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Robert Glashüttner

Videospielkultur, digital geprägte Lebenswelten.

3. 2. 2016 - 17:24

Rätsel um Rätsel

Ein Brief an naturwissenschaftliche Welterklärer und Logiker, anlässlich des neuen Puzzle-Computerspiels "The Witness".

Liebe naturwissenschaftliche Welterklärer und Logiker,

Ich schätze euch für eure unermüdlichen Versuche, das Unerklärliche und Rätselhafte der Welt zu entschlüsseln. Für euren Wunsch, dem Chaos unserer Existenz zu entkommen und den Dingen auf den Grund zu gehen. Kein Zweifel: Wissen, Wissenschaft und Erkenntnis sind die wichtigsten Grundpfeiler einer aufgeklärten, friedlichen Gesellschaft - allerdings betrifft das nicht nur eure Disziplinen.

Denn bei aller Wertschätzung stehe ich hinsichtlich einer Sache ich mit euch seit jeher auf Kriegsfuß: mit eurer Ignoranz gegenüber den emotionalen, erzählerischen, philosophischen, geistes- und kulturwissenschaftlichen und, ja, auch furchtbar unlogischen Sachen, die das Wesen des Menschen auszeichnen. Und Menschen sind wir immerhin alle. Ich habe mich ja schon daran gewöhnt, dass viele von euch Wissenschaft nur als solche wirklich akzeptieren, wenn sie eurer naturwissenschaftlichen Ader entspricht. Denn, so sagt ihr euch, was kann denn schon so wissenschaftlich an Dingen sein, die man nicht klar messen, wiegen und zählen kann? Im Englischen ist euch ja deshalb die Unterscheidung zwischen einem simplen Akademiker (academic) und einem wirklichen Wissenschaftler (scientist) wichtig.

"The Witness": Burgschloss

Thekla, Inc.

Aber ich will hier nicht pauschal gegen euch und eure subjektive Betrachtungen sticheln, denn ich habe ein bestimmtes Anliegen, das eure Weltsicht und in weiterer Folge euer Schaffen betrifft: Es geht darum, dass einige von euch eine technische Hochschulausbildung absolvieren bzw. absolviert haben und in Folge dessen (weil ihr selbst ja auch immer schon gerne Computerspiele gespielt habt) zum Gamesentwickler geworden seid. Kein Wunder: Computerspiele sind technisch herausfordernd - ohne Programmierkenntnisse und einen ausgeprägten Hang zum logischen Denken kommt man dabei in den meisten Fällen nicht weit. Ihr seid also vom Tüftler zum Weltenbauer geworden: Ihr schafft virtuelle Umgebungen, die ihr frei nach eurem Willen gestalten könnt und die für uns alle betretbar werden. Für euch, liebe naturwissenschaftliche Welterklärer und Logiker, aber auch für alle anderen, die andere Talente als ihr besitzen und dementsprechende Schwerpunkte in ihren Leben gewählt haben.

"The Witness": Wüste

Thekla, Inc.

Wir schätzen euch technikaffine Spielemacher sehr für eure Talente, ebenso wie für eure Ideen. Die Schlauen unter euch wissen aber auch, dass es am besten ist, wenn man mit anderen Menschen Teams bilden sollte, um facettenreiche Spieleerlebnisse erzeugen zu können, die möglichst viele unterschiedliche Menschen begeistern. Doch manche von euch haben das nicht nötig, denn sie sind vermeintliche Genies oder haben einfach einen Arbeitsstil entwickelt, der keine Teamarbeit vorsieht. Oder ihr arbeitet lieber mit euresgleichen zusammen. Das führt dann leider oft dazu, dass die Spiele, die ihr schafft, sagen wir, nicht sehr inklusiv sind. Die machen euch und euren Peers dann zwar Spaß, aber vielen anderen nicht - oder nur für kurze Zeit. Das macht euch vielleicht nichts aus - aber möglicherweise wisst ihr ja auch gar nicht, dass das so ist.

Nehmen wir als Beispiel das vor kurzem erschienene Game "The Witness" vom US-amerikanischen Spieleentwickler Jonathan Blow her. Blow nimmt sich für seine Spiele viel Zeit, ist dafür aber umso gewissenhafter in der Gestaltung. Sein Indie-Hit "Braid" aus 2008 hat auch uns Wenig- und Nichtlogikern einigen Freiraum zum Querdenken erlaubt, wo auch mal kreative Lösungsansätze belohnt werden, die vielen Mathematikern wohl nur ein belangloses Schulterzucken kosten, uns aber begeistert haben. Nach jahrelanger Entwicklung ist nun das neue Spiel von Jonathan Blow da: "The Witness" führt uns auf eine sommerliche, blühende Insel mit samtigen Sandstränden. Von wahlweise Entspannung und Gemütlichkeit oder wilder Action, wie sich das viele Menschen an so einem Platz vorstellen, kann dort aber keine Rede sein. Stattdessen lösen wir haufenweise Puzzles.



Auf der malerischen Insel sind neben bunten Bäumen und Büschen seltsamerweise auch Kabel, die zu Monitoren führen. Darauf sind auf quadratischen Rastern Linien gezeichnet, immer mit einem Start- und einem Endpunkt (manchmal mehreren). Kleine Labyrinthe, die wir lösen müssen, indem wir die richtige Linie ziehen. Dann öffnet sich ein weiterer Monitor oder eine Tür geht auf, die uns einen weiteren Teil der Insel eröffnet. Im Wesentlichen beschreibt das schon das ganze Spiel: "The Witness" besteht aus einer hübschen, aber betont sterilen Insel ohne Menschen und Tiere, auf der wir zweidimensionale Labyrinth-Puzzles lösen müssen. Immerhin: Die Regeln, wie man die Puzzles richtig löst, sind immer anders: Manchmal müssen wir spezielle Symbole umkreisen, ein anderes Mal mit unserer Linie eine bestimmte Form ziehen. Bei manchen Rätseln müssen wir auch auf die Umgebung achten, die uns Hinweise auf die richtige Lösung gibt. In diesem Momenten erinnert es an "Braid".

Obwohl viele Rätsel aufeinander aufbauen, können wir die Insel in "The Witness" grundsätzlich frei erkunden. Die jeweiligen Orte unterstützen die mysteriöse Stimmung: Da gibt es etwa eine Kirche, die noch nicht fertig gebaut ist, ein Burgschloss mit verschlungenen Rosengärten, einen Tempel oder ein ziemlich großes Baumhaus. Kommen wir mal an einer Stelle nicht weiter, macht es oft Sinn, an einen anderen Ort zu wechseln und dort zu tüfteln. Zugegeben, das Spiel ist unkonventionell – vor allem der Kontrast zwischen der hübschen Insel und den abstrakten Rätselaufgaben macht den Reiz von "The Witness" aus.

"The Witness": Tempel

Thekla, Inc.

Ich habe mich auf das Spiel gefreut, liebe naturwissenschaftliche Welterklärer und Logiker, und ich hatte für ein paar Stunden auch Freude daran, diese virtuelle Welt, die euch so in Entzücken versetzt, zu erkunden. Danach hat leider die Frustration der vielen schwierigen Aufgaben überwogen – wohl auch deshalb, weil ich oft erst mal herausfinden musste, was die jeweiligen Regeln eines Rätsels überhaupt sind. Bin ich dann draufgekommen, habe ich später manchmal herausgefunden, das ich mit meiner Theorie doch nicht recht hatte. Hatte ich endlich ein schwieriges Puzzle geschafft, kam das nächste schwierige Puzzle. Das war nicht sehr motivierend. Und was hat es eigentlich mit diesen vielen, interessanten Orten auf dieser Insel auf sich? Warum finde ich etwa manchmal Steinfiguren von Menschen in der Gegend herumstehen und warum deutet vieles darauf hin, dass hier etwas schief gelaufen ist und alle flüchten mussten?

Ich bin, wie viele andere emotional-unlogischen Chaotiker, fasziniert vom dem, was ihr könnt: vom mathematischen Durchleuchten der Welt und ihrer Entschlüsselung. Gleichzeitig sind wir gierig nach Vielseitigkeit, nach Ablenkung, nach Geschichten, nach Entwicklung, nach menschlichen Seltsamkeiten. "Portal" konnte das etwa gut, das Heranführen von Laien an Logik, bei gleichzeitiger Auflockerung durch eine spannende, packende Geschichte.

"The Witness": Wiese und Bäume

Thekla, Inc.

Meine Vermutung aber ist: Ihr wollt oft gar keine Geschichten erzählen, ihr findet eure Glückseligkeit stattdessen im Lösen von abstrakten Aufgaben und erkennt darin eure Form der Poesie. Auch die, die nicht so denken wie ihr, sind davon erst mal fasziniert, allerdings selten in so einer Intensität, wie ihr sie gerne habt. Ihr seid es doch, die diese Logik- und Mathesachen so gut beherrschen. Wieso wollt ihr also, dass wir uns genauso konsequent mit diesen Dingen beschäftigen, die euch so gefallen, die aber nicht unserer eigenen Expertise entsprechen? Wir wollen nicht Rätsel um Rätsel nur des Rätsels Willen lösen. Und wir wollen keine sterile Landschaft, die uns den Eindruck von Leben und Geschichten vermittelt, aber in Wahrheit nicht mehr als eine Kulisse ist. Wir wollen uns auch nicht dumm fühlen, weil wir - logischerweise (!) - nicht so gut im Lösen von Puzzles sind wie ihr.

"The Witness" ist für Windows und Playstation 4 erschienen.

Ich versuche euch so gut wie möglich in euren Lebenswelten und Denkmustern zu verstehen, liebe naturwissenschaftliche Welterklärer und Logiker. Bitte versucht es auch bei mir und meinesgleichen. Denkt daran: Ihr macht im Idealfall Spiele für alle Menschen, die sich auf eure Werke einlassen und sich damit beschäftigen wollen. Ihnen pauschal Ungeduld und Unwillen vorzuwerfen, wenn sie unter der Last eurer vielen abstrakten Aufgaben zusammenbrechen, ist unfair. Nehmt euch doch mal an der eigenen Nase und gebt darauf acht, was Menschen eurer Umgebung zu euren Spielen sagen, die nicht eure mathematik-affine Puzzeleidenschaft teilen. Denn eines könnt ihr uns glauben: An unserem Willen, uns an eure Welten heranführen zu lassen, wird es nicht scheitern.

Liebe Grüße,
Robert