Erstellt am: 12. 2. 2016 - 13:57 Uhr
"Eigentlich ist das Verfahren absurd"
Hauptverhandlungstag am Handelsgericht Wien, Aktenzeichen 39 Cg 65/14y. Im 23. Stock des Justizzentrums im dritten Bezirk in Wien warten Vertreter der Klägerinnen (FPÖ und Freiheitlicher Parlamentsklub) und Beklagten (Filmpirat*innen) darauf, dass die Verhandlung beginnt.
Vereinsobmann Jan Smendek ist mit zwei weiteren "PiratInnen" - Katja und Martin - aus Erfurt angereist. Jan ist sichtlich nervös. Auch sein Anwalt wirkt angespannt. Trotzdem gibt sich der "Filmpirat" zuversichtlich: "Wir werden in der Sache schon Recht bekommen, weil das Verfahren ja eigentlich absurd ist." Bei näherer Betrachtung greift man sich wirklich an den Kopf.
Rückblick
Wiener Akademikerball 2014. Die Wiener Innenstadt ist weitläufig abgesperrt. Bei Demos gegen den Ball kommt es zu Auseinandersetzungen und Tumulten. In der Menge auch Josef S., der später unter Protesten wegen Landfriedensbruchs, Sachbeschädigung und Körperverletzung verurteilt wird.
Die Filmpirat*innen dokumentieren den Prozess. Josef S. wird unterdessen, als er in Haft sitzt, in seiner Heimatstadt Jena mit einem Preis für Zivilcourage ausgezeichnet. Auch das dokumentieren die Filmpirat*innen. Das Material wird online gestellt, versehen mit der Creative-Commons-Lizenz CC-BY-NC-SA 3.0.
Im Juni 2014 veröffentlicht die FPÖ auf ihrem YouTube-Kanal "FPÖ-TV" einen Beitrag, in dem Material der Filmpirat*innen verwendet wird. UnterstützerInnen der Filmpirat*innen machen diese darauf aufmerksam.
![© FPÖ.tv / Screenshot FPÖ TV Youtube Kanal Screenshot FPÖ TV](../../v2static/storyimages/site/fm4/2016026/screenshot-fpö-tv.jpg)
FPÖ.tv / Screenshot FPÖ TV Youtube Kanal
Man schickt der FPÖ schließlich eine Abmahnung und fordert Unterlassung. In der Folge bemüht sich die FPÖ nicht etwa um eine außergerichtliche Einigung, sondern fällt gleich mit der Tür ins Haus: Sie klagt die Filmpirat*innen, weil man sich in der "Meinungsäußerung eingschränkt" fühlt. Streitwert: 35.000 Euro. Kein Pappenstiel für einen kleinen Verein. Wenigstens wurde den Filmpirat*innen kürzlich Verfahrenshilfe genehmigt.
Kollege Paul Pant berichtete vergangenes Jahr vom Prozessauftakt.
Die Hauptverhandlung
Um 9.30 Uhr sollte es losgehen. Vom Richter aber noch weit und breit keine Spur. Ich nutze die Zeit, um den anwesenden Zeugen der FPÖ und Leiter ihres Kommunikationsbüros, Alexander Höferl zu befragen. Doch der möchte sich nur vor dem Richter äußern.
Schließlich kommt Richter Heinz-Peter Schinzel und die Verhandlung beginnt cum tempore. Nachdem Formalia geklärt werden, wird der Zeuge Alexander Höferl aufgerufen und vom Richter befragt.
Und los gehts. Die Hauptverhandlung könnt ihr auf Twitter verfolgen. Auch der Prozessreport berichet. Wir sind gespannt!
Posted by Filmpiraten on Thursday, February 11, 2016
Habe er an diesem Beitrag von "FPÖ-TV" mitgewirkt, fragt der Richter. Höferl bejaht. Das Material habe man von der Seite "livingscoop" entnommen. Diese Seite existiert mittlerweile nicht mehr. "Jemand hat uns darauf aufmerksam gemacht, dass diese Preisverleihung (für Josef S., Anm.) gefilmt wurde", so Höferl. Da das Video mit einem Wasserzeichen mit dem Creative-Commons-Logo versehen war, ging man davon aus, dass das Material getrost verwendet werden dürfe, erklärt Höferl.
Frei ist nicht gleich gratis
Nichts ist umsonst, sagt man. Vieles ist frei verfügbar, vor allem im Internet. Und frei ist nicht gleich gratis. Das gilt auch bei Creative-Commons-Lizenzen.
Jan Smendek kommt in den Zeugenstand. "In unseren Videos gibt es im Abspann einen Hinweis auf die Creative-Commons-Lizenz", erklärt er. Ebenso seien die Namen der Urheber der Videos zumindest als Kürzel angeführt. In Jans Fall wäre das "fipi". Zudem werde auf dem Webauftritt der Filmpirat*innen auf mehreren Seiten erwähnt, dass die Verwendung des Materials nur unter den angegebenen Lizenzbedingungen erfolgen darf.
So dürfte das Material eigentlich nur unentgeltlich verwendet werden, wenn die Namen der Urheber genannt werden (Attribution), wenn die weitere Nutzung nicht kommerziell ist (Non-Commercial) und wenn das weiterverarbeitete Material unter denselben Bedingungen veröffentlicht wird, wie das Original (Share-Alike). In diesem Zusammenhang sei es "zu diskutieren, ob Parteienwerbung nicht auch kommerziell ist", betont Smendek vor dem Richter. Die Filmpirat*innen sehen jedenfalls alle diese Kriterien von der FPÖ missachtet.
Jan: es ist auch zu diskutieren, ob Parteienwerbung nicht auch kommerziell ist, was ein weiterer Verstoß wäre #SeiunsereHeldin
— Filmpirat*innen (@FilmpiratenInfo) 11. Februar 2016
Der gegnerische Anwalt fragt, wer das Video auf "livingscoop" gestellt haben könnte. "Sicherlich nicht wir", entgegnet Jan. Die Seite war einschlägig bekannt für rechte Inhalte. Technisch sei es natürlich möglich, dass ein Dritter das Video dort hochgeladen hat. "Das ist das Internet", scherzt er. Ein urheberrechtlicher Freibrief ist das trotzdem nicht - auch nicht für die FPÖ.
Bittersüße Siegessicherheit
Obwohl die FPÖ bereits beim vergangenen Verhandlungstag vorgeschlagen hatte, das Verfahren auf Eis zu legen, führen die Filmpirat*innen den Prozess weiter. "Das war, als es uns schon ziemlichen finanziellen Schaden zugefügt hat", erklärt Jan. Doch warum weiterstreiten, wenn es schon vorbei sein könnte? "Zum Einen geht es um die Verteidigung der Creative-Commons-Lizenz mit allen Bedingungen, die dazugehören, und zum Anderen natürlich auch ums Prinzip", verteidigt Jan die Entscheidung, weiterzumachen.
Trotz der Siegessicherheit auf Seiten der Filmpirat*innen, bleibt ein bitterer Beigeschmack. Sollten sie gewinnen, sei es ziemlich sicher, dass die FPÖ bis in die höchste Instanz weiter verhandeln will. Diese Strategie habe man schon bei anderen, ähnlichen Klagen beobachten können. Einerseits wäre dies weiterhin eine finanzielle Belastung für den Verein. Andererseits hieße das Geduld und starke Nerven. Dann sei nämlich heuer sicher nicht mehr mit einer endgültigen Entscheidung zu rechnen, lässt mich der Anwalt der Filmpirat*innen wissen.
Sollte hingegen der worst case eintreten, dass die Filmpirat*innen den Prozess verlieren, wäre Jan ratlos darüber, was das Weiterbestehen der Filmpirat*innen angeht: "Das müssten wir dann innerhalb des Vereins klären. Aber es ist natürlich eine schwierige Situation als kleiner Verein mit so einer riesigen Prozessgeschichte umzugehen", gibt er zu verstehen.
Das Urteil und die Folgen
Nachdem keine weiteren Beweisanträge eingehen, schließt der Richter die Verhandlung. Das Urteil soll in den kommenden Monaten per Post an die Streitparteien ergehen. "Es ist halt ein zivilrechtliches Verfahren, das im Wesentlichen auf dem Papier geführt wird", meint Jan.
Man darf gespannt sein, denn das Urteil könnte richtungsweisend für künftige Urteile mit Creative-Commons-Bezug sein. Dann wird sich zeigen, welchen Stellenwert diese Lizenzen im angewandten Urheberrecht in Österreich haben.