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Philipp L'heritier

Ocean of Sound: Rauschen im Rechner, konkrete Beats, Kraut- und Rübenfolk, von Computerwelt nach Funky Town.

7. 2. 2016 - 14:56

Fade Out Again

Der Song zum Sonntag: PJ Harvey - "The Wheel"

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  • Auch der geschätzte Wissenschafts- und Popjournalist Thomas Kramar macht sich in der Presse am Sonntag zum jeweils selben Song seine Gedanken

Was das titelspendende "Wheel" im wörtlichen Sinne bedeuten soll, erzählt PJ Harvey gleich in der ersten Strophe des Songs: Die englische Musikerin besingt ein sich drehendes Ringelspiel, ein Bild für schon etwas verblichene Vergnügungen aus früheren Tagen, unschuldige, simple Attraktionen.

An Ketten hängen die Sessel und fliehen durch die Rotation immer weiter nach außen, die mitreisenden Kindern verspüren den Nervenkitzel, das Prickeln und die Euphorie, es quietscht und ächzt aber auch schon recht ordentlich in der Mechanik des Geräts.

PJ HArvey

Maria Mochnacz

PJ Harvey

Klarerweise ist dieses "Wheel" auch schlicht und betont klar das Symbol für den Fortlauf der Geschichte, das unnachgiebige Sich-Weiterdrehen von Tagespolitik, der konstante Durchlauf von immer neuen Meldungen, Geschichten und Geschichtchen, Schicksalen, dramatischen Entwicklungen, Unglücksfällen, Krisen, immer frischen Sensationen.

Wir beobachten, wir schauen, wir erquicken uns, empören uns, erfreuen uns am Mitleid, das wir versprühen, sind ständig dampfende Kommentarmaschinen.

Der kurzen Anekdote von der Jahrmarktunterhaltung aus der ersten Strophe, in der unheilvolle Vorahnungen und Gefühle der Mulmigkeit schon mitschwingen, stellt PJ Harvey in weitere Folge in "The Wheel" tatsächlich ausbuchstabiertes Unglück gegenüber, abermals geht es um Kinder: Wieder und wieder singt sie von verschwundenen Kindern, 28 000 sollen es gewesen sein, so meint sie in dem Stück, hätte sie gehört. Spricht sie von Krieg, von Naturkatastrophen?

Laut Eigenaussage soll "The Wheel" von einem Besuch im Kosovo inspiriert worden sein – das geht aus dem Lied selbst aber nicht hervor. Hier liegt auch eine Stärke des Songs: PJ Harvey bleibt vage und nebulös, universell, dabei aber doch umso eindringlicher.

All die Schocknachrichten, die uns erschüttern, verblassen nach und nach aus unserer Erinnerung, morgen wird schon wieder etwas neues Arges passiert sein. "And watch them fade out…", wiederholt Harvey am Schluss des Stücks gut zwanzigmal.

In "The Wheel" ist aber kein öder Zynismus, PJ Harvey übt sich nicht in matter, sogenannter "Medienkritik" oder verlacht die angebliche "Empörungskultur". Sie ist selbst nur Zuseherin, ratlos, und Teil im Rad.

In musikalischer Hinsicht ist der Song dabei jedoch kaum Vertonung von Verzweiflung, Trübsal, Machtlosigkeit, vielmehr über die Maßen munter, beschwingt. Gospelhaft euphorisierend ziehen sich Handclaps durch "The Wheel", ein Saxofon bläst aufgekratzt, enthemmt, von einem kaputten Funk befeuert. Eine beunruhigende Kombination, ein Lied ohne Lösung.