Erstellt am: 24. 1. 2016 - 16:16 Uhr
The things we did last summer
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Stuart A. Staples huscht durch die Schatten, in den gerade ungünstigen Lichtverhältnissen kann man ihn nur schemenhaft erkennen – wenn überhaupt. Kann ihn eine verflossene Liebschaft aus dem Blickwinkel noch wahrnehmen, ihn identifizieren, sich überhaupt noch an ihn erinnern?
Mit seiner Gruppe Tindersticks rührt Mastermind und Sänger Staples seit über zwanzig Jahren schon würde-, weihe- und stilvoll in der besonders traurigen Suppe, Pathos darf gerne dampfen. Die Band aus Nottingham ist meisterlich im Ersinnen von Rotweintrinkermusik für müde gewordene Salonlöwen, die das Leiden studieren. Kammerpop, abgebremste Gitarren-Musik für Erwachsene, immer wieder durchsetzt von Soul, fiebriger Lounge-Musik und Kaminzimmer-Jazz.
Tindersticks
Das gerade erschienene zehnte Album der Tindersticks nennt sich "The Waiting Room" und ist wieder einmal ein etwas wankelmütiges Schiff zwischen schönem Schmerz, prächtiger Seelenzerfurchung und zu eitlem Suhlen in der kaputtgegangenen und gepeitschten Altmännerwürde.
In der aktuellen Single "Were We Once Lovers?" passt das alles bestens zusammen. Stuart A. Staples besingt Motive der Verblassens, des Unscharfen, des Nebulösen. Es wird geflüstert, gehaucht, Fingerspitzen streifen über ein Gesicht, um die Form, die Beschaffenheit des Mundes zu erfühlen, und spüren schließlich heiße Tränen über die Backen kriechen.
"Sind wir überhaupt jemals Liebende gewesen?" so fragt dieses Lied. Die Geheimnisse, die wir einst gemeinsam zum Leben erweckt haben, haben sie je existiert? Sie verschwinden im hintersten Winkel unserer Erinnerung: "Secrets fading to the back of my mind".
Ein von im Bandzusammenhang unüblich kräftigem Funk bewohnter Bass treibt den rastlosen Erzähler weiter in seiner Gedächtnisarbeit, unnachgiebig, sich umspielende E-Pianos ziehen ihn in einen Strudel, scheinen ihn immer weiter in den Wahn zu führen. "Did we spent our lives together? I can't recall", singt Staples, und natürlich spricht hier klar die Gewissheit aus diesen Zeilen, dass es irgendwann schon einmal so gewesen sein muss: Eine Liebe, die einst blühen durfte, zwei Leben, verschmolzen zu einem.
Die Liebe ist bei allem Wissen, dass sie wohl nicht wiederkehren wird, noch nicht komplett erkaltet: "How can I care if it's the caring that's killing me?" lautet hier die zentrale Zeile. Die Sehnsucht nach Verflogenem und die Umarmung des Vergessens umtänzeln einander in der Brust, stehen miteinander im süßen Widerstreit. Es ist ein ganz gewöhnliches Gefühl.