Erstellt am: 3. 2. 2016 - 15:51 Uhr
Erleuchtung
Mit Akzent
Die unaussprechliche Welt des Todor Ovtcharov. Im Radio und auch als Podcast zum Anhören.
"Die Leiden des jungen Todor"
Das Buch mit den gesammelten Kolumnen gibt es im FM4 Shop.
Auf einer Bühne in der Ferne tritt gerade eine Gruppe österreichischer Rapper auf. Ich verstehe nicht ganz worüber sie ihre Reimflüsse fließen lassen, da sie in einem schwer verständlichen Dialekt rappen. Der Mann, der vor mir steht, spricht auch mit einem starken Akzent, aber ich verstehe ihn ganz gut. Vielleicht weil er anstrengt versucht jedes Wort deutlich auszusprechen. Er ist der erste Nepalese, den ich in meinem Leben getroffen habe. (Ich dachte, dass ich bereits zuvor Nepalesen in einem nepalesischen Restaurant gesehen hatte. Auf der Speisekarte stand, dass dort nur echte Nepalesen arbeiten. Irgendwann wurde aber das nepalesische Restaurant zu einem thailändischen umgebaut. Auf der Speisekarte stand diesmal, dass dort nur Thais arbeiten, doch das Personal ist dasselbe geblieben, Man weiß es also nie ganz genau...).
CC BY 2.0 by Senia L on Flickr
Ich höre meinem neuen Freund zu. Er sagt, dass ich ihn Lama nennen solle. So wie Dalai Lama, frage ich. Genau wie ihn. Der Name Lama passt für mich. Er hört sich bekannt an. Lama habe auch einen anderen Namen, aber es sei zu schwierig den auszusprechen und er wolle mich nicht damit belästigen, wie er selbst sagt. Ich verstehe ihn. Ich belästige auch manchmal die Menschen in Österreich mit meinem Namen.
Ich höre Lama aufmerksam zu. Ich weiß ja gar nichts über Nepal, außer dass es eine komische Flagge hat und dass sich der Mount Everest dort befindet. Seit einigen Jahren wohnt Lama in einem Dorf in der Nähe von Wien. Er ist mit einer Österreicherin verheiratet. Sie haben sich in Nepal getroffen. Ich frage ihn, ob sie den Everest besteigen wollte und er ihr Gepäck getragen habe. Lama lächelt mich an. Ich habe es fast erraten. Seine jetzige Frau war in ein buddhistisches Kloster oben in den Himalayas gegangen, um dem Hamsterrad des Lebens zu entfliehen. Sie suchte dort nach spiritueller Erleuchtung. Obwohl sie sich mit den komplizierten tibetisch buddhistischen Texten schwergetan habe, habe sie doch eine Erleuchtung gefunden. Denn sie fand die Liebe.
Lama hielt sich oft im Kloster auf. Er brachte Lebensmittel mit seinem Motorrad. Dabei hörte er amerikanischen Rap. Die Rapper interessierten ihn mehr als die Gebete der Mönche. Einmal bat ihn seine zukünftige Frau sie in die Stadt zu fahren, wo sie ihre Uhr reparieren lassen wollte. (Die Meditation ist wichtig für die Erleuchtung, aber sie brauchte doch eine Uhr.) Sie setzte sich hinter Lama auf das Motorrad. Er fühlte ihren Kopf auf seiner Schulter und fing an zu rappen. Er rappte über sein Leben, über seine Brüder und Schwestern, über sein Geburtshaus und darüber, dass er immer in seinem Heimatland bleiben wolle.
CC BY 2.0 McKay Savage on Flickr
Später schlug ihm die Österreicherin vor, ihr nach Wien zu folgen. "Ich liebe die Rapmusik!", sagt Lama zu mir, "deshalb bin ich auch in diesem Club. Du kannst mit dem Rappen etwas sagen, aber etwas ganz anderes meinen. Genau wie bei den buddhistischen Texten. Eigentlich wollte ich schon immer Nepal verlassen." Er lächelt mich an.
Lama lädt einige österreichische Rapper auf ein Bier ein. Dabei zahlt er mit einem großen Schein. "Ich habe Geld, mein Bruder!", sagt er und gibt mir großzügiges Trinkgeld. "Die Österreicher sollen nicht denken, dass ich arm bin. Ich arbeite wie verrückt und habe Geld, viel Geld!", sagt Lama und lacht. Er ist zufrieden, dass er beachtlichen Wohlstand erreicht hat. Ich frage mich, wie er wohl zusammen mit seiner Frau lebt, die dem Materiellen entkommen wollte und nach spiritueller Erleuchtung in den Himalayas gesucht hatte. Lama lacht die ganze Zeit ohne Grund, springt herum und feiert zusammen mit der Band.
Nach noch einem Bier kommt Lama zu mir und schaut mich traurig an. Er zeigt auf die Rapper, die schon beim nächsten Song sind. "Ich habe Geld, aber ich habe keine Freunde. Die da haben von meinem Bier getrunken und jetzt tun sie so, als ob sie mich nicht kennen!" Sein Zustand ähnelt dem von Menschen, die sich nicht an die Bergluft gewöhnen können. Die grundlose Fröhlichkeit ist weg und hat dem Missmut Platz gemacht.
Genau wie bei der Höhenkrankheit hat Lama bereits das nächste Stadium erreicht. Er hört Stimmen, die ihm sagen, dass ich sein bester Freund sei. Er sagt mir, dass er niemanden außer mir auf dieser Welt hätte. Ich weiß nicht, ob er sich morgen an mich erinnern wird. Aber Lama, hab keine Angst, du kannst dich immer auf mich verlassen!