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Philipp L'heritier

Ocean of Sound: Rauschen im Rechner, konkrete Beats, Kraut- und Rübenfolk, von Computerwelt nach Funky Town.

28. 1. 2016 - 16:35

The chemicals between us

Anfang der Woche ist nach gut 14 Jahren Serien-Pause die neue Staffel von Chris Carters Klassiker "The X-Files" gestartet. Solide Nostalgie-Pflege.

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Die neuen Folgen der X-Files sind ab 4. Februar in ORF eins (jeweils Donnerstag um 20.15 Uhr) zu sehen.

Da muss schon so einiges im Kosmos schieflaufen und am Wertesystem rütteln, damit Agent Fox Mulder sein geliebtes Poster mit dem Leitspruch „I Want To Believe“ mit den Füßen kaputttritt.

In der ersten der beiden gerade angelaufenen Episoden der sechsteiligen, neuen Miniserie der X-Files sieht Mulder, der ewig Überzeugte und Hoffer, der Glaubende, dem jahrelang nur selten und ganz kurz Zweifel im Hinblick auf die Existenz paranormaler Phänomene und Alien-Entführungen gekommen sind, sich mit der Möglichkeit konfrontiert, dass sein ewiges Suchen, Forschen und Harren bloß einer einzigen, großen von außen gelenkten Irreführung geschuldet gewesen sein könnte.

„I figured it out. I all makes complete sense“, sagt Mulder in Rage, „all these years we’ve been deceived.“ „I don’t know what you mean“, meint dazu Partnerin Dana Scully pflichtbewusst, sich über ihre Rolle als erdnahe Skeptikerin und freundschaftlicher Gegenpol zu Mulders oft wirren Ausführungen völlig im Klaren, gerade so als wären nicht schon gut 14 Jahre vergangen seit Chris Carters, man darf es sagen, Kultserie „The X-Files“ 2002 nach neun Staffeln ihr reguläres Ende gefunden hat.

The X-Files

Twentieth Century Fox

„My Struggle“ nennt sich die erste Episode der neuen X-Files nur richtig, Mulder meint zu riechen, dass sein lebensfüllendes Bohren und Stochern in Verschwörungstheorien, sein verbissenes Festhalten an durch extraterrestrische Lebensformen bedingten Erklärungmodellen sich als ungute Fehlleitungen herausstellen könnten.

Dass hinter der Verschwörung noch eine Verschwörung und noch eine Verschwörung stecken dürfte, dass er selbst bloß blindes Püppchen an den Schnüren mächtiger Männer gewesen sein könnte. Nicht im Treiben von Außerirdischen sei womöglich eine Lösung zu finden, sondern in einer „conspiracy of men“. Ein Weltbild liegt in Scherben.

Den ersten beiden neuen, bestenfalls – im Gesamtzusammenhang der Show gesehen, wie ich auch an Serien-Gewohnheiten der jüngeren Vergangenheit gemessen – mittelmäßigen Episoden gelingt immerhin, wenn schon nicht das Kunststück, so doch der solide vorexerzierte Taschenspielertrick, alte Fans der Serie mit wohliger Nostalgie zu wärmen und sich auch für Neueinsteiger mehr oder weniger verständlich zu geben.

Letzteres durch ein besonders unelegantes Manöver: In den ersten Minuten der neuen Staffel gräbt Mulder in alten Akten, fördert, um schlaglichthaft eine optische Rahmung der Show zu geben, Fotos von Bösewichten aus der Vergangenheit der X-Files - beispielsweise aus den frühen, klassischen Episoden „Squeeze“ oder „The Host“ - zutage - dazu erklärt er im Voice-Over und Schnelldurchlauf die Eckdaten der Mythologie der Serie.

Ein wenig scheint der große, allumfassend – irgendwie – zusammenhängende Erzählbogen der X-Files – UFOs, die Entführung von Mulders Schwester, schwarzes Öl, Supersoldaten – bloß noch Blendwerk zu sein, oder zumindest ein bisschen egal.

Die Episode „My Struggle“ hantiert mit einem üppigen Schlagwortkatalog der Verschwörungstheorie: 9/11 als reiner Täuschungsapparat, das Venus Scenario, the Fifth Extinction und so weiter und so fort. Hier wird zwar, wie gehabt in der Geschichte der Show, augenzwinkernd, jaja, leeres Gewäsch und Phrasensprech metabespiegelt, gleichzeitig scheint wieder einmal der allzu einfache, der gewitzte Weg der Selbstreferenz als Ausflucht aus einem verfahrenen Plot-Geflecht gesucht zu werden.

Das Eingeständnis von Zufälligkeiten und der Abwesenheit von eindeutigen Lösungen haben die X-Files schon früh als gewieften Kniff kultiviert, man hat sich daran gewöhnt.

Seit der Erstausstrahlung der Original-Serie von 1993 bis 2002 haben sich bekanntlich die Sehgewohnheiten geändert, ungewöhnlich schwerfällig muten heute viele der über 200 Episoden an, grob die Hälfte dieser großartigen Serie hätte man seinerzeit schon skippen können.

Während heute vielen modernen Serien der breitwandig angelegte Erzählbogen, die weit vorausdenkende Verknüpfung der einzelnen Episoden zu einem Panorama als essenzielles Qualitätsmerkmal gelten, waren bei den X-Files oft gerade diese der Gesamterzählung dienenden Folgen, „Mythology“-Folgen genannt, besonders öde, schlecht gemacht, bloße Plotbeförderer ohne Ziel.

Den Mythology-Episoden stehen sogenannte Monster-of-the Week-Episoden gegenüber, in denen Scully und Mulder jeweils einen für sich allein stehenden, abgeschlossenen Fall zu klären hatten: Auch viele dieser Episoden waren schlecht, aber wenn sie gut waren, waren sie oft großartig.

Folgen wie die John-Carpenter-Hommage „Ice“, das widerliche Splatter-Opus „Home", die Sideshow-Studie „Humbug“ oder die rührende, lustige, spannende Episode „Clyde Bruckman’s Final Response“ beispielsweise. Da und dort mögen sie vielleicht nicht perfekt gealtert sein, nach wie vor aber versprühen sie einen wunderlichen Charme und nicht selten das Parfüm der Genialität.

The X-Files

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Oft leben diese Monster-of-the-Week-Episoden nicht von lösungsfixierter Krimi-Logik, sondern von Machart, Atmosphäre, gestalterischen Einfällen, dem Ausloten von Konventionen des Dramas, humoristischer Selbstreferenzhuberei und allem voran der Chemie zwischen Scully und Mulder. Zweifellos dem besten On-Screen-Duo aller Zeiten.

„Founder’s Mutation“, die zweite Episode der aktuellen Mini-Serie, ist eine Monster-of-the-Week-Folge rund um durch Genmanipulation deformierte Kinder und genauso wie der Pilot für sich genommen wenig aufregend. Das Glühen aber, das in der Luft liegt, wenn Scully und Mulder einander begegnen und austesten, umtänzeln und mit kleinen Witzchen teasen, sucht Vergleichbares.

In Scullys Mimik ereignet sich Aufsehenerregendes: Eine knappe Verrenkung der Mundwinkel, ein angetäuschtes Lächeln, die Andeutung eines amikalen Augenrollens. Die Energie, das Leben in und zwischen den Figuren trägt die Show und lässt in dieser Staffel bislang den Plot als bloße Kulisse dastehen. „This is dangerous“, weiß Scully in „Founder’s Mutation“, Mulder kennt die Antwort: „When has that ever stopped us before?“