Erstellt am: 1. 2. 2016 - 16:22 Uhr
Gemeinsam allein
Domino Records
"I was a dreamer. Staring out windows. Out onto the main street. Cause that's where the dream goes" ... ungläubige Blicke werden unter den Konzertbesuchern ausgetauscht, während sich aus ihren Mündern diese Liedzeilen zu einem magisch-perfekten Harmoniegesang verselbständigen, sanft lächelnd orchestriert von Sänger Conor O’Brien. Als berührendsten Konzertmoment des Jahres habe ich diese Erinnerung an den Auftritt der Villagers beim Wiener Bluebird-Festival vergangenen November abgespeichert.
Diese Liveperformances waren für die irischen Indiefolklieblinge auch der Anstoß, ein neues Album aufzunehmen, obwohl erst im Frühjahr ihre letzte Platte "Darling Arithmetic" erschienen war: "Wir mussten für die aktuelle Tour die älteren Stücke neu arrangieren, damit sie zur Intimität von 'Darling Arithmetic' passen. Und dann bemerkten wir, dass etwas ganz Spezielles am Entstehen war, und das wollten wir festhalten", erklärt Band-Mastermind Conor O’Brien.
Nina Hochrainer
Wirklich neue Stücke findet man auf "Where have you been all my life?" also nicht, stattdessen Interpretationen von Songmaterial aus den letzten sechs Jahren, die Hälfte davon Versionen von Stücken aus dem letzten Album. Im Juli des letzten Sommers wurden diese in den Londoner RAK Studios eingespielt - live, ohne Overdubs und sonstigem Schnickschnack, an einem einzigen, langen Tag. "Mein Keyboarder ist bewusstlos geworden, weil wir so viel gearbeitet haben", lacht Conor. "Und nach zwölf Stunden haben wir begonnen, ganz viel Wein zu trinken und die letzten Songs haben wir dann ziemlich beduselt aufgenommen. Aber das hat in diesem Fall gut gepasst, und wir haben auch die Fehler drin gelassen."
"Darling Arithmetic", der schwermütige Titeltrack der Vorgängerplatte, ist eines dieser Rauschlieder und für Conor auch das Herzstück dieser neuerdachten Anthologie. "Es geht um den Tod einer nahestehenden Person und wie man damit umgeht. Als ich mir die neue Aufnahme zum ersten Mal anhörte, musste ich weinen, weil ich spürte, dass alle in diesem Raum meine Freunde waren, dass all diese Musiker wirklich versucht hatten, den Song zu erschaffen, und das hat mich sehr stolz gemacht." Eine schöne Erfahrung für Conor, im Gegensatz zur Originalaufnahme, mit der er sich wochenlang allein in einem Zimmer abgemüht hatte.
- "The Waves" in der Originalversion:
- Und als Neuinterpretation:
Something old, something new, something borrowed, something blue
Eigentlich war ja auch das Vorgängeralbum als Bandprojekt gedacht gewesen, am Ende hatte Conor O’Brien jedoch alle Stücke im Alleingang eingespielt und dabei fast versehentlich ein feinsinniges, reduziertes Meisterwerk geschaffen. "Where have you been all my life?" ist nun in gewisser Weise die Rückkehr zu Plan A. Ihm gefällt Bob Dylans Zugang zum Songwriting, die Idee, dass eine Aufnahme nur ein Dokument eines Songs zu einem bestimmten Zeitpunkt sei, nie ein abgeschlossenes Werk. Und so ist man unweigerlich versucht, zwischen den Original- und Neuversionen der Stücke hin- und herzuspringen, um die - großteils nur subtilen - Unterschiede auszumachen. Aber das ist freilich nicht im Sinne des Erfinders, der das Album als eigenständiges Narrativ verstanden haben will. "Es gibt einen emotionalen Faden, der all die Stücke zusammenhält, obwohl sie zu verschiedenen Zeiten entstanden sind", erklärt Conor.
Zwei fast neue Stücke finden sich dann doch auch in diesem Narrativ: Ein gelungenes Cover des alten US-Countrysongs "Wichita Lineman" und das von Conor O’Brien ursprünglich für Charlotte Gainsbourg geschriebene Lied "Memoir", das er für die Platte zurückgestohlen und selbst eingesungen hat.
Bei den Rearrangements bedienen sich Villagers neben verschiedener Tempiwechsel vor allem der Addition und Substraktion von Instrumenten, Klangschichten und Backgroundvocals. "Wir haben viel mehr Synthsounds verwendet, die meisten Tracks klingen viel verträumter, luftiger, atmosphärischer", meint Conor. Die mit Abstand größte Verwandlung vollzogen hat das Stück "The Waves", das in seiner ursprünglichen Form im elektronischen Gewand daherkam und in der neuen Version bis aufs akustische Unterkleid ausgezogen wurde, um dann in einem lang gezogenen Crescendo Symphoniecharakter anzunehmen. "Ich wollte ein bisschen Wiener Klassizismus reinbringen", schmunzelt Conor.
Was dadurch allerdings verloren geht, ist das intime Band, das Conor O’Brien auf der Vorgängerplatte so behutsam und liebevoll zwischen ihm und dem Hörer gewoben hatte. Statt eines einsamen Sängers mit seiner Gitarre steht jetzt eben eine ganze Band mit ihrer Instrumentenarmada im Zimmer. "Aber da ist eine Wärme in diesen Aufnahmen, die man nur mit mehreren Leuten gemeinsam in einem Raum bekommt", hält Conor diesem Einwurf entgegen. Man ist nicht mehr alleine allein, sondern gemeinsam allein. Auch schön.