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Christiane Rösinger Berlin

Ist Musikerin (Lassie Singers, Britta) und Autorin. Sie schreibt aus dem Leben der Lo-Fi Boheme.

6. 2. 2016 - 16:01

Zum Glück nicht in Berlin

Wenn die Berlinerin dieser Tage Nachrichten sieht oder phlegmatisch die Fernsehprogramme durchschaltet, tut sich ihr eine fremde, seltsame Welt auf: Es ist Karneval.

Neben dem normalen Flüchtlingscontent und News aus den Krisengebieten dieser Welt sieht man momentan im Fernsehen übertrieben bunte Bilder von Menschenmengen in seltsamen Outfits; seltene Worte und Redewendungen wie "närrisches Treiben", "tolle Tage" und "fünfte Jahreszeit" werden aus der Mottenkiste geholt und fleißig eingesetzt.

Das Fernsehprogramm spricht in Rätseln: "Alleh Hopp- Saarland", "Kölle Alaaf, die Mädchensitzung", "Die hessische Weiberfastnacht", "Badisch-Pfälzische Fastnacht aus Frankenthal", "Mainz bleibt Mainz wie es singt und lacht" und "Heute steppt der Adler aus Cottbus" - So viel Regionales war selten. Es ist eben Fastnacht, Fasenacht, Fasching – beim rheinischen Straßenkarneval mit seinen Umzügen sind Hunderttausende in Kostümen unterwegs.

Karneval in Köln

AFP PHOTO / PATRIK STOLLARZ

Faschingsbeginn in Köln im November 2016

In Berlin bemerkt man höchstens ein partiell vermehrtes Aufkommen von Prinzessinnen und Harry Potter-Zauberlehrlingen im Kita-Alter. Es scheint, dass nur noch die Kindergärten und Grundschulen die karnevalistische Tradition pflegen. Und selbst da sieht man es mit dem Datum nicht so eng, da wird der Kinderfasching schon mal aus organisatorischen Gründen auf den Aschermittwoch verlegt.

Welch ein Frevel! Dabei sind doch die Termine so wichtig für die Fastnacht. Schließlich berechnet sich das Fastnachtsdatum immer noch von Ostern aus - der erste Sonntag nach dem Vollmond im kalendarischen Frühling ist der Ostersonntag. Vierzig Tage rückwärts gerechnet liegt der Beginn der Fastenzeit am Aschermittwoch. Dem Aschermittwoch voraus geht der Faschingsdienstag, der Rosenmontag, der schmutzige Donnerstag, usw. Aber von all dem hat man in Berlin keine Ahnung.

Berlin mag keinen Karneval

Virtual Nights

Es ist nicht so, dass man es hier nicht probiert hätte. Vor allem in den Jahren des Hauptstadtumzuges von Bonn nach Berlin versuchten die rheinischen Karnevaljunkies einen Karnevalszug in Berlin auf die Beine zu stellen. Es war eine traurige Angelegenheit.

Zwar fanden sich auf den Wägen genügend Aktivisten ein, aber die BerlinerInnen standen nur lustlos gaffend am Straßenrand und kostümierten sich noch nicht mal. Einfachste karnevalistische Übungen wie das Werfen und Fangen von Kamellen (Bonbons) wirkten in Berlin hölzern und performativ unausgereift.

Auch der Narrenruf "Berlin Heijo" (abgeleitet von Heiterkeit und Jokus) vermochte nicht die entsprechende Stimmung in der Hauptstadt zu verbreiten. 2014 und 2015 musste der Karnevalszug mangels Sponsoren abgesagt werden, letzten Sonntag versuchte es das Karnevals-Festkomitee noch einmal mit Frank Zander als Zugpferd. Das Berliner Original sollte den karneval-muffeligen Berlinern die Sache mit dem Verkleiden und Schunkeln schmackhaft machen. Aber auch 2016 bleibt Berlin Karnevalsdiaspora.

An was liegt es? Nach Ansicht der Experten daran, dass es einfach zu viele andere Events gibt, wo wir Berliner hingehen können. "In Berlin ist ja das ganze Jahr Fastnacht", bemerkten meine Eltern, als sie mich 1985 zum ersten Mal in Berlin besuchten und zum ersten Mal einen rot gefärbten Punker-Iro sahen.

Im Badischen war Fastnacht für uns Kinder so ähnlich wie Halloween heute. Die Kinder verkleideten sich, rannten in Horden durchs Dorf , klingelten an jeder Tür und verlangten Süßigkeiten und wenn sie keine bekamen, wurden harmlose Streiche gespielt (Hoftor aushängen, nochmal klingeln und wegrennen). In den Schwarzwalddörfern, bei der badisch-alemannischen Fasnacht, ging es eher unheimlich und düster zu mit den Holzmasken und marodierenden Hexen und den üblichen Übergriffen bei der Tradition des Mädchen-Einfangens-und-in-Käfige-Sperren.

Karneval in Köln

AFP / PATRIK STOLLARZ

Karneval 2016 in Köln

Wenn jemand in Berlin vom "Karneval" spricht, ist damit der "Karneval der Kulturen" - ein Straßenumzug an Pfingsten - gemeint. Der wird von uns langjährigen Berlinbewohnern allerdings auch gemieden, zu viele bleiche Studienrätinnen mit Bauchtanzgruppe, zu viele Menschen auf engem Raum, zu stumpfes Caipirinha-Besäufnis. Aber das Gute an allen Umzügen und Aufläufen ist: Man muss ja nicht hingehen.

Großes Thema war dieser Tage auch die Sicherheitslage, nicht nur in Köln ist man noch geschockt von den sexuellen Übergriffen der Silvesternacht. Wie soll man den Flüchtlingen in den "rheinischen Karnevalshochburgen" das alles erklären? Die Clownsnasen und Narrenkappen, das Schunkeln, den Körperkontakt?

Der organisierte, fast bürokratisch anmutende Karneval mit den Sitzungen und Ritualen war in Köln ja ursprünglich als Persiflage auf's Militär und die preußische Obrigkeit gedacht - Köln wurde nach dem Abzug der Franzosen 1815 preußisch. Die Karnevalsorden, die Uniformen, Hüte, Schärpen und Brustbänder ziehen die militärischen Insignien ins Lächerliche, das Funkenmariechen führt die Truppen an, bei der Prinzengarde gibt es tanzende Mädchen statt marschierende Soldaten, in Büttenreden macht man sich über die Herrschenden lustig.

Vor allem in aufgeklärten, linken Kreisen ist die Kritik am Karneval rheinischer Ausprägung groß. Der Karneval habe sich in seiner Biederkeit seit jeher politischen Verhältnissen angepasst, wird moniert. Der Karneval gäbe sich kritisch, ohne jemals Kritik zu üben. Und: Der Karneval als Volksfest, als symbolische Machtübernahme des Volkes habe schon lange ausgedient. Aber ist die Kritik am Fasching nicht auch schon wieder total langweilig und spießig?

Karnevalsempfang im Berliner Kanzlerinnenamt im Januar 2016

AFP / John MACDOUGALL

Karnevalsempfang im Berliner Kanzlerinnenamt im Januar 2016

Und glaubt man den echten Kölnern, so hat der Straßenkarneval, trotz Biederkeit und organisiertem Frohsinn, etwas Tolles, Anarchisches, Fröhliches. Gerade wenn in den Kneipen alle auf den Tischen tanzen und jeder mit jedem redet und flirtet… Kein Wunder, kann man sich das in unserem eher preußisch-zugeknöpften Berlin nicht so gut vorstellen. Zudem wäre in Berlin ein Karnevalsumzug – so er denn stattfände – nur ein Fest unter vielen. Dass wie in Köln eine ganze Stadt zu Karneval still steht, das schafft man hier nicht. Dazu verläuft sich alles zu sehr.

Bis heute ist der Karneval auch das Sinnbild katholischer Mentalität - Berlin ist aber seit jeher stock-protestantisch und heute zudem die Hauptstadt des Atheismus.

Übrigens:
Die Gefahr für den rheinischen Karneval geht aktuell nicht von Flüchtlingen und nicht vom IS aus, sondern vom Wetter. Sturmböen bei Windstärke 10-11 sind für Dienstag angesagt - der Düsseldorfer Umzug muss wahrscheinlich abgesagt werden.