Erstellt am: 21. 1. 2016 - 18:10 Uhr
You can make it there
„American Crime“ – dieser doch gar sehr universelle und unspezifische Titel ist nicht beiläufig oder irgendwie nichtssagend. Der Wunsch nach allumfassender Umarmung und der Abbildung des ganz breiten Panoramas ist in der von Ocar-Preisträger John Ridley („12 Years a Slave“) entwickelten und von ABC produzierten Anthology-Show der Motor.
Das „American“ ist hier essenziel und Emblem für – tausendfach zerfaserte, verzahnte, fragmentierte – Welthaltung: „American Crime“ – das soll hier die Schattenseite des sogenannten American Dream, des American Way of Life bedeuten.
Der Weg führt hier nicht vom Tellerwäscher zum Millionär, sondern dank ungünstiger Entscheidungen, Verbrechen, Neid, Habgier, naivem Optimismus und anderer Beweggründe und Gemütsregungen, die das Leben in uns ausmachen, von vermeintlich stabiler Lage auf der sich abwärts drehenden Spirale immer weiter nach unten.
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Mit großem, nicht gerade unaufsehenerregend besetzem Ensemble – allen voran Felicity Huffman, Lili Taylor, die für ihre Rolle mit dem Emmy ausgezeichnete Regina King und Timothy Hutton – versucht sich „American Crime“ an einer weitverzweigten und klar symbolhaft aufgeladenen Skizzierung der Idee „Gesellschaft“.
Die 2015 ausgestrahlte erste Staffel der Show ist in einer sonnendurchfluteten, kalifornischen Stadt mittlerer Größe angesiedelt, die zwar nicht anonym bleibt, in ihrer durchschnittlichen, unaufregenden Verkörperung eines diffusen Kalifornien-Bildes, das eben nicht gerade L.A. oder San Francisco sein will, den Universal- und Everyman-Charakter der Serie unterstreicht. Die Stadt heißt Modesto, was sicher nicht zufällig für „modest“ steht.
Ein Mord und eine Vergewaltigung – immerhin teilweise, wie sich später vage herausstellen wird, durch Drogen und Beschaffungskriminialität motiviert – liefern hier den Impuls, um in den Leben verschiedener, zunächst nur gerinfgügig bis gar nicht miteinander verbandelter Figuren nachzubohren. Aus unterschiedlichen Ethnien und Walks of Life betont divers zusammengewürfelte Charaktere suchen das Glück, kommen sich in die Quere und stürzen ab.
Im Zentrum des Geschehens personifizieren Huffman und Hutton als entfremdetes Ex-Ehepaar und Eltern des Mordopfers gleich von Beginn an die kaputtgegangene All-American, die weiße Familie: Schon früh hat Huttons Figur – in einer nicht gezeigten, bloß durch Dialogpassagen angedeuteten Vorgeschichte zur Handlungsgegenwart –, aufgrund seiner nicht mehr zu kontrollierenden Spielsucht und der daraus resultierenden finanziellen Not, die Familie verlassen. Huffman hat daraufhin die gemeinsamen Söhne zu stolzen Soldaten gedrillt, die nach 9/11 glühend Dienst für Gott und Vaterland entrichten. Man ahnt: Es modert auch hinter dieser Oberfläche.
Dazwischen, daneben: Ein Junkie-Pärchen und Gangkriminalität, der Glaube an das System Amerika: Ein urspünglich aus Mexiko stammender Einwanderer, der längst schon in den USA Fuß gefasst hat und nach allem Wissen und Gewissen eine Autowerkstatt leitet, will in seiner Rolle als alleinerziehender, aufrechter Familienvater seinen beiden Teenagerkids die guten, ehrlichen Werte und das richtige Leben beibringen: Gegen „illegale“ mexikanische Flüchtlinge wettert er, sie würden ja die „ordentlichen“ Mexikaner schlecht aussehen lassen. Er verbietet seinem Sohn jeglichen Kontakt zu Gangs, sieht keinerlei Grund für Solidarität mit Menschen, bloß weil ihre Haut ähnlich braun sei wie die seine. „I am Mexican-American, you are just Mexican“, unterrichtet er seinen Schwager über sein Dogma.
In der eben angelaufenen Staffel 2 von „American Crime“ kehrt nun ein großer Teil des Ensembles aus Season 1 zurück, jedoch – den mit voller Absicht schwammigen Gesetzen des Formats „Anthology-Serie“ folgend – in neuen Rollen, in neuem Setting, in neuem Plot. Motive und Thema stellen die Verbindung her.
„American Crime“ zoomt diesmal hinein in ein engeres, durch hundertfache Überlieferung in Film und Fernsehen wiederum sehr „amerikanisch“ konnotiertes Szenario: Eine poshe Highschool und die Vorgänge rund um das schuleigene Basketballteam, das nähere soziale Umfeld, Familien der Schüler, Lehrkörper. Anstelle des in Gold-Braun schwitzenden Kaliforniens in der ersten Staffel treffen wir hier auf ein in noblen Blassblautönen gezeichnetes, bürgerliches Indianapolis.
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Wiederum werden soziale Ungleichheiten ausgeleuchtet, das Kräftemessen zwischen den reich Geborenen und den Außenseitern, die für eine Chance im Bildungsapparat kämpfen wollen. Zentraler Plot-Antrieb ist in der aktuellen Staffel ein Vergewaltigungsvorwurf: Ein Schüler, in den Schulabläufen gewohnsheitsmäßig ein Danebensteher und unpopulär, soll auf einer Party der freilich hochbeliebten, nahezu unantastbaren Sportlerclique unfreiwillig unter Drogen gesetzt und sexuell missbraucht worden sein.
Beweise, klare Aussagen liegen bislang keine vor. Als die Mutter des Schülers die prestigereiche Schule mit den Anschuldigungen konfrontiert, wird von der Direktorin erst einmal vorauseilend Verschleierungs- und Vertuschungsarbeit betrieben: Der Sohn hätte aber auf besagter Party doch schon auch aus freien Stück Bier getrunken, nicht wahr?
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„American Crime“ braucht keine aufwendigen Schauwerte oder interessante Kameraeinfälle. Das Ensemble spielt subtil und zurüchhaltend auf, die Show entspinnt sich langsam, ganz langsam, und findet nach einer da und dort ein wenig pathostriefenden ersten Staffel in der zweiten Season ihre Stärke in der Ruhe und Konzentration. Action existiert nicht, das Format des Krimis ist vornehmlich Trägermaterial. „American Crime“ legt den Finger in die Wunden. Nicht selten tut das weh.