Erstellt am: 20. 1. 2016 - 14:37 Uhr
Herausputzen
Ich hatte mal eine Mitbewohnerin, die sich, bevor sie aus dem Haus ging, immer mindestens eineinhalb Stunden vorbereitet hat. Sie trug so viel Schminke, wie es nur geht, und wenn sie nach eineinhalb Stunden fertig war zum Ausgehen, war das schon ein Ereignis.
Sie liebte Turbofolkparties und besuchte regelmäßig solche in Wien. Zum Turbofolkdresscode gehört so viel Schminke, wie es nur geht, und ein sehr starkes Parfum. Außerdem ein Kleid mit einem tiefen Ausschnitt und Stöckelschuhe. Ich erinnere mich, wie meine Mitbewohnerin stundenlag vor dem Spiegel stand und ihren Ausschnitt nach unten zog. Irgendwas gefiel ihr nie an ihrem Aussehen, sie wollte, dass man man ihre Schultern und ihren Bauchnabel gleichzeitg sehen kann.
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Ein mal, als ich dringend ins Badezimmer musste, sagte ich ihr, dass sie am Besten gleich nackt hinausgehen solle, weil sie so den gewünschten Effekt besser erreichen könnte. Sie nannte mich "Arschloch" und sie hatte recht.
Ich verstehe nichts von Mode. Ich werde bei so einer Turbofolkparty immer schlecht aussehen, denn der Dresscode bei den Männern besteht darin, enge Hemden, Goldketten und einen "Ringer"-Haarschnitt zu tragen. Ringer-Haarschnitt ist der mit einem ausrasierten Nacken und Haaren nur am Scheitel. In Bulgarien ist dieser Haarschnitt schon seit Mitte der Neuziger Jahre modern, als die Ringer die organisierte Kriminalität anführten. Ich bin zu dick für ein enges Hemd, ich habe keine Goldkette und ein “Ringerhaarschnitt” steht mir sicherlich nicht gut.
Ich dachte, dieses "Herausputzen" sei nur typisch für die Menschen, die dieser Subkultur angehören. Aber ich war im Unrecht. Letzte Woche habe ich eine Wiener "Hipsterparty" besucht. Die Menschen auf dieser Party haben nicht weniger Zeit mit dem "Herausputzen" verbracht, als meine ehemalige Mitbewohnerin. Sie haben sich sehr angestrengt, um hip und spontan auszusehen. Ich habe noch nie Menschen gesehen, die sich so große Mühe gegeben, locker auszuschauen. Ihre Bärte, Haarschnitte und Schwabbelpullis waren sorgfältig ausgesucht. Es wurden alle "Vintage"-Geschäfte durchstöbert. In Wien, Berlin, Paris und London.
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Ich habe mal "On the Road" von Jack Kerouac gelesen, über die Existenzialisten, die mit der Gesellschaft brechen und nach ihrer eigenen Regeln zu leben wollen. Die Anwesenden auf dieser Party zeigten ihre Abneigung gegenüber der Konsumgesellschaft, in dem sie die teuersten Fetzen der Vergangenheit anhatten.
Die Musik war moderner Gangstarap oder so was. Ich verstehe nicht, wie das zum Konzept der "jungen Künstler, die sie selbst sein wollen" passt. Alle hatten ihre nonkonforme Uniform an. Der Nonkonformismus war ein Stil, den alle streng befolgten.