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Martin Blumenau

Geschichten aus dem wirklichen Leben.

26. 1. 2016 - 17:20

The daily Blumenau. Tuesday Edition, 26-01-16.

Von nun an ging's bergab. Warum die Lust am Untergang in Österreich um so viel größer ist als in Deutschland.

#demokratiepolitik #angstpolitik

The daily blumenau hat im Oktober 2013 die Journal-Reihe (die es davor auch 2003, '05, '07, 2009 und 2011 gab) abgelöst. Und bietet Einträge zu diesen Themenfeldern.
2016 wieder regelmäßig.

Von nun an ging's bergab

Eine aktuelle Umfrage im Medien-Boulevard sagt: die Österreicher/innen glauben an ein Ende des Wohlstands, den Absturz, die Verschlechterung ihrer/unserer Lage durch unbewältigbare Massenzuwanderung. Und das deutlich stärker als die vielleicht noch stärker betroffenen Deutschen. Diese Verfasstheit ist keine zufällige Momentaufnahme, sondern hat seit Jahren empirische Konstanz; und tiefgehende Ursachen; und deshalb hohes Gefahrenpotential.

Österreich ist abstiegsangstbeflissen

Klar, aktuelle Meinungsumfragen, die in Medien, vor allem dem Boulevard veröffentlicht werden, haben - das weiß seit der Wien-Wahl auch der letzte Gutgläubige - die Relevanz eines Schmetterlings-Furzes. Vor allem, wenn sie dazu verwendet werden, Stimmungen zu verstärken.

Wenn das Fellner-Gratisblatt am Wochenende eine (mit vergleichsweise differenzierter Fragestellung) von zwei Instituten durchgeführte Doppeluntersuchung zur aktuellen Befindlichkeit von Österreichern und Deutschen veröffentlicht, dann ist das auch noch nichts, worauf man sich berufen sollte.

Allerdings ist eine Tendenz der Ergebnisse auch in vielen anderen, qualitativ und quantitativ deutlich abgesicherten Untersuchungen und Studien zu vergleichbaren Themen ablesbar. Dass die deutsche Bevölkerung viel weniger Angst zeigt als die österreichische; die wird umso angstbeflissener und umso radikaler, je weniger sie die Themen überblickt, durchschaut, versteht, an sich heranlassen will.

Für die gelernten Österreicher und -innen ist jede nicht bereits als bewältigbar erkennbare Neuerung keine Herausforderung, die man schon stemmen wird, sondern eine Gefahr, der mit Angst (und seinen Begleitern, Verdrängung, Trotz und Wut) begegnet wird. Das sagen gestützt und ungestützt abgefragte Daten in diversen wohl die Zukunft bestimmenden Themenbereichen (Arbeit, Digitales, Zuwanderung, Integration etc).

Grund 1: mediale Überdramatisierung

Diese Ergebnis-Tendenz ist vor allem deshalb auffallend, weil die (kulturellen) Unterschiede/Diskrepanzen zwischen Deutschen und Österreichern recht gering sind. In der Angst-Frage jedoch geht die Schere massiv auf.

Ein Hauptgründe: noch mehr als in Deutschland hat man in Österreich das Gefühl, nichts selber bestimmen zu können. Die in Brüssel, die Konzerne, Silicon Valley, der militärisch-industrielle Komplex in den USA, diverse Popanze anderer Verschwörungspraktiker bestimmen alles. Und wenn einmal etwas in Österreich definiert werden kann, dann tritt das tiefe Misstrauen gegen die etablierten Parteien (Stichwort: Politikverdrossenheit) auf den Plan.

Ein anderer Hauptgrund: noch mehr als in Deutschland regiert der Boulevard (gegen die Durchdringung von Krone/Heute/Österreich sind Bild und Konsorten echte Zwerge), der sich in gezielter Überdramatisierung gefällt. Außerdem ist das hochstehende deutsche Qualitätssegment dem österreichischen Pendant quantitativ überlegen. Das führt zu wechselseitigem Aufschaukeln und einem entsprechenden Hall in den Social-Media-Echoräumen.

Österreichs Öffentlichkeit wird so zu einem selbstverstärkenden System, aus dem es kein Entrinnen gibt: jeder zahlt ein, die selbstmitleidige Tonalität des Jammerns verselbstständigt sich in ein (eigentlich realitätsfernes) Weltbild als von einer überkomplexen Welt überfordertes Abstiegs-Opfer und schafft sich so eine eigene Wahrheit.

In dieser Schere verschwinden Ratio und Abwägung schon einmal gern zugunsten einer Überinszenierung, die sich abwechselnd in Herr-Karl-artigem Selbstbetrug, in Baumgartner'scher Klein-Hitler-Sehnsucht oder in Nestroy'schem Fatalismus manifestiert.

Grund 2: konservativer Nationalismus als Verstärker

Dazu kommt, dass die österreichische Rechte sich nie gänzlich von elitär gedachten und oligarchisch angelegten Ständestaat-Denken befreit hat; der typisch österreichische Nationalismus jenseits der FPÖ hört etwa schon in Bayern (wo die Ökonomie die Ideologie überlagert hat) auf Mainstream zu sein. So existieren etwa in den deutschen Sinus-Milieu-Studien die in Österreich immer noch gut vertretenen Gruppe der konservativen Etablierten nur noch als Teil eines liberaleren, weit weniger von katholischen Eliten getragenen Spektrums.

Österreich fehlen also drei wesentliche Tools um in einer schwierigen Zeit (Regrounding nach Wirtschaftskrise und digitalem Umbruch) zu bestehen. Das deutsche Grundgefühl orientiert sich (trotz AfD/Pegida-Gezeter und Lügenpresse-Anwürfen, allesamt immer noch klare Minderheiten) insgesamt positiv (Wir schaffen das erhält auch nach Köln eine mehrheitliche Zustimmung) - in Österreich geht alles bergab. Und zwar schon seit einiger (messbarer) Zeit. Alles wird schlecht, weil die Eliten (Politiker, Gutmenschen etc) so unfähig sind. In Österreich haben rechte Nationalisten längst eine Mehrheit.

Vor allem die Mitte leitet ihre massiven (und teilweise auch berechtigten) Abstiegsängste gern in geistige Abschottung um: Verweigerung, Abwehr, aggressives Wählen, Flucht in idealisierte Land-Idyllen (Gabalier). Die progressive Entsprechung (die Aufstiegs-orientierten digitalen Performer) lenkt ihre Energien in Ego-Taktiken um, weshalb etwa die helfende Zivilgesellschaft im Flüchtlings-Herbst auch von so vielen Seiten unter kritischen Beschuss genommen wurde (Stichwort: schlechtes Gewissen).

Gefangen in einer antidemokratischen Geschichte

Weil sie in ihrer Struktur wesentlich weniger in katholisch-älplerischen Traditionen gefangen ist, kann die deutsche Gesellschaft im Gesamten deutlich stärkere Veränderungsbereitschaft aufbringen. Was wohl eher mit der jüngeren Erfahrung der Wiedervereinigung zu tun hat, als mit dem aktuell gern zitierten schlechten Gewissen aus der Nazi-Ära.

In Österreich, wo gleich doppelt nicht aufgearbeitet wurde (die Nazi-Zeit deutlich schlechter als beim Nachbarn, der Austrofaschismus der Christsozialen gar nicht) und die Nationalisten diverser Lager eine gemeinsame antidemokratische Geschichte verbindet, wird das Nützen neuer Möglichkeiten deshalb nicht einmal angedacht, weil jede Veränderung automatisch als Verschlechterung antizipiert wird, die im Narrativ des "alles geht den Bach runter" aufgehen, an dem sich Medien, Populisten und Kulturpessimisten einheitlich beteiligen.

Eine so gehirngewaschene neue Mitte von hochpragmatisch-egoistischen Abstiegsängstigen neigt zu deutlich mehr Sündenbock-Zuschreibungen als die bundesdeutsche Mitte, die sich zudem auch als die Mitte von Europa begreift; einem Konzept, das die Minderwertigkeits-komplexe österreichische Selbsteinschätzung als Peripherie verunmöglicht. Und damit als politischen Nebenschauplatz für Zustände wie in Ungarn, der Slowakei oder Tschechien aufmacht.