Erstellt am: 10. 2. 2016 - 16:09 Uhr
Eine Träne. Ein Lächeln.
"In der ersten Volksschule war ich in einer Klosterschule, obwohl ich Muslima bin. Wenn wir Religionsunterricht hatten, saß ich einfach nur so da, ohne Religionsmalbuch. Die anderen Schüler durften immer malen, ich nicht. Mama kaufte mir dann ein Malbuch. Während die anderen Schüler Jesus bemalten, bemalte ich Sailor Moon mit ihrer Katze."
Darüber lacht man. Die anderen Erinnerungen an die Schulzeit in Damaskus sind weniger lustig. Luna Al-Mousli wurde geschlagen, musste strengen Hierarchien folgen und Dinge machen, die sie nicht wollte. Etwa Reden vom Diktator Assad auswendig lernen.
"Politische Bildung war eines der wichtigsten Fächer in der Schule, genauso wie Mathematik und Arabisch. Wir lernten alles Mögliche über die Baath-Partei. Zur Prüfung kamen Assad-Zitate, dir wir ergänzen und zeitlich einordnen mussten. Ich lernte alles auswendig. Ich verstand jedoch nichts."
weissbooks
In 44 Mini-Geschichten erinnert sich Luna Al-Mousli an die Zeit in Damaskus. An den Duft von getrockneter Minze, an den Bauern, der mit seinem Esel Obst und Gemüse brachte, an riesige Kristallleuchter, an Frösche und Wassermelonen im Schwimmbad, an betende Großeltern oder auch an Soldaten, die sie verfolgten.
Über Privates erfährt man Politisches. Über subjektive Erinnerungen entsteht ein Bild von Damaskus vor dem Bürgerkrieg. Apropos Bilder - illustriert sind die Textminiaturen mit Fotos aus dem Familienalbum. Diese teilweise blassen Bilder sind stark vergrößert und angeschnitten. Der Erinnerungsprozess bestehe ja auch aus Ausschnitten, erklärt Luna Al-Mousli. Man wisse manchmal nicht mehr ganz genau, welche Person das wirklich war. "Es kann die Cousine oder die Schwester gewesen sein. Aber man weiß ganz genau – sie hatte doch eine rote Hose an."
Luna al-Mousli
Hinzu kommt, dass die Bildseiten so gefaltet und gebunden sind, dass man unweigerlich beim Blättern von Foto zu Foto springt und manchmal mit Mühe zu den Textseiten kommt. So seien auch beim Schreiben plötzlich Bilder wie aus dem Nichts gekommen, die in keinem Zusammenhang mit dem Geschriebenen standen.
Luna al-Mousli
Die sperrigen Fotoseiten würden auch Geschichten, die für sie schwieriger zu schreiben waren, etwas auf die Seite schieben. "Man muss sich so auch ein bisschen durch die Erinnerungen durchkämpfen."
Luna al-Mousli
An die Schmerzen dieser Erinnerungen verweist auch der rote Farbverlauf im Bug der Textseiten. "Es ist auch jetzt für mich immer noch sehr schwer darüber zu reden, wie es war und vor allem wenn man vor Augen hat, wie es jetzt ist. Und es ist für mich jedes Mal, wenn man das Buch aufmacht und lesen will, wie wenn man in eine Wunde reinschaut. Und diese Wunde dann auch wieder schließt, wenn man das Buch schließt."
Marie Christine Gollner - Schmidt
Luna Al-Mousli hat sowohl inhaltlich als auch von der Gestaltung her nichts dem Zufall überlassen. Den Einband des Büchleins möchte man ständig berühren - ist er doch aus weichem Samt. Der wird natürlich auch schnell schmutzig. "Aber Erinnerungen sind auch so: wenn ich eine Geschichte tausendmal erzähle, glaub ich, könnte ich sie nicht einszueins genauso wieder erzählen, wie ich sie beim ersten Mal erzählt habe."
Luna al-Mousli
"Eine Träne. Ein Lächeln." ist ein im besten Sinne schönes Buch. Ein Buch, das mit wenig Text, der übrigens auf Deutsch und Arabisch vorhanden ist, viel erzählt. Und ein Buch, das mit wenigen Bildern eine berührende Atmosphäre über das Leben in Damaskus schafft.