Erstellt am: 8. 2. 2016 - 12:15 Uhr
Der Kampf ums Frauenwahlrecht
Als Suffragetten wurden Frauen bezeichnet, welche in Großbritannien und den USA Anfang des 20. Jahrhunderts organisiert für das Frauenwahlrecht kämpften.
Meistens hab ich bei Filmen, die Anfang des 20. Jahrhunderts in Europa spielen, spätestens nach zehn Minuten "It's a hard knock life" im Ohr (manchmal in der "Annie-", manchmal in der Jay-Z-Variante, je nach Laune). Kälte, Rohrstockschläge auf Kinderfinger, Uringeruch auf den Straßen, überall Dreck und Rauch und Ruß und Rost, Pferdemist und Bigotterie, zugige Wohnungen, kein fließendes Wasser, Keuchhusten. Been there, done that, didn't buy the t-shirt, obviously.
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Ich weiß nicht, wieviele solcher sich immer wiederholender Filmbilder man gesehen haben muss, bis manchmal doch der Zynismus überhand nimmt und man ein "Other than that, how was the play, Mrs. Lincoln?" murmelt. Und egal welche Schrecklichkeiten dargestellt werden, manchmal ertappt man sich als jemand, der sehr viele Filme sieht, dabei, dass man gewissen Bildern oder gar Genrekonventionen gegenüber abgestumpft ist. Das ist glücklicherweise immer nur ein temporärer Zustand, denn es gibt immer jemanden, der dem, was man für erstarrt geglaubt hatte, neues Leben einhaucht und einen vom Genregrinch-Sein befreit.
Ohne Kuschelfaktor
Von "Suffragette" erwarte ich mir auch den "Hard Knock Life"-Impuls, doch der bleibt aus. Von den ersten Bildern an hat Sarah Gavrons Film etwas derartig Unmittelbares, das die oft beruhigende historische Distanzhaltung verhindert. (Ich glaube, dass Historienfilme sehr oft eine Rahmenhandlung verpasst bekommen, um dem Zuseher ein noch kuscheligeres "Ist eh alles vorbei"-Gefühl zu vermitteln). An kuscheligen Botschaften ist Gavron nicht interessiert, wie auch, bei diesem Thema. "Suffragette" erzählt einen kleinen Teil der Geschichte der Frauenrechtsbewegung, von den Anstrengungen in den Jahren 1912 und 1913 das Wahlrecht für Frauen in Großbritannien durchzusetzen.
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Der weibliche Körper als Gegenargument
Eine riesige Maschine in einer großen Wäscherei in East London, die wie geschmiert läuft. Das erste Bild aus "Suffragette" funktionert gleich als Metapher: Die Frauen, die hier arbeiten, helfen eine Maschine am Laufen zu halten, die sie kaputt macht. Die Waschmaschine mit ihren giftigen Dämpfen und das herrschende Gesellschaftssystem, das die Frauen zur Systemerhaltung braucht, aber auf allen Ebenen entmündigt. Women do not have the calmness of temperament or the balance of mind to exercise judgement in political affairs hört man eine Stimme aus dem Off.
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Jahrhundertelang hat man den weiblichen Körper als Argument benutzt, um Frauen als instabil, fragil, im Grunde nicht ganz zurechnungsfähig zu klassifizieren. Der Mann war das Maß aller Dinge, was das Menschsein betraf. Vielleicht sollte man im Unterricht, wenn die Namen Hippokrates und Plato fallen, auch mal erwähnen, dass beide der Meinung waren, dass die Gebärmutter, wenn sie nicht ausreichend mit Samen versorgt werde, beginnt, im Körper herumzuwandern und für den Zustand der Hysterie sorgt. Das Wort Hysterie leitet sich von der griechischen Bezeichnung für den Uterus ab und war somit eigentlich rein auf Frauen anwendbar. Zwar ist das natürlich alles längst überholt, aber sprachliche Veränderungen sind ein zäher Strudelteig. Das Wort hysterisch klebt immer noch eher an Beschreibungen von Frauen.
Keine Opfer
Diese Frauen in "Suffragette", denen man nicht zugesteht, dass sie ein politisches Urteil abgeben können, arbeiten im Grunde von Kindesbeinen an in den Fabriken des Landes. Eine Wäscherei funktioniert in dieser Geschichte so gut als Bild, weil man mit der Wäsche bekanntlich nie fertig ist. Ein Hamsterrad, eine Sisyphos-Aufgabe, eine Arbeit ohne Produkt. In dieser Wäscherei arbeitet auch Maud Watts (Carey Mulligan) seit sie 7 Jahre alt ist, zuhause sammelt ihr Mann (Ben Whishaw - zum zweiten Mal nach "In the heart of the sea" gefangen in einer undankbaren Nebenrolle) ihren Lohn ein und bevor sie zu Bett geht erledigt sie zu Hause noch schnell die Wäsche. Es ist mehr Mulligans Präsenz und ihrem Spiel zu verdanken als dem Drehbuch, dass wir Maud nicht als armes Hascherl, oder schlimmer: als Opfer sehen. Noch bevor sie selbst zur Suffragette wird, hält ihr Blick dem System einen Hauch Widerstand entgegen.
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Weil man weiß, wie die Geschichte weitergeht, ist es fast schmerzhaft einen Hauch Hoffnung in Mauds Augen zu sehen, als sie als Rednerin im Parlament für eine Kollegin aus der Wäscherei einspringt. Man heuchelt Interesse für die Anliegen der Frauen, nur um dann doch bekanntzugeben, man habe sich das mit dem Wahlrecht für die Frauen durch den Kopf gehen lassen und das werde wohl eher nichts. Die Polizei hat währenddessen bereits ein Auge auf die Frauen, die sich regelmäßig bei der Apothekerin Edith Ellyn (Helena Bonham Carter) treffen. In diesen geworfenen Augen der Polizei kann man die Angst ablesen, die sie - jetzt nicht speziell vor der Gruppe Frauen - aber vor deren Anliegen haben. Das System wird bedroht.
Kampf durch alle Klassen
Auf die Frage, ob sie eine Suffragette sei, antwortet Ellyn, I see myself more as a soldier. Es ist herrlich Bonham Carter in einer Rolle zu sehen, wo ihr die Haare nicht zu Berge stehen und sie in keiner Märchenwelt lebt. Anhand von ihrer Figur, der gebildeten, studierten und selbstständigen Frau und der wohlhabenden Alice, Frau eines Abgeordneten, die immerhin theoretisch die Forderung nach einem Frauenwahlrecht unterstützt, macht "Suffragette" sichtbar, dass sich die Frauenrechtsbewegung durch alle Klassen gezogen hat.
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Die Ikone und Inspiration (und gemeinsam mit ihrer Tochter ein Marketing-Genie) an der Spitze war Emmeline Pankhurst, Gründerin der Women's Social and Political Union. Im Film hat Pankhurst (gespielt von Meryl Streep) einen Kurzauftritt. Von dem Balkon eines Hauses spricht sie zu den Frauen, deren Augen leuchten. Pankhurst wird inszeniert wie ein Popstar und Meryl Streep ist einfach zu bekannt, zu groß, zu sehr Schauspiellegende, um gerade mal für ein paar Minuten in einem Film aufzutauchen, mit perfektem Akzent eine historische Rede zu halten und dann auf Nimmerwiedersehen zu verschwinden. Die Szene fällt aus dem ganzen Film heraus. Würde jemand in der Menge fragend murmeln, ob das nicht Meryl Streep sei, es würde einen nicht verwundern. Es wirkt unfreiwillig karikaturenhaft, es ist wie ein Bruch im Narrativ, hier spricht nicht wirklich Pankhurst zu den Frauen, sondern Meryl Streep zum Kinopublikum.
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Figur vom Reißbrett
Inspiriert von Pankhursts Aufruf zum zivilen Ungehorsam planen die Suffragetten ihre weiteren Vorhaben. Jahrelange friedliche Demonstrationen, Flugblätter, Versammlungen haben sie nicht weitergebracht. "Suffragette" erzählt von der Radikalisierung der Bewegung, von Frust, Unzufridenheit und Wut. Man braucht die Aufmerksamkeit der Presse und so werden Bomben in London hochgehen. Bereits mittendrin statt nur dabei ist inzwischen Maud.
"Suffragette" läuft bereits in den österreichischen Kinos
"Suffragette" leidet mitunter darunter, dass es unbedingt alles richtig machen will und alles erzählen will. Die Figur der Maud ist keine historische, sondern ein repräsentatives pars pro toto Symbol, auf dem Reißbrett erschaffen und Carey Mulligan tut ihr Möglichstes, um Maud vom rein Symbolhaften zu befreien. Und doch ist das Drehbuch zu lehrstückhaft, so muss Maud zunächst die Schikanen im Kleinen - Szene für Szene - realisieren, um zur politischen Kämpferin zu werden, die dann "Forrest Gump" gleich bei allen wichtigen geschichtlichen Eckdaten dieser Bewegung dabei ist. Maud wird im Laufe des Films alles verlieren, was ihr vorher wichtig war; interessanter wäre eine Figur gewesen, deren Aktivismus nicht mit ebenjener "Sie hat ja nichts mehr zu verlieren"-Schulterzuck-Kausalität zu erklären ist.
Aktualität
Immer wieder aber findet Regisseurin Sarah Gavron den richtigen Ton, um ihren Film ins Jetzt zu rücken und ist dabei weit weniger lehrstückhaft. Der ungleiche Lohn bei gleicher Arbeit für Männer und Frauen, sexuelle Belästigung am Arbeitsplatz, Zwangsernährung von Gefangenen, die brutale Behandlung von Demonstranten, die Radikalisierung einer Bewegung, immer wieder unterstützt von einer fantastischen Kamera, rüttelt einen "Suffragette" mit seiner Aktualität im period drama Mäntelchen kurz durch.
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Der Film setzt sich auch am Ende keine wohlige narrative Triumphkrone auf. "Suffragette" will einen nicht mit einem guten Gefühl aus dem Kinosaal entlassen. Es endet mit von Maud vorgelesenen Zeilen von Olive Schreiner, um dann im Abspann noch anzuführen, wann in welchen Ländern das Frauenwahlrecht eingeführt wurde. In Saudi Arabien durften im Dezember 2015 Frauen erstmals an einer Wahl teilnehmen. Auch, wenn man das weiß, so schafft "Suffragette" die Möglichkeit sich wieder einmal eines historischen Kontexts bewusst zu werden. Im Grunde freue ich mich ja schon alleine darüber, dass jetzt wegen des Films das Wort Suffragette in der ganzen Stadt auf Plakaten zu lesen ist. Dass da Carey Mulligan einem ihren kämpferischen Blick entgegenwirft, während die Dame am Plakat nebenan sich freut, weil sie ihr eigener Trend ist.