Erstellt am: 25. 1. 2016 - 13:30 Uhr
Herz verloren, Heimat gefunden
No sleep til Brooklyn. Wie denn auch, wenn der Dampfer schlingert, einem übel ist und die fiesen Hyänen von der Nachbarkabine die Tür zur gemeinsamen Toilette verriegelt haben. Eilis (Saoirse Ronan, nominiert für einen Oscar für ihre Darstellung in "Brooklyn") hat zunächstmal nichts zu lachen. Die junge Frau hat ihre kleine irische Heimatstadt verlassen, um Anfang der 1950er Jahre eine Arbeitsstelle in New York anzutreten. Dahinter stecken weniger ihre eigenen Träume von all den Möglichkeiten in der neuen Welt, wie das so oft in Auswanderer-Geschichten aus dieser Zeit der Fall ist, sondern schlichter Pragmatismus.
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Auf nach Brooklyn
Es gibt keine Arbeit für sie hier, also kümmert sich ihre geliebte ältere Schwester Rose darum, dass Eilis die große Überfahrt übernimmt. Ein - ebenfalls emigrierter Pater - hat sich um Arbeitsstelle und Unterkunft in New York gekümmert. Der Abschied von ihrer Mutter und Schwester, ihrer Heimat, fällt Eilis schwer. Dem Publikum nicht. Regisseur John Crowley hat dafür gesorgt, dass diese Anfangsszenen in Irland nicht unbedingt Reiselust auf die grüne Insel auslösen. In einer entsättigten Farbwelt mit regennassen Straßen im Morgengrauen eröffnet der Film und löst einen "Nichts wie weg von hier"-Impuls aus, auch, weil in nur wenigen Szenen und kleinen Details eine Enge der Kleinstadt skizziert wird, die Eilis selbst noch gar nicht so störend wahrnimmt, wie das Publikum. Und doch bemerkt sie laknoisch, als ihre Freundin Nancy von einem Jungen aus dem Rugbyclub schwärmt, er sei kein Gary Cooper.
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Die Farben von "Brooklyn" liegen hinter einer kleinen blauen Tür, durch die die Ankömmlinge in der neuen Heimat treten, wenn sie die Einreisekontrolle hinter sich gebracht haben. In gleißendem Licht verschwindet Eilis, um in einer weitaus farbenprächtigeren Welt der mintfarbenen Diner und roten Lippenstifte wieder aufzutauchen. Das Herz dieses Films ist Saoirse Ronans Spiel, das jegliche sentimentale Anwandlung, die man dem Film, wenn man den Kurzinhalt liest, unterstellen möchte, verhindert und stattdessen "Brooklyn" zu etwas macht, was ich seit langem nicht gesehen habe. Eine wahrhaftige Liebesgeschichte. Ich werde Irland verfluchen und bin kurz versucht, im Kinosaal den Ausgang des Films zu ergooglen, so sehr fiebere, liebe und leide ich mit.
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Das Herz schmerzt
Bevor aber Eilis Herz liebestrunken wird, bricht es beinahe an Heimweh. Zwar ist sie - so hat man es ihr auch prophezeit - von Iren umgeben, aber doch so weit weg von Zuhause. Oft ist "Brooklyn" deswegen so großartig, weil es auf Dinge verzichtet. Es gibt keinen staunenden Moment, wo Eilis das große New York mit offenem Mund betrachtet und angesichts der Wolkenkratzer, gelben Taxis und der schier unendlichen Konsumwelt leuchtende Augen bekommt. Stattdessen heult sich Eilis die Augen aus, bläst Trübsal an ihrem Arbeitsplatz im Luxus-Kaufhaus, ist und isst eher teilnahmslos am Tisch ihrer Unterkunft bei Miss Kehoe (Julie Waters), während die anderen jungen Frauen schnattern und kichern. Alle aus Irland. Aber wieviele Iren braucht man, um aus Brooklyn Irland und so die Heimat zu machen? Im Fall von Eilis genügt ein Italiener.
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Kein Leidensnarrativ
Tony (Emory Cohen) ist der Sohn italienischer Einwanderer, der aber gern auf irischen Tanzveranstaltungen lässig an der Wand lehnt, weil I like irish girls. Mit verkniffener James Franco-Mimik und Gestik agiert Emory Cohen und während die beiden tanzen, passiert etwas, was mir selten im Kino passiert, mein Herz wünscht sich ein Happy End. Hämisch lachend schaltet sich das Filmkritikerinnenhirn ein, nimmt das Herz in den Schwitzkasten. Das große amerikanische Kino ist nicht unbedingt berühmt dafür, seine - ohnehin eher spärlichen - weiblichen Hauptfiguren gut zu behandeln. Ein Narrativ des Leidens wird diesen Figuren - manchmal atlas- und sisyphosgleich - umgebunden. "Brooklyn" ist eine Ausnahme. Dass Eilis als einzige Frau einen Buchhaltungs-Kurs am College besucht, ist kein Thema - eine einzige Einstellung zeigt sie zwischen lauter Männern am College sitzen, aber es wird zu keinem Thema, zu keinem Problem. Eine junge, alleinstehende, berufstätige Frau im Jahr 1952, die sich um ihre Weiterbildung kümmert und dabei ist, sich in einen Mann zu verlieben der sich nicht als Psychopath herausstellen wird. Das klingt jetzt alles nicht so speziell, ist aber im Kino eine Seltenheit.
Noch dazu ist Saoirse Ronan einen Hauch größer als Emory Cohen, eine Tatsache, die Regisseur John Crowley auch nicht zu vertuschen versucht. Auch verfügt Eilis über die bessere Ausbildung als Klempner Tony, aber auch hier werden gleich zwei mögliche Konfliktnarrative einfach ignoriert: Weder hat Tony etwas dagegen, er interessiert sich sogar für Eilis Studium, noch versucht Eilis Tony zu mehr anzuspronen, in dem sie ihm William Faulkner Bücher in die Hand drückt.
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Suspense
"Brooklyn" lässt Eilis Zeit, zu realisieren, dass sie hier in New York glücklich werden kann, fernab von Irland und ihrer Familie. Fast zaghaft spinnt sich die Liebesgeschichte zunächst und ist deswegen so glaubhaft. Oh, kann der Film nicht einfach jetzt aufhören, ich ertrage es nicht, dass dieses Glück zerstört wird. Und gerade als Eilis nicht mehr so oft an Irland denkt, muss sie wegen einer Familienangelegenheit dorthin zurück. Und plötzlich webt Regisseur Crowley Suspense in diese Liebesgeschichte ein. (Man sollte nicht mehr über die Geschichte wissen, deswegen führ ich das hier nicht weiter aus. Geht ins Kino!) Ich möchte die Leinwand anbrüllen und Eilis eigenhändig ein Ticket zurück nach New York kaufen. Keine Ahnung, wann ich derart involviert in einen Plot war, aber Nick Hornbys Drehbuch und Saorise Ronans Schauspiel sind derart raffiniert und großartig, dass man nicht weiß, was mit einem geschieht.
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"Brooklyn" läuft seit 21. Jänner in den österreichischen Kinos
"Brooklyn" wirkt wie ein altmodischer Film, aber alleine, wie er ständig eine Atmosphäre der weiblichen Solidarität schafft, ohne diese plakativ zum Thema zu machen oder gar im Film dialogisch zu thematisieren, macht "Brooklyn" zu einem Ausnahmefilm mit weiblichen (und auch männlichen) Ausnahmefiguren. Und apropos Figur: Dass Bret Easton Ellis als er Ronans Darstellung als "uneitel" bezeichnet dafür beschuldigt wird, hier "fatshaming" zu betreiben, sagt leider sehr viel über die bizarren Körperbilder des Hollywood-Kinos aus. Genauso selten wie fehlende Sentimentalitäten im Kino und eine wahrhafte Liebesgeschichte sind auch Hüften, die breiter als Schultern sind. "The shape of the ‘50s clothes, really kind of encouraged women to have a womanly figure. Because you’ve got big skirts and fluffy blouses, women – more so than now – were encouraged to have boobs and a bum and legs. You know what I mean? And hips.”, so Ronan. Wie "The Danish Girl" ist "Brooklyn" schlau und effizient, was seinen Einsatz - und seine Wiederholung - von Kostümen angeht. Manchmal erzählt ein gelbes Hemdblusenkleid mit abstehendem Rockteil einfach mehr als ein Dialog. Und bei Saoirse Ronan genügt auch manchmal nur ein Close Up ihres Gesichts, um uns Bände zu erzählen.
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Für alle, die irgendwann zu scrollen begonnen haben, hier die Kurzfassung: Eine große Empfehlung für "Brooklyn".