Erstellt am: 6. 2. 2016 - 11:35 Uhr
Spaziergang auf dem Pixelfriedhof
Ich selbst gehe sehr gerne auf Friedhöfen spazieren. Auch wenn ich fremde Städte besuche schaue ich gerne, was es dort so für Friedhöfe gibt, wer dort Berühmtes liegt. Der neue jüdische Friedhof in Prag (Nový židovský hřbitov) zum Beispiel, wo Franz Kafka begraben liegt, ist meiner Meinung nach einer der schönsten Friedhöfe der Welt. Es ist diese ruhige, auch traurige, Atmosphäre, die ich mag. Und ich bin fasziniert von Grabinschriften: die Namen, die teilweise heute nicht mehr gängig sind, und die für einen Menschen und sein ganzen Leben stehen. Und dann oft die Sprüche auf dem Grabstein - mit nur wenigen Zeilen oder sogar Worten kann ein Grab so viel erzählen, über den Mensch der dort begraben liegt, über dessen Leben aber auch über die Hinterbliebenen.
Es gibt ein Buch namens Spoon River Anthology von Edgar Lee Massters. Darin wird die ganze Geschichte einer Kleinstadt allein durch Grabinschriften erzählt. Davon inspiriert (und mindestens so fasziniert von Friedhöfen wie ich) hat Matthew Ritter auf Kickstarter ein Spiel vorgestellt, bei dem man nur auf einem Friedhof spazieren geht. Falls es auch andere gäbe, die sich für sowas interessieren, würde er dieses Spiel machen, so Ritter.
Es gab genug Interessenten und so ist Welcome to Boon Hill entstanden. Ritter selbst nennt es einen Graveyard Simulator. Es kommt optisch sehr bunt und unschuldig daher, in Retro-Pixelgrafik. Der Friedhof selbst ist irrsinnig weitläufig und umfasst diverse Areale: Es gibt ganz alte Grabstätten, noch aus dem 19. Jahrhundert, und natürlich ganz junge, es gibt spanische und russische Friedhofsegmente, einen Soldatenfriedhof, sogar einen Haustierfriedhof. Auf manchen Teilen des Friedhofs stehen die Grabsteine geordnet in einer Reihe, dann wieder stehen vereinzelte Steine ganz alleine in der Gegend herum.
14 Hours Productions
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Allenthalben trifft man auch auf andere Figuren im Spiel, die dann ein oder zwei Sätze sprechen - dass sie einsam sind oder auch einfach gern am Friedhof spazieren gehen - aber mehr Interaktion ist nicht möglich. Es gibt keine Aufgaben, keine Gegner, keine Rätsel - der einzige Inhalt des Spiels ist es, zu erforschen und Grabinschriften zu lesen. Davon sind einige ernst oder traurig, andere pointiert und witzreich. Manchmal gehören auch mehrere Gräber zusammen, bei Familien zum Beispiel, und durch die Inschriften und die Jahreszahlen kann man sich einen Teil ihrer Geschichte zusammenreimen.
14 Hours Productions
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Welcome to Boon Hill schafft es, wenn man sich darauf einlässt, eine sehr berührende Atmosphäre zu schaffen, wozu auch die Musik einen wesentlichen Teil beiträgt. Der Soundtrack umfasst 13 Titel, wodurch vermieden wird, dass einem die immergleiche Musik schnell einmal auf die Nerven geht. Irgendwann hat man sich einen Überblick über das Gelände verschafft und hat dann auch einmal genug von der Melancholie und den Grabinschriften. Wenn man dann aber wieder neu ins Spiel einsteigt, gibt es doch zumindest kleine Veränderungen, nämlich was die Figuren angeht.
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Sie tauchen an anderer Stelle auf oder sagen andere Sachen. Abgesehen davon ist Welcome to Boon Hill aber kein Spielvergnügen für hunderte Stunden. Und es ist definitiv nur etwas für Menschen, die Friedhöfe interessant finden. Ich werde es auch bestimmt nicht fortan in jeder freien Minute spielen. Aber hie und da vielleicht. Wenn ich gerne am Friedhof spazieren gehen möchte, es aber draußen regnet.