Erstellt am: 1. 2. 2016 - 18:26 Uhr
Maschinenwinter
Spätestens seit James Blake und seinen hundert, hundert schlechteren Epigonen hat man sich flächendeckend daran gewöhnt, auch an das Augenrollen: Elektronische Soul-Boys, Produzenten und dem Kinderzimmer gerade mal entkommene Beatwunderknaben, die die Magie, die so ein Nachtclub, die ebendort erfahrenen Stimulanzien und der Takt des Strobos mit sich bringen können, in schwelgerischen Einklang mit der besonders gefühligen Singer/Songwriterkunst bringen. Oder sich daran versuchen.
Ekstase und Comedown, Energie, Euphorie, Schweiß und Zutodebetrübtsein. Disco-Melancholie ist die feinste Melancholie. Das kanadische Duo Junior Boys hat derlei Musiken nun freilich auch nicht erfunden, sich im bittersweet schillernden Emotions-Dome aber immerhin schon mit seinem ersten Album "Last Exit" aus dem Jahr 2004 eine eigene flauschige Koje ausgeleuchtet: In ihr funkelt eine zwischen den Eckpunkten Detroit-Techno, 80er-Synth-Pop lasziv-britischer Prägung, Slo-Mo-Disco und Timbaland geborene Musik sexy und begehrlich.
Domino Records
Nach ihrem letzten, ihrem vierten Album "It's All True" haben sich die beiden Junior Boys Jeremy Greenspan und Matt Didemus, beides doch schon recht erwachsene Männer mit noch immer flackerndem Spieltrieb, gut fünf Jahre Auszeit voneinander gegönnt: Greenspan hat unter anderem mit Homie Dan "Caribou" Snaith zusammengearbeitet und das wunderbare Debütalbum von Nachbarin Jessy Lanza mitproduziert, Didemus ist dorthin gegangen, wo man so hingeht, nach Berlin nämlich, um dort zu machen, was man in Berlin so macht, nämlich so richtig Techno.
Auf ihrem neuen, fünften Album mit dem schön fluffigen Titel "Big Black Coat" klingen die Junior Boys jetzt so ausgeschlafen, entschlackt und konzentriert wie selten zuvor – es ist ihr bestes Album bisher geworden.
Der große, schwarze Mantel im Titel mag wohl auf die eisige Heimat, Hamilton, Ontario anspielen, wo die Platte entstanden ist, auf bittere Winter, desolate Industrieruinen und verhärmte Verhältnisse – da kann man schon die ganz große wärmende Bekuschelung brauchen.
In den Texten von "Big Black Coat" staksen und stapfen einsame und sich einsam vorkommende Figürchen und Zauseltypen durch unwirtliche Verhältnisse: Draußen um sie herum und in ihnen drinnen. Es wird vermisst, gesehnt, betrauert und sich selbst schlecht gefühlt.
Männer starren ins Nichts und am Ende des Starrens wissen sie nicht mehr was sie eigentlich überhaupt noch erspähen wollten. Das Leben ist leer. Wenn eine Beziehung einmal gut läuft, dann wird klarerweise der Erzähler zum Verschmäher: "Lass es sein, Baby", heißt es im Song "Baby, give up on it" – "die Sache zwischen uns beiden ist gegessen, kein Bock mehr."
"Baby", das ist das Losungswort für diese schockgefrorene Platte, "Baby, Don't Hurt me" und "C'mon Baby" heißen beispielsweise zwei andere Songs, auch sonst taucht dieses seltsame Kosewort immer wieder auf. Die betont schlichten, wie aus dem jungmännerbeschwitzten Poesie-Album und aus Schmalz-Standards schmal zusammengepuzzelten Texte fügen sich mit der minimal angerichteten, streng aus Drummachines, Samplern und Synthesizern geklopften Musik zu einer beachtlichen Versuchsanordnung.
"Big Black Coat" ist mehr Techno als bei den Junior Boys bisher üblich, roh und rauh, in der schweren Lederkutte aus der Fabrikshalle genagelt, an Industrial und Oldschool Electro orientiert. Scharf zischelt es an den Becken, stumpf und unbarmherzig arbeiten die Apparate.
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Gleichzeitig ist "Big Black Coat" auch mehr Seide und Samt, mehr schöner Schmelz, mehr Melodie für Minderheiten – was nicht zuletzt an dem mit dem ganz guten Olivenöl präpariertem Falsett von Sänger, Frontmann, Hauptsongwriter und Mastermind mit leichtem Vorsprung Jeremy Greenspan liegt.
Die Junior Boys tanzen hier wie gehabt zwischen den Formaten "Dance-Track" und "Pop-Song". Es mäandert und franst aus, zwischen große, kleine Popmomente schieben sich ungewohnt lange Instrumentalpassagen und Trickmanöver, die im Dienste von Disco- und Radio-Tauglichkeit wohl Bekanntschaft mit dem hässlichen Wort "Edit" machen werden müssen.
Auch wenn hier also so einiges los ist auf "Big Black Coat" – Blubbergeräusche, Plastik-Funk, Footwork-Exkursionen, verbleepter Acid, die üblichen verpitchten, hier wohldosiert, R'n'B-Stimmchen – versprüht diese Platte Kargheit, Isolation. Alle Sounds und Töne und Geräusche sind streng konturiert und klar räumlich wahrnehmbar. Dazwischen weht der Wind, dazu singt ein verbeulter Mann, er spürt den Soul, von solch längst vergessenen Dingen wie einer im Sand verlaufenen Brieffreundschaft.