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Todor Ovtcharov

Der Low-Life Experte

27. 1. 2016 - 14:54

Die verdammten Tolerasten

Tolerast ist ein neues Unwort, das regelmäßig in diversen Internetforen in ganz Osteuropa verwendet wird.

"Diese verdammten europäischen Tolerasten wollen jetzt sogar die Taufe verbieten!" Goscho spuckt auf den Boden und nimmt einen tiefen Schluck Rakija, den er aus Bulgarien mitgebracht hat. Tolerast ist ein neues Unwort, das regelmäßig in diversen Internetforen in ganz Osteuropa verwendet wird. Das Wort besteht aus "Toleranz" und "Pederast" und stammt höchstwahrscheinlich aus den Propagandaschmieden des ehemaligen KGB. Eine weitere Version des Wortes ist "Liberast". Denn Toleranz und Freiheit werden als Zeichen für den Verfall der europäischen Zivilisation wahrgenommen. Die Kombination mit "Pederast" ist nicht zufällig. In Russland und in vielen Ländern Osteuropas wird Homosexualität als die schrecklichste Abweichung von der Gesellschaftsnorm betrachtet.

Goscho ist Bauarbeiter, der in Wien ohne Erfolg nach einem Job gesucht hat. Er hat es ein paar Mal versucht, doch seine Arbeitsmethoden entsprachen nicht den hiesigen Standards. Jetzt wartet er, bis der Winter vorbei ist, damit er zurück nach Bulgarien kann. Dort deckt er Dächer mit schweren Platten aus Gneis. Das ist eine traditionelle Art des Dachdeckens in Bulgarien. Denn im 19. Jahrhundert waren diese Steinplatten das billigste Baumaterial.

Ein mit Steinen gedecktes Dach.

Flickr.com, User vreimunde

Die Arbeit mit Steinplatten ist sauschwer, denn sie wiegen sehr viel. Das Schleppen der Platten auf die Dächer ist so hart wie sonst die Arbeit von Gefängnissträflingen. Deshalb werden die Arbeiter, die sich mit Steinplatten auskennen, immer weniger. Goscho wollte keine Steinplatten mehr tragen und kam nach Österreich. Jetzt aber sieht es so aus, als ob er bald zum Handwerk seiner Vorfahren zurückkehren wird. Aber in Bulgarien gibt es jetzt viel Schnee und er kann deshalb auch dort nicht die Dächer besteigen. So sitzt er nun in Wien herum, trinkt Rakija und hängt den ganzen Tag im Internet ab.

Neulich hat Goscho im Netz gelesen, dass die EU die orthodoxe Taufe verbieten will. Das empfindet Goscho als Angriff gegenüber seinen religiösen Gefühlen. Seine orthodoxe christliche Seele zittert. Eigentlich kann Goscho nicht mal das "Vater unser" beten. Das einzige der zehn Gebote, das er kennt, ist "Du sollst nicht ehebrechen". Immer, wenn er das sagt, zwinkert er ein bisschen. Niemand kann Goscho davon überzeugen, das auf den bulgarischen Nachrichtenseiten täglich falsche Nachrichten stehen - wie etwa das mit dem Taufverbot.

Goscho ist sich sicher, dass alles, das im Internet steht, auch wahr ist. Deshalb glaubt er auch, dass Schlagzeilen wie "Muslime in Deutschland jetzt in der Mehrheit" oder "Homosexualismus in der EU verpflichtend" der Wahrheit entsprechen würden. Goscho verbreitet diese "Nachrichten" auch die ganze Zeit weiter. Viele bulgarische Webseiten verdienen damit Geld, doch viele gewöhnliche Menschen wie Goscho tun es umsonst. Für sie ist die EU ein Symbol des Bösen, die die Zivilisation durch eine Schwulenorgie zu Fall bringen wird. Die EU will ihm verbieten Rakija zu trinken, ein Schwein in seinem Hof zu schlachten und Sauerkraut zu essen! Aber Goscho weiß, wie man sich von den Tolerasten und Liberasten befreien kann. Auf den gleichen Webseiten liest er, dass Russland die besten Helikopter, die besten U-Boote und die besten Bomben hat. Und genau diese Bomben werden bald unter den Betten der gierigen EU-Tolerasten explodieren!

Goscho schläft ruhig. Er hat zu viel Rakija getrunken. Jetzt schläft er, mürrisch wie ein Kleinkind. Seine Lippen sind rot vom roten Pfeffer, den er auf sein Sauerkraut gestreut hat.