Erstellt am: 20. 1. 2016 - 17:31 Uhr
"Rechtlich nicht möglich"
Das Interview wurde von Joanna Bostock für FM4 Reality Check auf Englisch geführt
90.000 Flüchtlinge haben voriges Jahr in Österreich einen Asylantrag gestellt. Das ist kein historischer Höchstwert, denn im Jahr 1956 gab es 170.000 Asylanträge (im Rahmen der Ungarn-Krise). Dennoch haben heute Landeshauptleute, Bürgermeister und Mitglieder der Bundesregierung über eine neue Asylpolitik nachgedacht.
APA/Georg Hochmuth
Heute sind in Wien Bund, Länder und Gemeinden zu einem Asylgipfel zusammengekommen, um über die Aufteilung von Asylwerbern, über finanzielle Mittel in der Flüchlingskrise und über Grenzkontrollen zu diskutieren.
Im Vorfeld des Gipfels ist immer wieder über "Obergrenzen" für die Aufnahme von Flüchtlingen gesprochen worden. Heute nachmittag ist dann auch eine Zahl genannt worden: Maximal 127.500 Flüchtlinge sollen bis Ende Juni 2019 aufgenommen werden. Doch ist eine Flüchtlings-Obergrenze überhaupt mit dem Menschenrecht auf Asyl vereinbar? Joanna Bostock hat dazu Manfred Nowak, Professor für Internationales Recht und Menschenrechte an der Uni Wien befragt:
Es wird viel über Obergrenzen für Flüchtlinge gesprochen, was ist ihre Antwort auf dieses Konzept?
Manfred Nowak: Vom politischen Standpunkt her kann ich verstehen, dass Politiker in dieser außergewöhnlichen Situation Grenzen haben wollen, sodass Österreich, politisch gesprochen, mit dieser Zahl an Flüchtlingen und Asylwerbern umgehen kann. Von einem rechtlichen Standpunkt aus, stellt sich die Sache völlig anders dar. Wenn jemand laut Genfer Flüchtlingskonvention ein Flüchtling ist und sich in Österreich befindet, hat diese Person das Recht, in Österreich um Asyl anzusuchen. Dann stellen die Flüchtlingsbehörden den Asylstatus dieser Person in einem individuellen Asylverfahren fest. Sie entscheiden, ob diese Person ein Flüchtling ist oder nicht. Wenn er oder sie ein Flüchtling ist, müssen wir dieser Person Flüchtlingsstatus garantieren, das beinhaltet alle dazugehörigen Rechte. Selbst wenn diese Person kein Flüchtling im engeren Sinne ist, aber nicht zurück geschickt werden kann, ist ihr subsidiärer Schutz zu gewähren, wodurch sie ebenfalls ein Recht auf Aufenthalt hat. Wenn wir jetzt einfach an einem Punkt sagen: 'OK, wir haben eine Obergrenze und können in so einem Fall keinen zustimmenden Bescheid mehr erteilen', dann ist das rechtlich nicht zulässig.
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Die Genfer Füchtlingskonvention ist aber etwas, wozu sich die Länder freiwillig entschlossen haben.
Selbstverständlich sind alle internationalen Verpflichtungen, die sich aus der Genfer Flüchtlingskonvention ergeben, freiwillig. Aber wir haben sie schließlich ratifiziert. Noch wichtiger ist das Asylsystem der EU. Wir sind ein Mitgliedsstaat der EU und unsere Asylverfahren und unser Asylsystem sind auf verschiedene Weise an die Regeln und Beschränkungen der EU gekoppelt und davon bestimmt.
Wie sieht es mit den praktischen Beschränkungen aus, was Platz und Einrichtungen betrifft, die ein Staat aufbringen kann um Menschen aufzunehmen?
Nochmal: Wir sind in einer außergewöhnlichen Situation. Die Lage im Nahen Osten und in Zentralafrika, wo die meisten Flüchtlinge herkommen, ist eine Katastrophe. Das müssen wir bedenken und auch auf die Ursachen für die Flüchtlingsbewegungen hinweisen, etwa den Syrien-Konflikt. Es wäre so, als ob wir während der Nazizeit den vor dem Grauen Flüchtenden eine Grenze auferlegt hätten. Selbstverständlich bestehen praktische Grenzen, aber Europa ist ein Kontinent mit mehr als 500 Millionen Menschen. Wir sprechen von einigen wenigen Millionen Flüchtlingen. Prinzipiell ist eine gemeinsame Lösung möglich, wenn die Europäische Union und ihre Mitgliedsstaaten zusammenarbeiten. Wenn das nicht der Fall ist und nur eine kleine Anzahl Länder wie Schweden, Deutschland und Österreich mitmachen und die Hauptverantwortung tragen, wird das auf Dauer nicht funktionieren. Aber das ist etwas, das die europäischen Politiker und Politikerinnen lösen müssen - da spreche ich nicht vorrangig von der Kommission oder dem EU-Parlament, von dieser Seite sind schon vor langer Zeit alle möglichen Vorschläge gekommen. Das betrifft die Staaten selbst, die RegierungschefInnen, die Justiz- und InnenministerInnen. Die müssen sich zusammensetzen und sich auf eine gemeinsame Flüchtlingspolitik einigen. Dann bin ich sicher, dass Europa diese Herausforderung meistern wird.
Gestern hat Kanzler Faymann zugegeben, dass es ohne eine gemeinsame europäische Lösung nur Notlösungen geben kann. Sehen Sie dieses Statement als Zeichen, dass sich in den Regierungen etwas bewegt?
Ich sehe dies als positives Zeichen. Faymann hat auch gesagt, dass wir ein gemeinsames europäisches Asylbüro und eine gemeinsames Asylverfahren benötigen. Das fordern viele schon seit geraumer Zeit. Sobald wir das haben, sollte es auch möglich sein, außerhalb Europas um Asyl ansuchen zu können, um das Schmuggelproblem in den Griff zu bekommen. Wenn wir jetzt mit Hilfe der Notmaßnahmen Menschen zurückschicken und Grenzen schließen, dann delegieren wir das Problem nur: von Österreich nach Slowenien, nach Kroatien und letztlich dann nach Griechenland. Damit lösen wir gar nichts. Wenn Griechenland versucht, seine Grenzen ganz zu schließen, werden nur noch mehr Menschen im Mittelmeer ertrinken. Und das ist sicher nicht das, was wir wollen.