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19. 1. 2016 - 11:49

Metternich 2.0

Das geplante Staatsschutzgesetz geht in die finale Runde. Wird es in seiner jetzigen Form beschlossen, dann wird in Österreich die Überwachung unbescholtener Bürger extrem verschärft. Die Kontrolle durch Richter wird ausgehebelt, ebenso wie das Redaktionsgeheimnis.

Heute wird im Innenausschuss des Parlaments der Entwurf zum neuen Polizeilichen Staatssschutzgesetz (PStSG) behandelt. Demnach soll das Bundesamt für Verfassungsschutz und Terrorismusbekämpfung (BVT) zukünftig die Befugnisse eines Geheimdienstes haben. Bisher ist es eine Polizeibehörde, aber als Geheimdienst dürfte es jeden Menschen in Österreich überwachen, ohne vorher einen Richter oder Staatsanwalt damit zu befassen. Außerdem soll auch der Einsatz sogenannter Verbindungspersonen ohne Genehmigung geschehen. Außerdem werden der Schutz der Quellen von Journalisten, also das Redaktionsgeheimnis, sowie andere Berufsgeheimnisse ausgehebelt. Das geplante Staatsschutz-Gesetz haben die Rechtsanwaltskammer, der Österreichische Journalistenclub und der AK Vorrat jetzt kritisiert.

Mann mit Schild "Ich bin Terrorist?!" beobachtet von Polizist

APA/HELMUT FOHRINGER

Aktion der AK Vorrat gegen Überwachung im März 2015.

Pensionisten als Kontrollinstanz

Zentrale Bedeutung im Gesetzesentwurf hat der Begriff des "verfassungsgefährdenden Angriffs" - er ist äußerst unscharf definiert, zum Beispiel als Angriffe "aus ideologischen Motiven". Schon die Feststellung der "Wahrscheinlichkeit" eines verfassungsgefährdenden Angriffs ermöglicht es dem BVT mit allen Befugnissen einer erweiterten Gefahrenforschung Menschen zu überwachen. Kontrolliert und genehmigt werden soll das nur von einem Rechtsschutzbeaufragten und zwei Stellvertretern - und auch das nur in sehr großem Rahmen, also beispielsweise Monate voraus für eine ganze Gruppe von Menschen, wenn es um deren Überwachung geht, aber nicht für den einzelnen Bürger.

Die Rechtsschutzbeauftragten werden entweder pensionierte Richter oder pensionierte Staatsanwälte sein. Für Rupert Wulff von der Österreichischen Rechtsanwaltskammer ist das kein akzeptabler Kontrollmechanismus. Er fasst seine Kritik mit einem Satz zusammen, der trivial klingen mag, aber für die Bundesregierung trotzdem nicht selbstverständlich sein dürfte: "Ein pensionierter Richter ist kein Richter."

Immer dann, wenn Rechte einander überschneiden, sagt Wulff, beispielweise das Recht auf Sicherheit mit dem Recht auf Freiheit, dann brauche es in einem Rechtsstaat richterliche Kontrolle: "Richter sind von der Verfassung geschützt. Sie sind frei, unabsetzbar, unabhängig und unversetzbar. Diese Garantien schützen die Rechte der Bürger in einem modernen Rechtsstaat. Unsere Hauptkritik an dem vorliegenden Gesetzesentwurf liegt deshalb darin, dass sich der Gesetzgeber nicht dazu durchringen konnte, einen richterlichen Rechtsschutz vorzusehen. Wann immer der vorliegende Gesetzesentwurf eine Gefahr bedeutet für Grund- und Freiheitsrechte der Bürger, dann soll nur ein Richter darüber entscheiden."

Schild "Polizeikontrolle"

Patrick Seeger/dpa

Auch V-Leute ohne richterliche Genehmigung

Problematisch ist für die Kritiker des geplantes Gesetzes auch die Legalisierung bezahlter Verbindungsleute ohne richterliche Kontrolle. Damit sind Informanten eines Nachrichtendienstes oder der Polizei gemeint, die unerkannt in vermeintlich politisch extremen oder kriminellen Organisationen agieren. Der Gesetzesentwurf zeige wenig Sensibilität gegenüber Problemen, wie etwa der Tatprovokation und ziehe keine Lehren aus dem Skandal um die NSU-Morde in Deutschland. Rupert Wulff mahnt "allergrößte Vorsicht" beim Einsatz von solchen Informanten ein: "Wir wollen keine V-Leute in Beichtstühlen. Wir wollen keine V-Leute in Arztpraxen. Wir wollen keinen V-Mann in einer Rechtsanwaltskanzlei. Und wir wollen keinen V-Mann in einer Redaktion. Und wenn das doch absolut notwendig sein sollte, dann muss darüber ein Richter entscheiden."

Aktion gegen Überwachung der AK Vorrat im März 2015

APA/HELMUT FOHRINGER

Auch Redaktionsgeheimnis ist betroffen

Laut Gesetzesentwurf soll schon die "Wahrscheinlichkeit einer Gefährdung" ausreichen, um das Redaktionsgeheimnis und andere Berufsgeheimnisse zu unterminieren. Fred Turnheim, Präsident des Österreichischen Journalistenclubs, weist darauf hin, dass im Staatsschutzgesetz – anders etwa als bereits gekippten Gesetz zur Vorratsdatenspeicherung – kein Passus enthalten ist, der Medien von der verschärften Überwachung ausnimmt und auf das Redaktionsgeheimnis hinweist. Von der Bespitzelung würden betroffene Journalisten (wie auch Ärzte und andere Berufsgruppen) auch nicht mehr erfahren, kritisiert Turnheim: "Es gibt keinen Schutz des Informanten mehr. Damit ist das Redaktionsgeheimnis ausgehöhlt. Wir kommen in Gefahr, in Österreich nicht mehr investigativ arbeiten zu können. Es ist völlig lächerlich, über Polen zu schimpfen, wenn wir im Inland fast dasselbe tun. Soweit sind wir hier nicht auseinander: In Polen werden Journalisten vom Staat eingesetzt, und hier sollen Journalisten durch den Staat stark kontrolliert werden können.“ Turnheim spricht in diesem Zusammenhang auch davon, dass sich Österreich ein neues Metternichsches System entwickle - ein System, das unter anderem durch ein umfassendes Spitzelwesen und die Unterdrückung der Meinungs- und Versammlungsfreiheit geprägt war.

Gefährderdatenbank

Unbescholtene Bürger können mit dem neuen Staatsschutzgesetz in einer "Gefährderdatenbank" landen, die "zum Zweck der Bewertung von wahrscheinlichen Gefährdungen" Informationen aus allen öffentlichen und privaten Quellen enthält - auch wenn es sich dabei um besonders schutzwürdige Daten wie sexuelle Orientierung oder Gewerkschaftszugehörigkeit handelt. Diese Daten werden bis zu sechs Jahre lang gespeichert - und sie können auch an ausländische Geheimdienste wie NSA, BND und GCHQ weiter gegeben werden. Auf den No-Fly-Listen internationaler Fluglinien würden dann in Zukunft wohl mehr Österreicher stehen, als bisher.

25.000 Unterschriften sammelt die AK Vorrat gegen das Staatsschutzgesetz

FM4/Christoph Weiss

25.000 Unterschriften sammelte der AK Vorrat bisher gegen das PStSG

Im Innenausschuss des Parlaments wurde das PStGS heute durchgewunken. Die finale Abstimmung im Parlament ist nächste Woche - falls es dort beschlossen wird, dann tritt es bereits im Juli in Kraft. Noch vorher, nämlich am Samstag, wird vor dem Innenministerium eine Demonstration namens "Lichtermeer gegen Überwachung" stattfinden. Sie wird unter anderem vom AK Vorrat organisiert. Er betreibt auch die Unterschriftenaktion gegen das Gesetz.