Erstellt am: 29. 1. 2016 - 18:23 Uhr
The daily Blumenau. Friday Edition, 29-01-16.
#rockveteranen
The daily blumenau hat im Oktober 2013 die Journal-Reihe (die es davor auch 2003, '05, '07, 2009 und 2011 gab) abgelöst. Und bietet Einträge zu diesen Themenfeldern.
2016 wieder regelmäßig.
Dass Nostalgieschür-Medien als Musikzeitschriften gelten und sich auch das einst avancierteste Fachorgan dem Altstar-Geraune nicht entziehen mag, ist schon schlimm genug. Wenn die Beschäftigung mit Popmusik sich aber zunehmend entlang der Nachrufe ihrer Protagonisten orientiert, ist die Kacke ordentlich am Dampfen.
Der verstorbene Altpopstar des Tages
Gestern ist Paul Kantner, der WG-Chef der Jefferson Airplane, der erfolgreichsten politischsten US-Band der 60er und 70er gestorben. Kurz davor Colin Vearncombe alias Black, davor Glenn Fry von den Eagles. Von Bowie oder Lemmy muss ich euch nichts erzählen, aber dass etwa Guru Josh kürzlich aus dem Leben geschieden ist, das hat es hierzulande schon gar nicht mehr in die News-Spalten geschafft.
Ein weiterer verstorbener Rock/Popstar, das ist mittlerweile Alltag. Und doch unerhört. Absurd.
Es ist nämlich so, wie Henry Rollins hier in einer ganz aktuellen Bowie-Gedächtnisrede sagt: you just don't think mortality is attached to them.
Das hat nichts mit dem biologischen Alter oder übertriebener Heldenverehrung zu tun, sondern mit der Tatsache, dass Pop/Rockmusik eine der elementarsten Manifestationen des Lebens ist (was in einiger Hinsicht auch die Beschäftigung mit dem Tod zur Folge hat, was aber nichts abschwächt, im Gegenteil). Und die Vortragenden, die Autoren, die Performer so jenseits von Sterblichkeit ansiedelt.
You just don't think mortality is attached to them
Als rebellische Rockmusik, egal welcher Spielart, noch das leitkulturelle Sagen hatte und die Themen setzte, war es ein öfter auftretender früher, schneller Tod, der ein schmales Werk der Nachwelt zur Komplettdeutung hinterließ. Dass die großen Wortführer jemals in gediegenem Alter, als gebrechliche/r Omi/Opi das Zeitliche segnen könnten, daran war nicht zu denken. Ich hoffe ich sterbe ehe es soweit ist, schrieb ein heute in Unwürde Alternder stellvertretend.
Auch weil man davon ausging, dass der Zirkel niemals durchbrochen werden würde, dass nach der ersten Generation der großen Themensetzer die nächste und dann die übernächste und dann halt immer eine kommen würde, die eine entsprechende gesellschaftspolitische Bedeutung hat.
Wie wir heute besser wissen, ist das nicht passiert.
Im Gegenteil.
Die vorwärtspreschende Pop/Rock-Musik, diejenige, die das Haltung in der Unterhaltung groß schreibt, hat nicht nur ihre Vormachtstellung an andere Sparten verloren, sie existiert innerhalb des eigenen Genres hauptsächlich in einer Vergreisungs-Spirale. Denn das Neue löste das Alte nie ab, sondern stand ergänzend daneben. Und das zunehmend vager, fader, unsicherer.
Zu Monstern hochblicken
Denn durch das immer belastendere Aufblicken zu im nachträglichen Blick immer größer werdenden Monstern (egal ob Lennon, Dylan, Bowie, Joplin, Hendrix, Reed, Mitchell, Jackson, Prince, Madonna...) gelang immer weniger Nachrückern ein Aufstieg auf ein Level der allgemeinen Kenntnisnahme. Zudem sind z.B. Gaga oder Kanye dann auch zunehmend comicartige Zerrbilder in einer übermedialisierten Maschinerie: es genügt nicht mehr, so wie früher einfach eine Grundhaltung ab/auszustrahlen und damit vorbildhaft zu leuchten - heute gilt es seine Position jeden Tag wort/bildreich zu verteidigen/festigen.
Und das ist um einiges schwerer.
Rechnet man die zunehmende Unmöglichkeit dazu, rein musikalisch wirkliches Neuland betreten zu können (HipHop scheint ausgereizt, die elektronischen Spielarten befinden sich auch in einer Redundanz-Schleife) ergibt sich eben ein höchst nostalgiefreundliches Resultat.
Vorne dran sind die alten Helden, deren alte Leistungen (die heute so nicht mehr reproduzierbar sind) hochstilisiert werden, und deren aktuelle Outputs gar nicht wirklich seriös hinterfragt werden.
Das ist in etwa so, als würde die Hahnenkamm-Abfahrt jedes Jahr so entschärft, dass es immer noch unglaublich schwer ist, sie schnell und sicher zu befahren, aber alles irgendwie babyleicht aussieht. Auch weil jeder Fan die Piste selber abfahren oder zumindest live mit den Piloten interagieren kann. Weshalb dann Franz Klammer der größte aktuelle Skistar ist und mehr Klicks hat als alle heutigen Hansln zusammen.
In etwa so läuft es gerade in der Pop/Rockmusik. Und das zunehmend öffentliche Sterben macht dieses Ungleichgewicht zwischen nostalgisch betrachteter Geschichte und dem Versuch zeitgenössischer Produktion so obszön.
PS: Wenn Grace Slick, die wahre treibende Kraft der Jefferson Airplane einmal sterben sollte (und ich weiß, dass das nicht passieren kann, mortality is not attached to her, aber falls:) dann erzähl' ich die ganze Geschichte von unserer Begegnung in einer schwedischen Badehütte. Und davon, warum nichts was danach war, besser werden konnte.