Erstellt am: 10. 2. 2016 - 17:22 Uhr
Vom tollsten Schlaf überhaupt
"Was wir nicht sehen" porträtiert Personen, die Strahlung spüren. Sie sind, wie es eine Protagonistin im Film sagt, nicht krank, sondern sie wurden vergiftet. Diese, etwa durch die Strahlung von Handymasten, verursachte Vergiftung können sie nur in der totalen Isolation heilen. Da, wo es eben keine Strahlung gibt. In "Was wir nicht sehen" gibt es keine WissenschaftlerInnen, keine Studien, keine Rechtsurteile, aber umso mehr versteht man, dass es wohl kein Spleen ist, der Menschen dazu treibt, sich von Familie, Freunden und jeglichem öffentlichen Leben zu absentieren.
Anna Katharina Wohlgenannt
Es ist nicht unbedingt naheliegend, einen Film über etwas zu machen, das man nicht sieht. Wie bist du darauf gekommen?
Anna Katharina Wohlgenannt: Ich habe begonnen nachzudenken, wie stark elektromagnetische Felder und die Technologie meinen Alltag prägen, weil ich als Filmemacherin dadurch dass ich viel unterwegs bin, darauf angewiesen bin, ständig online zu sein. Und ich hab wahrgenommen, dass das zwanghaft geworden ist, meine Nutzung. Es hat mich irritiert, dass ich mich so sehr daran gewöhnt habe, dass ich es nütze, ohne es zu hinterfragen. Das war der Moment, als ich begonnen habe, mich mit den Technologien zu befassen, mit der elektromagnetischen Welle an sich. Und dann hab ich mich mehr mit der Frage auseinander gesetzt, wie man so etwas sinnlich wahrnehmbar machen kann.
Und das hast du über die akustische Ebene gelöst. Es gibt die Soundkünstlerin Christina Kubisch, die mithilfe von umgebauten Kopfhörern, die auch aufnehmen können, elektromagnetische Strahlung hörbar macht. Solche Aufnahmen sind unverändert im Film und dadurch dass man die Strahlung hört - das Soundchaos, das in Einkaufszentren oder bei Bankomaten, also an unterschiedlichsten Orten, nur nicht am Gletscher herrscht - werden die Bilder anders aufgeladen, bekommen eine neue Dimension.
"Was wir nicht sehen" startet am Freitag im Wiener Metrokino. Im Anschluss an die Vorführungen gibt es Diskussionen mit Medizinern und einer Vertreterin aus der Mobilkommunikation.
Ebenfalls diesen Freitag startet der Dokumentarfilm "Thank you for calling", ein Film über das erhöhte Krebsrisiko, das mit der Strahlenbelastung durch den Mobilfunk in Verbindung gebracht wird. Und es zeigt sich in "Thank you for calling" auch, dass der unabhängigen Mobilfunkforschung derart geringe Mittel zur Verfügung stehen, dass sie der PR der Telekommunikatiosbranche fast chancenlos gegenübersteht.
Anna Katharina Wohlgenannt: Ja, das visuelle Konzept ist in Zusammenarbeit mit der Elektroakustikerin Christina Kubisch entstanden. Sie hat mir erzählt, dass an scheinbar friedlichen Orten wahnsinnige Wellen zu hören sind, etwa im Park, wo Kinder spielen oder im Kaffeehaus, wo Menschen von Handies und Wlan-Routern bestrahlt werden. Ich wollte zeigen, dass wir in unsrem Alltag und an Orten, wo man das nicht wahrhaben will, ständig bestrahlt werden.
Christina Kubisch ist die einzige, die im Film vorkommt und nicht betroffen ist. Sonst porträtierst du Menschen, die elektrosensitiv sind und gezwungenermaßen extrem zurückgezogen leben. Nun ist es bei jeder Doku über Menschen eine Herausforderung, Vertrauen aufzubauen. Du hast es hier mit Menschen zu tun, und das wird auch gleich am Anfang des Films klar, die tendenziell für verrückt gehalten werden. Gleichzeitig suchen sie aber Aufmerksamkeit. Das heißt, es ist noch einmal schwieriger, Vertrauen aufzubauen.
Anna Katharina Wohlgenannt: Genau das war das Spannungsfeld, einerseits wollen sie drauf aufmerksam machen, dass es das gibt, andrerseits aber sind sie einer ständigen Stigmatisierung ausgesetzt. Und sie fühlen ständig, dass sie sich rechtfertigen müssen. Wichtig war, viele Vorgespräche zu führen und sie ohne Kamera zu begleiten. Dann war's wichtig beim Dreh, dass sie sich sicher fühlen, das Team musste vorbereitet sein. Es gab da einen nicht sehr tollen Moment. Einer meiner wichtigsten Protagonisten ist aufgrund eines Teammitglieds, das ihm unterstellt hat, dass er paranoid ist, ausgestiegen und hat nicht mehr mitgemacht. Das war eine sehr bittere Erfahrung, die mich einiges gelehrt hat.
Also Ironie oder Humor ist da nicht möglich, man muss quasi hypersensibel auf hypersensible Menschen reagieren. Obwohl man teilweise nicht anders kann, als zu schmunzeln, wenn man etwa silberne Schutzkleidung sieht oder eine Architektin in Amerika, die im Wald stromlose Holzhütten aufbaut.
Anna Katharina Wohlgenannt: Ich hatte auch diverse Phasen in diesem Prozess. Deswegen hab ich keinen Wissenschaftler zwecks Legitimierung in den Film genommen, um die Spannung aufrecht zu erhalten, die ich selbst empfunden habe während der Begegnungen. Es wirft viele Fragen auf, diese Menschen sind auch einfach teilweise crazy auf eine sehr sympathische Art und sie reagieren eben extrem auf eine Entwicklung, die ich auch fragwürdig finde. Dieses Extremreaktion lässt einen zweifeln, alle möglichen Emotionen kommen hoch, auch Ablehnung. Es gibt einen Schweizer im Film, der mit seiner Familie zurückgezogen lebt und auch seine Töchter zwingt, diese Schutzkleidung zu tragen, obwohl sie keine Symptome haben. Durch diese Fürsorge stigmatisiert er sie aber auch, weil sie in der Schule immer diese Kleidung tragen müssen. Das war ein Moment, wo ich mir gedacht habe, das geht zu weit. Das war im Drehprozess immer ein Thema.
Wenn man sagt, Rauchen ist schädlich, dann raucht man halt nicht. Aber das funktioniert mit dem Handy ja nicht. Man kann nicht einfach so sagen, ich verwende das alles nicht mehr, damit würde ich automatisch nicht mehr am alltäglichen Leben teilnehmen können.
Anna Katharina Wohlgenannt: Der Vergleich wird ja immer wieder bemüht, der Vergleich zwischen Tabakindustrie und Telekomindustrie. Die Strategien, die die Tabakindustrie aufgegriffen hat, werden nun von der Telekommunikationsindustrie benützt. Also Verwirrung stiften, indem man ganz viele Gegenstudien lanciert. Also wenn der Otto-Normal-Verbraucher im Internet anfängt, zu recherchieren über Handystrahlung, dann ist es wahnsinnig, was man da findet. Es ist eine Strategie, Verwirrung zu stiften. Aber es ist nicht nur das Handy, es sind die Masten, es ist der Wlan-Router. Wenn du aber wieder anfängst, mit Kabel-Internet zu arbeiten, dann hilft dir das wenig, weil dein Nachbar sicher einen Router hat. Das ist eine ganz andere Form der Belastung, als sie durch das Rauchen gegeben ist.
Die Message ist dann letztlich, man muss sich Gedanken machen, wie man mit der kommunikationstechnolgischen Entwicklung umgeht.
Anna Katharina Wohlgenannt: Defintiv. Weil das bei mir auch eingesetzt hat, in der Auseinandersetzung mit den Symptomen der Elektrohypersensitivität, was das auch auslöst bei den Menschen, dass es eigentlich kaum eine Möglichkeit gibt, ein Leben zu führen, das lebenswert ist, weil das so überpräsent ist in unsrer Gesellschaft.
Du selbst hältst dein Handy jetzt nicht mehr ans Ohr, wenn du telefoniert, du schickst eher SMS und Emails und hast auch ein Festnetz?
Anna Katharina Wohlgenannt: Ich hab leider kein Festnetz. Aber ich handhabe das so, dass ich mit Freisprecher spreche, in der Nacht abdrehe und Ruhezeiten habe, wo ich komplett offline bin.
Unter anderem war ich ein Mal bei einer meiner ProtagonistInnen zu Besuch, da hab ich nicht gedreht, aber auch bei ihr übernachtet und dieser Schlaf war der Tollste überhaupt, weil die halt im Funkloch lebt und da hab ich festgestellt, wie starke Auswirklungen das auf unser Schlafqualität hat und was das bedeutet, wenn man sich so richtig davon ausruhen kann.