Erstellt am: 18. 1. 2016 - 17:51 Uhr
Artist Of The Week: Bloc Party
Bloc Party am FM4-Geburtstagsfest
Bloc Party gratulieren am kommenden Samstag mit dem neuem Album “Hymns” und einem neuem Line-Up (Louise Bartle am Schlagzeug und Justin Harris am Bass).
Bloc Party-Fans hatten es nicht leicht die vergangenen Jahre. Der News-Feed aus London glich gelegentlich einer Seifenoper mit vielen Plottwists und Ungereimtheiten. Die Meldung aus dem Jahr 2011, wonach die Band ohne Chef, Sänger und Hauptsongschreiber Kele Okereke ins Studio gegangen sei, stellte sich zwar als bandinterner Hoax heraus. Dennoch wurde der Witz immer wieder von Auflösungsgerüchten überlagert und ab 2013 mit dem Abgang des soundimmanten Schlagzeugers Matt Tong zu einem realistischen Bedrohungsszenario.
Christian Lehner
Der Eindruck des nahen Endes verstärkte sich mit den letzten Veröffentlichungen der Band. Obwohl auf "Four" (2012) und der "Nextwave Sessions EP" (2013) die guten Geister der Anfangstage beschworen wurden, wirkte das Resultat trotz auf Anschlag gestellter Volume-Regler wie ein laues Lüfterl im Schatten der beiden Großtaten "Silent Alaram" (2005) und "A Weekend in the City" (2007). Mittlerweile waren Bands wie die Savages nachgerückt, die das Post-Punk-Revival der Nullerjahre mit einer noch strengeren Anlehnung an die Originale in neue und so nicht erwartbare Höhen geführt hatten. Kele selbst schien viel mehr Gefallen an seiner Solokarriere als Dance-Popper gefunden zu haben, als gegen schneidende Gitarren und handgespielte Bassläufe anzusingen. Und der Eindruck täuschte nicht.
Neuer Sound
"Nach der letzten Bloc-Party-Tour wurde mir bewusst, dass ich mit diesem Sound vor allem Live nicht mehr weitermachen wollte", sagt Kele beim FM4-Interview in Berlin. "Es war klar, dass das nächste Album eine neue klangliche Heimat finden wird müssen." Die verhaltene Drohung, die in diesem Satz mitschwingt, war dann wohl auch für Gordon Moakes zu viel. Der Mann am Bass, der seit den Anfangstagen dabei war, verließ seine Stammband 2014.
(Infectious / BMG / [PIAS] Cooperative)
Bloc Party waren zum Duo geschrumpft. Neben Kele scheint aktuell nur noch Band-Co-Founder und Gitarrist Russell Lissack im Line-Up auf. Noch bevor sich die beiden auf die Suche nach Ersatz machten, begannen sie an neuem Material zu arbeiten. "Ich habe mit Großbuchstaben 'HYMNS' auf einen Zettel geschrieben. Das war intuitiv, hat aber dem Ganzen sofort eine Richtung gegeben."
HYMNS
"HYMNS" bedeutet übersetzt "Hymnen", aber auch "Kirchenlieder". Es ist nicht das erste Mal, dass sich Kele mit dem Thema Religion und Glauben auseinandersetzt. Der Song The Prayer aus dem Album „Weekend in the City“, war eine leicht spöttelnde Meditation über den Kult der Nacht und seine eitlen Hohepriester. Zitat:
"Lord, give me grace and dancing feet / And the power to impress
Lord, give me grace and dancing feet / Let me outshine them all".
Als Kind strenggläubiger Katholiken aus Nigeria entwickelte Kele schon früh eine starke Abneigung gegen religiöse Dogmatik und den an eine singuläre Instanz gerichteten Glauben. Kele ist schwul und das macht seine Ablehnung noch ein Stück verständlicher. Wie bei vielen Abtrünnigen (so auch dem Verfasser dieser Zeilen) ist eine gewisse Faszination für die Rituale und den schaurig-schönen Pomp von Kirchen geblieben. "Der Sound ist meistens exzellent. Wir wollten die kommenden Tour in möglichst vielen Gotteshäusern spielen, aber das ließ sich leider nicht organisieren", so Kele.
Betrachtet man die Trackliste des neuen Albums, mit Titeln wie "Virtue", "The Love Within" oder "Only He Can Heal Me", wähnt man sich in einem Gotteslob-Liederbuch. Bibelstellen werden allerdings keine zitiert und wir haben es auch nicht mit einer Art Indie-Gospel zu tun. Wie im Soul wird das Göttliche zum Menschlichen. "Für mich war es eine Herausforderung, ein nicht-religöses Album zu schreiben, das sich mit dem Glauben auseinandersetzt", so Kele. "Meine Kirchen sind die Natur, die Liebe und der Sex". Auch eine Dreifaltigkeit. So heißt es etwa in "Only He Can Heal Me":
"When the trappings of the body lead me to that hopeless place /
And I feel my spirit crumble under strain and under guilt /
Lay me down in rivers cleansing where the tall grass grows and grows /
And let me wait until my saviour comes home"
Raunchy Gästezimmer mit Kele
Die größte Neuerung
Die Suche nach Seelenheil findet eine Entsprechung im Sound. Und so wie Bassist Gordon Moakes werden bei dieser Reise wohl auch einige Fans verlorengehen. Die ersten beiden Vorabsingles täuschen diesbezüglich noch, denn "The Love Within" und "Virtue" klingen zwar schon eher nach Kele-Solo, kommen aber doch im gewohnten Songformat angerollt. Doch Stücke wie "The Good News" (Blues Rock!) oder "Into The Earth" (Red Hot Chili Peppers!), sowie ein Flirt mit zeitgenössischem R’n’B von The Weekend bis Miguel (sexy "Fortress", "Exes", "So Real"), dürften einige Gläubige von Häresie sprechen lassen.
Infectious
Bloc Party, also Kele und Russell, nehmen dieses Risiko gern in Kauf. "Es hat einfach keinen Sinn, ewig die selben Weiden abzugrasen", sagt Kele Okereke und verweist auf "The Love Within", den ersten Song des neuen Albums, der die ersten Zeilen von "The Prayer" zitiert und aktualisiert:
FM4 Artist Of The Week
Empfehlungen der FM4 Musikredaktion
„Lord give me grace and dancing feet / As i conquer all anxiety
The angel told me not to fear / That the power too was in me.”
Fazit
Bei "Silent Alarm" wurde ich seinerzeit von einer Flugbegleiterin aufgefordert, "gefälligst das laute Mitsingen zu unterlassen". Das wird bei „Hymns“ garantiert nicht passieren. Wenn ich aber für meinen Seelenfrieden einen inneren Gottesdienst abhalten möchte, falte ich gern meine Hände zum neuen Bloc Party Album.