Standort: fm4.ORF.at / Meldung: "Der aussichtslose Kampf des Hummers gegen den Druckkochtopf"

Anna Katharina Laggner

Film, Literatur und Theater zum Beispiel. Und sonst gehört auch noch einiges zum Leben.

9. 2. 2016 - 11:54

Der aussichtslose Kampf des Hummers gegen den Druckkochtopf

"The Lobster" erzählt von einer strikten Beziehungsgesellschaft.

"The Lobster" ist in vielerlei Hinsicht ein Ausnahmeprodukt. Der offensichtlichste, aber nicht wesentlichste Hinweis darauf ist, dass es ein englisch-sprachiger und zur Gänze in Irland gedrehter Film eines Griechen ist.

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"The Lobster" spielt in einer Gesellschaft, in der jede und jeder, die oder der keine Beziehung führt, weg muss. Und man hat sich offenbar darauf geeinigt, diese Aussätzigen in Tiere zu verwandeln.

Yorgos Lanthimos hat in "Dogtooth" (2011 für den Auslandsoscar nominiert) und in "Alpis" seine Faszination für bizarre Rollenspiele und enge Regelsysteme, die sich dem Publikum erst nach und nach erschließen, eindringlich ausgelebt. In "The Lobster" entwirft er eine abstrus-monströse Fantasiegesellschaft, die sich allerdings bei näherer Betrachtung als zugespitzes Porträt unser selbst entpuppt. Dass Menschen, denen Beziehungen nicht gelingen, als Versager gesehen werden, sei eine Beobachtung in der langen Vorbereitung zum Film gewesen, sagt Yorgos Lanthimos, der das Buch zum Film wie schon für "Dogtooth" und "Alpis" in Zusammenarbeit mit Efthimis Fillipou geschrieben hat.

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Dieses gleichnishafte Erzählen, aus dem sich die über "The Lobster" schwebende Kritik am Beziehungswahn langsam herausschält, ist tatsächlich eine Seltenheit im Arthouse und Independent-Kino (aus Hollwood gibt es dazu ja reichlich Großartiges, "Being John Malkovich" oder "Independence Day" oder "12 Monkeys", um nur einen Endzeitfilm und überhaupt nur ganz wenig aufzuzählen).

Doch das Independent-Kino - vor allem das angloamerikanische - des mittlerweile kräftig in die Gänge gekommenen 21. Jahrhunderts ist unbedingt realistisch, neo-neo Realism hat es der New York Times- Kritiker A. O. Scott in einem Artikel im Jahr 2009 genannt. Und denkt man an Europa, wer ist hier, wie wird hier erzählt? Ebenfalls neo-neo realistisch: da gibt es die notorisch an Krisen kratzenden Dardenne-Brüder, da gibt es die Working-Class-Filme des großen Mike Leigh, da gibt es das derzeit recht weite Feld französischer Belanglos-Filme (Gérard Depardieu spielt Boule, Vincent Cassel hat eine Affäre mit einer Minderjährigen, Daniel Auteuil geht segeln). Wagnisse, Gleichnisse, abstruse Versuchsanordnungen - Fehlanzeige. Muss ja auch nicht, aber wenn dann so etwas wie "The Lobster" daherkommt, wünscht man sich mehr davon.

Zunächst begleitet man die Hauptfigur David in ein altmodisches Gebäude - eine Pension, ein Sanatorium, eine geschlossene Anstalt, man weiß das nicht so genau. Dort hat der gerade von seiner Frau Verlassene rund vierzig Tage Zeit, um eine passende Partnerin zu finden. Sonst wird er in ein Tier seiner Wahl verwandelt. Im Zweifelsfall würde er gern ein Hummer werden, sagt er, der sei blaublütig und werde sehr alt. Exzellente Wahl, attestiert ihm die Anstaltsleiterin, die später in einer der schönsten Szenen des Films mit einer Showband "Something´s Gotten Hold of My Heart" interpretieren wird.

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Eingecheckt hat David zusammen mit einem Hund - my brother, he didn´t make it. Abgesehen davon erfahren wir kaum etwas über die Vorgeschichte des Hauptprotagonisten, nichts über den Beruf, nichts über sein Aufwachsen, nichts über seinen Social Background (auch das eine Ausnahmeerscheinung).

Es wäre ungut, zu viel über das System, auf das sich diese Gesellschaft geeinigt hat oder das ihr aufoktroyiert wurde (darüber erfährt man ebenfalls nichts), zu verraten, da ein nicht unwesentlicher Reiz des Films darin liegt, das System zu entschlüsseln. Nur so viel: die Frage einer passenden Partnerschaft bezieht sich nicht unbedingt auf persönliche Vorlieben. Passend, das bedeutet eher denselben Makel oder Spleen zu haben. Aber David ist ein Durchschnittstyp, nichts an ihm sticht hervor, nichts zeichnet ihn aus. Er ist tatsächlich mehr Schaf als Hummer.

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Colin Farrell spielt diese Rolle, als würde er sich selbst dabei zuschauen. Völlig unbeeindruckt fügt sich David ins und wendet sich gegen das System, seine Sprachmelodie ist flach, nein, sie verläuft praktisch nur auf einem Ton, lange Pausen zeichnen sein Sprechen aus. Überhaupt steht die Sanftheit in der Form - ruhige Kameraeinstellungen, matte Farbtöne, eine Art von Nicht-Wetter, wie es manchmal am Ende des Winters herrscht - der Brutalität und teils Blutigkeit von "The Lobster" harsch entgegen.

Es ist eine traurige, gespenstische und komische Geschichte, die Yorgos Lanthimos erzählt. Sie handelt von der inneren Einsamkeit und den verborgenen Sehnsüchten einer Zwangsgesellschaft, die anhand eines definierten Bauplanes glücklich sein will.