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21. 1. 2016 - 16:40

Obergrenze für Menschenrechte

Nach dem Asylgipfel: Hilfsorganisationen sprechen von "hilfloser Symbolpolitik". Die Innenministerin will sich "nicht auf eine juristische Diskussion einlassen". Reaktionen aus Österreich.

Beim gestrigen „Asylgipfel“ hat die österreichischen Regierung beschlossen, die Aufnahme von Flüchtlingen zu begrenzen. Die Reaktionen auf diese Entscheidung schwanken zwischen Verständnis und Kritik. Besonders auffällig: Über die völker- und menschenrechtlichen Aspekte dessen, was da gestern vereinbart wurde, wollen sich die Angehörigen der Bundesregierung nicht wirklich äußern. Innenministerin Johanna Mikl-Leitner hat sich in der ZiB 2 gar zur Aussage hinreißen lassen: „Ich möchte mich jetzt hier nicht auf eine juristische Diskussion einlassen“ – ganz so, als müsste man die Kompatibilität der eigenen Beschlüsse zu Völkerrecht, Menschenrechten und Verfassung nicht reflektieren oder – Gott bewahre – gar mit der Zivilgesellschaft diskutieren.

PolitikerInnen an einem großen Tisch zum sogenannten Flüchtlingsgipfel

APA/GEORG HOCHMUTH

Der "Asylgipfel"

Diese Verweigerungshaltung ist in Österreich quasi schon zur Tradition geworden. Davon zeugen die vielen Gesetze, die der Verfassungsgerichtshof in den letzten paar Jahren aufgehoben hat – Vorratsdatenspeicherung, E-Voting, Fortpflanzungsmedizingesetz und mehrere hundert andere. Auch mit dem Staatsschutzgesetz bastelt die Regierung gerade wieder ein Gesetz, das viele Experten aufgrund seiner Unverhältnismäßigkeit für verfassungswidrig halten.

Nun sind die Beschlüsse und Willenserklärungen der gestrigen Asylkonferenz keine Gesetze. Trotzdem müssten Bundesregierung, Landeshauptleute und Bürgermeister willens sein, die Frage zu beantworten, wie vereinbar eine zwischen ihnen besprochene Flüchtlings-Obergrenze mit geltendem Recht ist. Manfred Nowak, Professor für Internationales Recht und Menschenrechte an der Uni Wien, hat darauf eine eindeutige Antwort, die er im FM4-Interview am Tag des Asylgipfels gab: „Wenn jemand laut Genfer Flüchtlingskonvention ein Flüchtling ist und sich in Österreich befindet, hat diese Person das Recht, in Österreich um Asyl anzusuchen. Dann stellen die Flüchtlingsbehörden den Asylstatus dieser Person in einem individuellen Asylverfahren fest. Sie entscheiden, ob diese Person ein Flüchtling ist oder nicht. Wenn er oder sie ein Flüchtling ist, müssen wir dieser Person Flüchtlingsstatus garantieren, das beinhaltet alle dazugehörigen Rechte. Selbst wenn diese Person kein Flüchtling im engeren Sinne ist, aber nicht zurück geschickt werden kann, ist ihr subsidiärer Schutz zu gewähren, wodurch sie ebenfalls ein Recht auf Aufenthalt hat. Wenn wir jetzt einfach an einem Punkt sagen: 'Okay, wir haben eine Obergrenze und können in so einem Fall keinen zustimmenden Bescheid mehr erteilen', dann ist das rechtlich nicht zulässig.“

Refugees im Transitbereich in Spielfeld

Radio FM4

Flüchtlinge im Transitbereich in Spielfeld im November 2015

Durchwegs ablehnend haben auch zahlreiche Hilfsorganisationen auf die angekündigte Obergrenze reagiert. Werner Kerschbaum, Generalsekretär beim Roten Kreuz, sagt: „Es sehen ja weder das Völkerrecht, noch die Menschenrechtskonvention, noch unsere Asylgesetze irgendwelche Obergrenzen oder Richtwerte vor. Wir sprechen uns entschieden gegen solche Richtwerte aus, weil sie geltenden internationalen Normen, EU-Normen und nationalen Normen widersprechen.“

Auch Caritas-Präsident Michael Landau ist gegen Obergrenzen bei der Flüchlingsaufname und begründet das mit einem bildlichen Vergleich: „30.000 Asylanträge im Jahr annehmen und den nächsten Flüchtling, der Schutz für Leib und Leben sucht zurückweisen – das ist wie die Feuerwehr, die fünf Brände löscht und beim sechsten zuschaut.“

Der Geschäftsführer der SOS-Kinderdörfer, Christian Moser, nennt das Ergebnis des Asylgipfels „hilflose Symbolpolitik“. Denn Obergrenzen und auch das sogenannte „Asyl auf Zeit“ hätten besonders schädliche Auswirkungen auf Kinder und Jugendliche.

Die politischen Reaktionen seitens der Opposition sind ebenfalls von Ablehnung geprägt – wenn auch aus unterschiedlichen Motiven. Nikolaus Scherak von den Neos und selbst Jurist hat kein Verständnis für das Ausblenden des rechtlichen Aspekts: „Ich finde es nicht in Ordnung, dass man hier Vorschläge macht, von denen man im Vorhinein schon weiß, dass sie weder rechtlich, noch in der Praxis umsetzbar sind.“ Grünen-Klubobfrau Eva Glawischnig sagte „die österreichische Bundesregierung kann die Menschenrechte nicht abschaffen“.

FPÖ-Obmann Heinz-Christian Strache hingegen spricht von einer „Bankrotterklärung“ der Regierung: „Nicht die möglichst gute Verteilung der Zuwanderer hätte das Thema sein müssen, sondern das Verhindern des Zuzugs von Wirtschaftsflüchtlingen.“ Dass die aktuelle Flüchtlingsproblematik aufgrund seit Jahren andauernder Kriege existiert, blendet er mit dieser Aussage aus. Für ihn ist der Asylgipfel jedenfalls „gescheitert“.

Wiens Bürgermeister Michael Häupl gibt sich großzügiger – er will zwar Kriegsflüchtlingen helfen, aber: „Wenn Leute zu uns kommen aus Ländern, wo sie nicht an Leib und Leben bedroht sind, wo keine Kriege geführt werden, dann muss man einfach auch sagen: na, des geht net.“ Dass es auch noch andere Gründe für das Recht auf Asyl gibt – etwa die Verfolgung aus politischen Gründen oder aus Gründen der sexuellen Orientierung – blendet der Wiener Bürgermeister damit leider aus.

Eine differenzierte Betrachtungsweise hat Gerhard Zapfl, Bürgermeister von Nickelsdorf, einer der am stärksten von der Flüchtlingskrise betroffenen Gemeinden: „Ich spüre, dass sich in meiner Gemeinde die Menschen Sorgen machen. Andererseits wird es nicht so einfach sein, eine Obergrenze zu exekutieren. Dieser Beschluss stellt eher eine Signalwirkung dar: Österreich kann nicht mehr Menschen aufnehmen, um nicht unseren Frieden zu gefährden. Ich glaube, dass wir unseren Sozialstaat bewahren müssen, und da gibt es eben eine Grenze.“