deutschland und im Rest Europa immer weniger ein Willkommen entgegen weht, bleibt auf der Berlinale eben nicht nur Kino im Kopf.
Die Berlinale hat mit den Worten ihres Chefs Dieter Kosslick eine gewohnt weltoffene und klare kulturpolitische Position. "Wir lassen es krachen, aber leise" hat der für seine sonst überbordende exaltierte Freundlichkeit bekannte Festivaldirektor bereits auf der Programmpressekonferenz resümiert. Viele Regiearbeiten werden auf der diesjährigen Berlinale ihren künstlerisch gehaltvollen Blick auf die Situation von Vertriebenen und Verfolgten schärfen. Heute ist der Italiener Gianfranco Rosi dran. In seinem Wettbewerbsbeitrag, der Dokumentation "Fuocoammare" (Fire at Sea) zeigt er den Alltag und Ausnahmezustand auf der symbolisch aufgeladenen Mittelmeerinsel Lampedusa.
Samuele Pucillo
Morgen baut dann der deutsche Filmessayist Philip Scheffner mit "Havarie" in der innovativen Nebenschiene "Forum" einen dreiminütigen You-Tube-Clip von einem irischen Hobbyfilmer zu einem Spielfilm aus. Beim ewigen Treiben eines kleinen Flüchtlingsbootes, unterlegt mit den Stimmen seiner Insassen, dem Funkverkehr der Küstenwache und dem Kommentar des Amateurs hinter der Kamera, bleiben keine schrecklichen Fragen, höchstens der Mund, offen.