Erstellt am: 29. 1. 2016 - 09:51 Uhr
The Bad, The Worst & The Ugly
Draußen tobt ein teuflischer Schneesturm, drinnen, in einem Gemischtwarenladen namens Minnie’s Haberdashery, brodeln feindliche Gefühle. Quentin Tarantinos neuer Western "The Hateful Eight" spielt über weite Strecken in dem kleinen Zufluchtsort irgendwo in Wyoming. Eine Gruppe von Fremden trifft in dem rustikalem Raum aufeinander, allesamt Symbolfiguren für das von Hass zerrissene Amerika nach dem Ende des Bürgerkriegs. Liefern sich die überzeichneten Charaktere aus verschiedenen ideologischen Lagern eine Weile noch heftige Wortgefechte, kippt die Stimmung irgendwann. Blut fließt hektoliterweise und färbt Minnie’s Haberdashery rot.
Constantin Film
Ältere Menschen werden sich vielleicht entsinnen: Es gab eine Zeit, da verlief das Sterben im Wilden Westen weitaus zurückhaltender als beim Splatterfan Tarantino. In den klassischen Kuhbuben-Dramen, die einst sogar im Fernsehnachmittags-Programm zu sehen waren, wurde auf Hämoglobin-Kapseln verzichtet. In diesen Filmen aus den 50ern und frühen 60er Jahren stürzten zwar meistens Pferde auf spektakuläre und nicht gerade tierschonende Weise. Aber die Bösewichte plumpsten stets ohne sichtbare Einschusslöcher in den Sand, ihre tödlichen Verletzungen konnte man bestenfalls erahnen.
Diese Subtilität änderte sich gegen Ende der Sixties drastisch. Plakative Filmkonkurrenz aus Europa revolutionierte das uramerikanische Genre. Italienische Spaghettiwestern von Sergio Leone ("Per un pugno di dollari" (1964) oder Sergio Corbucci ("Django", 1966) gingen aber nicht nur mit dem roten Farbstoff großzügiger um, die neue Härte ging vor allem Hand in Hand mit einer radikalen inhaltlichen Veränderung.
Zwar hatten zuvor bereits US-Regie-Ikonen wie John Ford oder Anthony Mann die simplen Gut-Böse-Schemata demontiert. Aber in dreckigen, asozialen Italowestern wie "Il Grande Silenzio" (Leichen pflastern seinen Weg, 1968) oder "Se sei vivo spara" (Töte, Django, 1967) wimmelte es nahezu vor unrasierten Antihelden mit locker sitzenden Colts. Die Ära der tugendhaften Cowboys, die am Ende in den Sonnenuntergang ritten, war endgültig vorbei, die Besiedelung Nordamerikas wurde von den europäischen Filmemachern als gewalttätiger kapitalistischer Akt gesehen, verbunden mit dem Völkermord an den Ureinwohnern.
Warner
Blutbäder in Superzeitlupe
Allerdings konnte man die opernhaft überhöhten Shootouts bei Sergio Leone & Co. noch bestens als raues Entertainment genießen. Der kalifornische Regie-Outlaw Sam Peckinpah holte den Western, durch den italienischen Einfluss von seinen Fesseln befreit, aber auf den Boden der erschütternden Realität zurück. Sein Meisterwerk "The Wild Bunch - Sie kannten kein Gesetz", über eine Gruppe von ausrangierten Revolverhelden, endet 1969 zwar auch mit einem der blutigsten Showdowns der Filmgeschichte in stilisierter Zeitlupe. Peckinpahs schockierendes Epos erzählt aber auch die grausame Wahrheit über eine Epoche, in der Menschenleben nichts wert waren, Ausbeutung und Gesetzlosigkeit regierten.
Durch "The Wild Bunch", dessen Gewaltexzesse plakativ vermarktet werden, sind die Tore geöffnet für einen anderen Blick auf die Geschichte der Vereinigten Staaten.
Dabei wollen manche Filmemacher damals gar nicht nur die Vergangenheit schonungslos neu aufrollen. Es geht ihnen auch um die Gegenwart der frühen 70er Jahre. In Vietnam tobt ein furchtbarer Krieg, dessen Fernsehbilder die Welt entsetzen. Im kontroversen "Soldier Blue" (Das Wiegenlied vom Totschlag) spiegelt Regisseur Ralph Nelson den Horror aus Fernost im Wilden Westen. In blutigsten Details zeigt der Film, nach traurigen Tatsachen, die Verwüstung eines Indianerdorfs durch die US-Armee. Der anarchische Hippiezeitgeist (der in "Soldier Blue" zuvor aufflackert) trifft auf ein Gemetzel wie aus dem drastischen Exploiationkino.
MGM
Biblisch anmutende Brutalität
Mit den rohen Antiwestern und delirischen Werken wie "Cut Throats Nine" (Todesmarsch der Bestien, 1972) oder "Keoma" (1976) stirbt der Cowboy-Mythos. Und dann doch nicht. Immer wieder kehrt das Westerngenre in den folgenden Dekaden vereinzelt ins Kino zurück. In den Nullerjahren sticht etwa Takashi Miikes poppig-blutiger "Sukiyaki Western Django" (2007) als besonders wüster Genremix hervor, angestachelt von Quentin Tarantinos Zitate-Feuerwerken und inklusive einer kleinen Gastrolle des US-Regisseurs.
Wirklich eindringlich ist aber "The Proposition" (2005) vom Meisterregisseur John Hillcoat. Der Australier schafft es, nach einem Drehbuch seines Landsmannes Nick Cave, eine Geschichte von zwei verfeindeten Brüdern zu erzählen, die an die Gänsehaut-Momente von Sam Peckinpah, aber auch an die biblisch anmutende Brutalität in den Büchern von Cormac McCarthy ("Blood Meridian") anknüpft. Jeder Gewaltakt schmerzt immens beim Zusehen, Hillcoat nimmt das Genre todernster als manche seine Wild-West-Regievorbilder.
Sony
Derzeit rollt eine weitere Westernwelle über uns hinweg, Gefangene werden in diesen aktuellen Filmen kaum genommen. Alejandro Gonzales Iñárritus Körperkino-Meilenstein "The Revenant" zeigt die Frühzeit von gods own country erneut von einer gnadenlosen Seite. Der Genozid an den Native Americans ist omnipräsent in der Überlebensgeschichte des Trappers Hugh Glass, die der Film als physisch spürbares Martyrium schildert.
Weitaus dialoglastiger und ruhiger erzählt kommt über weite Strecken "Bone Tomahawk" vom Regiedebütanten Craig S. Zahler daher. Die Angst der Siedler vor dem Anderen wird durch einen kannibalistischen Stamm von Ureinwohnern repräsentiert, der eine junge Frau aus einer Kleinstadt kidnappt. Eine Gruppe von Männern, darunter Veteranen wie Kurt Russell und Richard Jenkins, macht sich auf die Suche nach der Entführten - und wird dabei mit einem Schrecken konfrontiert, den sie nicht einmal erahnen können. Der Film, der bis zu diesen Punkt auf lange Gespräche zwischen den desillusionierten Cowboys setzt, mutiert im Finale zum tatsächlich verstörenden Horrorinferno.
Highlight Films
Die Offbühnen-Version eines Tarantino-Films
Was "The Hateful Eight", Quentin Tarantinos Beitrag zum Splatterwestern, mit "Bone Tomahawk" verbindet, ist nicht nur der große Kurt Russell in einer tragenden Rolle. Auch zu dem Geschehen in Minnie’s Haberdashery gehören überlange Dialogpassagen und eine bewusste Dekonstruktion gängiger Spannungsdramaturgie. Dabei überdehnt der Regisseur mit seinem Revolverhelden-Kammerspiel aber bisweilen den Bogen so stark, dass zumindest der Schreiber dieser Zeilen während der beinahe dreistündigen Laufzeit öfter mal auf die Uhr schaute.
Waren im Grunde bereits die zentralen Italowestern schon Metawestern, die auf artifizielle Weise das Genre reflektierten, ist "The Hateful Eight" stellenweise fast nahe an einer Offbühnen-Version eines Tarantino-Streifens dran, in der es ironische Brechungen hagelt und Ansätze von Realismus schnell in einer bewussten Staffage vergessen sind. Auch das rare 70mm Format und der aufblitzende Originalsoundtrack von Ennio Morricone mindern diese gewollte Sprödheit nur bedingt.
Schneeverwehte Kilometer von der Leidenschaftlichkeit eines "The Wild Bunch" oder auch "The Proposition" entfernt, rufen nur wenige, glühend provokante Szenen, in denen Samuel Jackson zum Albtraum überzeugter Südstaatler wird, emotionale Reaktionen hervor. Ansonsten betrachtet man "The Hateful Eight" oft distanziert wie ein Brecht-Stück.
Constantin Film
Der spannendste Zugang auf dieses Verbal- und Schusswaffenduell, außer man gibt sich wie manche Tarantino-Jünger mit betonter Cleverness zufrieden, ist deshalb sicher der politische. Das Personal aus Rassisten, Halsabschneidern und Killern, in dem Bruce Dern, Walton Goggins und Jennifer Jason Leigh besonders hervorstechen, steht stellvertretend für ein Land, in dem niemand dem anderen traut und Yankees wie Rednecks von Gier und Korruption zerfressen sind. Nicht einmal die Frauen und Afroamerikaner, denen Tarantino in anderen Filmen heroische Loblieder singt, haben einen Funken Humanismus in sich. Das zynische Splatterwestern-Genre ist in "The Hateful 8" also vollinhaltlich zurück - und zeigt Amerika den blutverschmierten Mittelfinger.